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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

Folge hatte. Ein Stadt- und Landgericht trat an die Stelle der Stadtämterz
Fritz Schlosser ward zum Rate desselben ernannt. Das Schöffengericht wurde
Appellhof, das Oberappellationsgericht kam nach Aschaffenburg. Der den:
Privatdozenten in Tübingen am 28. Mai 1807 geborene Sohn Wolfgang
Friedrich Alexander starb schon im vierten Monate. In demselben Jahre ver¬
schied der Gatte von Starcks Tochter, welche diesen überlebte. Weiteres über
diese der Frau Rat so ärgerliche Verbindung habe ich nicht gefunden. Im
Frühjahr 1808 hatte Goethes Mutter noch die Freude, den nach Heidelberg
zum Studium der Rechtswissenschaft reisenden August bei sich zu begrüßen;
wenige Monate später, am 13. September, verschied sie. Erst nach ihrem
Tode wandten Nicolovius und dessen Gattin vor ihrer Versetzung nach Berlin
sich an Goethe, der ihnen dankte, daß sie, da das alte Band sich aufgelöst,
ein neues anknüpfen wollten. Als Goethes Sohn und Gattin der Erbteilung
wegen nach Frankfurt kamen, wohnten sie bei der Witwe des Schöffen Schlosser,
dessen beide Söhne den Dichter verehrten. Hier wie bei den Verwandten und
Freunden fanden sie die freundschaftlichste Aufnahme. Alle hatten beide herzlich
gern, wie ein schöner Brief von Henriette Schlosser beweist. Diese verlobte
sich am 9. April 1809 mit dem Kaufmann David Hasenclever in Ehringhauseu.
Nach der am 20. August gefeierten Hochzeit folgte ihnen die Mutter, welche in
ihrer Nähe zu Düsseldorf ihre Wohnung nahm; ihren wackern Sohn Eduard,
der als Oberchirurg in Königsberg angestellt war, hatte ihr schon zwei Jahre
vorher, am 26. Mai 1807, ein Lazaretfieber geraubt. Der letzte Schwager
der Frau Rat, Oberst und Stadtkommandant Schuler, starb am 19. Juli 1810.

Goethe hatte die Betreibung seiner Frankfurter Angelegenheiten dem so
umsichtigen wie rechtsgewandten Fritz Schlosser übergeben. Dessen Vermittlung
nahm er auch in Anspruch, als er bei Abfassung des ersten Bandes seines
Lebens genauere Nachrichten über Frankfurt und seine Familie zu erhalten
wünschte. Unter denjenigen, die solche auf seinen Wunsch lieferten, nahm die
alte Tante Mekher die erste Stelle ein. In Erwiederung von Goethes Dank¬
brief bat Schlosser diesen, auch seines Tübinger Vetters zu gedenken. Der
Herzog schlug dessen wiederholtes Gesuch um eine außerordentliche Professur ab.
Goethe erwiederte am 20. Juli: "Des Herrn Professor Textor in Tübingen
werde ich nicht ermangeln gehörigen Orts zu gedenken." Aber da Textor sich
weder als Schriftsteller einen Namen gemacht hatte, noch trotz allem Fleiße Erfolge
als Lehrer nachweisen konnte, durfte er umso weniger ihn dringend empfehlen,
als die Klatschsucht die Anstellung eines Vetters von Goethe an der sehr
heruntergekommenen Hochschule Jena leidenschaftlich aufgegriffen haben würde.
Später schickte Rat Textor Goethe zu dessen höchster Freude durch Schlosser
ein Paar Handschuhe, wie sie seinem Großvater beim Pfeifergericht überreicht
worden waren. Seine Nichte Nieolovius, die ihn im Januar 1810 mit einem
herrlichen, ihr schönes Wesen entfaltenden Briefe erfreut hatte, kam am 11. Mai


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

Folge hatte. Ein Stadt- und Landgericht trat an die Stelle der Stadtämterz
Fritz Schlosser ward zum Rate desselben ernannt. Das Schöffengericht wurde
Appellhof, das Oberappellationsgericht kam nach Aschaffenburg. Der den:
Privatdozenten in Tübingen am 28. Mai 1807 geborene Sohn Wolfgang
Friedrich Alexander starb schon im vierten Monate. In demselben Jahre ver¬
schied der Gatte von Starcks Tochter, welche diesen überlebte. Weiteres über
diese der Frau Rat so ärgerliche Verbindung habe ich nicht gefunden. Im
Frühjahr 1808 hatte Goethes Mutter noch die Freude, den nach Heidelberg
zum Studium der Rechtswissenschaft reisenden August bei sich zu begrüßen;
wenige Monate später, am 13. September, verschied sie. Erst nach ihrem
Tode wandten Nicolovius und dessen Gattin vor ihrer Versetzung nach Berlin
sich an Goethe, der ihnen dankte, daß sie, da das alte Band sich aufgelöst,
ein neues anknüpfen wollten. Als Goethes Sohn und Gattin der Erbteilung
wegen nach Frankfurt kamen, wohnten sie bei der Witwe des Schöffen Schlosser,
dessen beide Söhne den Dichter verehrten. Hier wie bei den Verwandten und
Freunden fanden sie die freundschaftlichste Aufnahme. Alle hatten beide herzlich
gern, wie ein schöner Brief von Henriette Schlosser beweist. Diese verlobte
sich am 9. April 1809 mit dem Kaufmann David Hasenclever in Ehringhauseu.
Nach der am 20. August gefeierten Hochzeit folgte ihnen die Mutter, welche in
ihrer Nähe zu Düsseldorf ihre Wohnung nahm; ihren wackern Sohn Eduard,
der als Oberchirurg in Königsberg angestellt war, hatte ihr schon zwei Jahre
vorher, am 26. Mai 1807, ein Lazaretfieber geraubt. Der letzte Schwager
der Frau Rat, Oberst und Stadtkommandant Schuler, starb am 19. Juli 1810.

Goethe hatte die Betreibung seiner Frankfurter Angelegenheiten dem so
umsichtigen wie rechtsgewandten Fritz Schlosser übergeben. Dessen Vermittlung
nahm er auch in Anspruch, als er bei Abfassung des ersten Bandes seines
Lebens genauere Nachrichten über Frankfurt und seine Familie zu erhalten
wünschte. Unter denjenigen, die solche auf seinen Wunsch lieferten, nahm die
alte Tante Mekher die erste Stelle ein. In Erwiederung von Goethes Dank¬
brief bat Schlosser diesen, auch seines Tübinger Vetters zu gedenken. Der
Herzog schlug dessen wiederholtes Gesuch um eine außerordentliche Professur ab.
Goethe erwiederte am 20. Juli: „Des Herrn Professor Textor in Tübingen
werde ich nicht ermangeln gehörigen Orts zu gedenken." Aber da Textor sich
weder als Schriftsteller einen Namen gemacht hatte, noch trotz allem Fleiße Erfolge
als Lehrer nachweisen konnte, durfte er umso weniger ihn dringend empfehlen,
als die Klatschsucht die Anstellung eines Vetters von Goethe an der sehr
heruntergekommenen Hochschule Jena leidenschaftlich aufgegriffen haben würde.
Später schickte Rat Textor Goethe zu dessen höchster Freude durch Schlosser
ein Paar Handschuhe, wie sie seinem Großvater beim Pfeifergericht überreicht
worden waren. Seine Nichte Nieolovius, die ihn im Januar 1810 mit einem
herrlichen, ihr schönes Wesen entfaltenden Briefe erfreut hatte, kam am 11. Mai


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[0432] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. Folge hatte. Ein Stadt- und Landgericht trat an die Stelle der Stadtämterz Fritz Schlosser ward zum Rate desselben ernannt. Das Schöffengericht wurde Appellhof, das Oberappellationsgericht kam nach Aschaffenburg. Der den: Privatdozenten in Tübingen am 28. Mai 1807 geborene Sohn Wolfgang Friedrich Alexander starb schon im vierten Monate. In demselben Jahre ver¬ schied der Gatte von Starcks Tochter, welche diesen überlebte. Weiteres über diese der Frau Rat so ärgerliche Verbindung habe ich nicht gefunden. Im Frühjahr 1808 hatte Goethes Mutter noch die Freude, den nach Heidelberg zum Studium der Rechtswissenschaft reisenden August bei sich zu begrüßen; wenige Monate später, am 13. September, verschied sie. Erst nach ihrem Tode wandten Nicolovius und dessen Gattin vor ihrer Versetzung nach Berlin sich an Goethe, der ihnen dankte, daß sie, da das alte Band sich aufgelöst, ein neues anknüpfen wollten. Als Goethes Sohn und Gattin der Erbteilung wegen nach Frankfurt kamen, wohnten sie bei der Witwe des Schöffen Schlosser, dessen beide Söhne den Dichter verehrten. Hier wie bei den Verwandten und Freunden fanden sie die freundschaftlichste Aufnahme. Alle hatten beide herzlich gern, wie ein schöner Brief von Henriette Schlosser beweist. Diese verlobte sich am 9. April 1809 mit dem Kaufmann David Hasenclever in Ehringhauseu. Nach der am 20. August gefeierten Hochzeit folgte ihnen die Mutter, welche in ihrer Nähe zu Düsseldorf ihre Wohnung nahm; ihren wackern Sohn Eduard, der als Oberchirurg in Königsberg angestellt war, hatte ihr schon zwei Jahre vorher, am 26. Mai 1807, ein Lazaretfieber geraubt. Der letzte Schwager der Frau Rat, Oberst und Stadtkommandant Schuler, starb am 19. Juli 1810. Goethe hatte die Betreibung seiner Frankfurter Angelegenheiten dem so umsichtigen wie rechtsgewandten Fritz Schlosser übergeben. Dessen Vermittlung nahm er auch in Anspruch, als er bei Abfassung des ersten Bandes seines Lebens genauere Nachrichten über Frankfurt und seine Familie zu erhalten wünschte. Unter denjenigen, die solche auf seinen Wunsch lieferten, nahm die alte Tante Mekher die erste Stelle ein. In Erwiederung von Goethes Dank¬ brief bat Schlosser diesen, auch seines Tübinger Vetters zu gedenken. Der Herzog schlug dessen wiederholtes Gesuch um eine außerordentliche Professur ab. Goethe erwiederte am 20. Juli: „Des Herrn Professor Textor in Tübingen werde ich nicht ermangeln gehörigen Orts zu gedenken." Aber da Textor sich weder als Schriftsteller einen Namen gemacht hatte, noch trotz allem Fleiße Erfolge als Lehrer nachweisen konnte, durfte er umso weniger ihn dringend empfehlen, als die Klatschsucht die Anstellung eines Vetters von Goethe an der sehr heruntergekommenen Hochschule Jena leidenschaftlich aufgegriffen haben würde. Später schickte Rat Textor Goethe zu dessen höchster Freude durch Schlosser ein Paar Handschuhe, wie sie seinem Großvater beim Pfeifergericht überreicht worden waren. Seine Nichte Nieolovius, die ihn im Januar 1810 mit einem herrlichen, ihr schönes Wesen entfaltenden Briefe erfreut hatte, kam am 11. Mai

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/432>, abgerufen am 28.07.2024.