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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Hamerlings Homunculus.

allein er kann damit die Langeweile und den unfreiwilligen Müßiggang des
Judenvolkes nicht aufheben. Auch der alte Ahasver war mitgekommen. Auf ihn

Blickten seine Stammgenossen,
Wie vordem mit Stolz und Ehrfurcht,
Jetzt mit sche-kam, düstern Augen:
Ach, des Stamms unsterblich Leben,
Dessen Bild in ihm sie schauten,
Allgemach zum Fluche schien es
Ihnen allen nun zu werden:
Müde Wandrer ti'alten sie sich,
Alle nun und sie erfaßte
Überdruß am Erdcndnsein.

Indessen hat aber die Christenheit im Westen die Juden auch vermißt:

Öde warm alle Börsen,
Lahn der Schwung des Spekulirens,
In der Tagespresse machte
Bald ein Mangel an Reportern,
Unverfrorenen, sich geltend.
Überhand nahm ganz entsetzlich
Kunst und Poesie; die Mäuse,
In Abwesenheit der Katzen,
Tanzten auf dem Muscnbcrge.

Folglich sendet die Christenheit eine Deputation ins neue Judenreich, welche
die Juden zur Heimkehr einlädt:

Unter der Bedingung einzig,
Daß die Wechsel, die in Händen
Annoch sind der Abramssöhnc,
Lautend auf des Westens Völker
Christlichen Geblüts, für immer
sei'n vertilgt, verbrannt, zerrissen
An dem Tag der Wiederkehr.

Jubelnd nehmen die Juden diese Einladung an und lassen den soeben gekreuzigten
Homunculus am Marterholze hängen, einzig bewacht und betrauert von Ahasver.
Ja, sie haben ihren König gekreuzigt, denn er hat ihnen etwas zugemutet, was
Wider ihre Natur ist. Er hat sie zu großen kriegerischen, weltcrobernden Thaten
bewegen wollen, was freilich jüdische Art nicht war, da sie bloß durch des
Geistes blutlose Waffen die Welt zu erobern wünschten.

Zweifellos ist die Szene: Homunculus am Kreuze, von dem eignen Juden¬
volke verraten und eine ganze lange Nacht bewacht von Ahasver, dem ewigen
Juden oder vielmehr, im Sinne Hamerlings, dem Genius der Menschheit selbst,
der ihn trotz aller seiner Sünden nicht verläßt, von großer poetischer Wirkung.
Eine erhabene Ironie schließt damit die Tragikomödie des Homunculischeu
Königreichs. Die Szene ist poetisch rein, denn sie wirkt nicht erst als Allegorie,
nicht dnrch einen verborgenen Gedanken, sondern unmittelbar als Bild für sich
selbst. Und sie schließt auch den eigentümlichen Antisemitismus Hamerlings
bedeutend ab. Hamerlings Judenhaß ist poetisch-subjektiver Natur. Er, der
dichterische Gemütsmensch, haßt eine vorzüglich auf zersetzende Verstandesthätig¬
keit begründete Menschenbildung. Er gesteht objektiv ihre Notwendigkeit für


Hamerlings Homunculus.

allein er kann damit die Langeweile und den unfreiwilligen Müßiggang des
Judenvolkes nicht aufheben. Auch der alte Ahasver war mitgekommen. Auf ihn

Blickten seine Stammgenossen,
Wie vordem mit Stolz und Ehrfurcht,
Jetzt mit sche-kam, düstern Augen:
Ach, des Stamms unsterblich Leben,
Dessen Bild in ihm sie schauten,
Allgemach zum Fluche schien es
Ihnen allen nun zu werden:
Müde Wandrer ti'alten sie sich,
Alle nun und sie erfaßte
Überdruß am Erdcndnsein.

Indessen hat aber die Christenheit im Westen die Juden auch vermißt:

Öde warm alle Börsen,
Lahn der Schwung des Spekulirens,
In der Tagespresse machte
Bald ein Mangel an Reportern,
Unverfrorenen, sich geltend.
Überhand nahm ganz entsetzlich
Kunst und Poesie; die Mäuse,
In Abwesenheit der Katzen,
Tanzten auf dem Muscnbcrge.

Folglich sendet die Christenheit eine Deputation ins neue Judenreich, welche
die Juden zur Heimkehr einlädt:

Unter der Bedingung einzig,
Daß die Wechsel, die in Händen
Annoch sind der Abramssöhnc,
Lautend auf des Westens Völker
Christlichen Geblüts, für immer
sei'n vertilgt, verbrannt, zerrissen
An dem Tag der Wiederkehr.

Jubelnd nehmen die Juden diese Einladung an und lassen den soeben gekreuzigten
Homunculus am Marterholze hängen, einzig bewacht und betrauert von Ahasver.
Ja, sie haben ihren König gekreuzigt, denn er hat ihnen etwas zugemutet, was
Wider ihre Natur ist. Er hat sie zu großen kriegerischen, weltcrobernden Thaten
bewegen wollen, was freilich jüdische Art nicht war, da sie bloß durch des
Geistes blutlose Waffen die Welt zu erobern wünschten.

Zweifellos ist die Szene: Homunculus am Kreuze, von dem eignen Juden¬
volke verraten und eine ganze lange Nacht bewacht von Ahasver, dem ewigen
Juden oder vielmehr, im Sinne Hamerlings, dem Genius der Menschheit selbst,
der ihn trotz aller seiner Sünden nicht verläßt, von großer poetischer Wirkung.
Eine erhabene Ironie schließt damit die Tragikomödie des Homunculischeu
Königreichs. Die Szene ist poetisch rein, denn sie wirkt nicht erst als Allegorie,
nicht dnrch einen verborgenen Gedanken, sondern unmittelbar als Bild für sich
selbst. Und sie schließt auch den eigentümlichen Antisemitismus Hamerlings
bedeutend ab. Hamerlings Judenhaß ist poetisch-subjektiver Natur. Er, der
dichterische Gemütsmensch, haßt eine vorzüglich auf zersetzende Verstandesthätig¬
keit begründete Menschenbildung. Er gesteht objektiv ihre Notwendigkeit für


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[0043] Hamerlings Homunculus. allein er kann damit die Langeweile und den unfreiwilligen Müßiggang des Judenvolkes nicht aufheben. Auch der alte Ahasver war mitgekommen. Auf ihn Blickten seine Stammgenossen, Wie vordem mit Stolz und Ehrfurcht, Jetzt mit sche-kam, düstern Augen: Ach, des Stamms unsterblich Leben, Dessen Bild in ihm sie schauten, Allgemach zum Fluche schien es Ihnen allen nun zu werden: Müde Wandrer ti'alten sie sich, Alle nun und sie erfaßte Überdruß am Erdcndnsein. Indessen hat aber die Christenheit im Westen die Juden auch vermißt: Öde warm alle Börsen, Lahn der Schwung des Spekulirens, In der Tagespresse machte Bald ein Mangel an Reportern, Unverfrorenen, sich geltend. Überhand nahm ganz entsetzlich Kunst und Poesie; die Mäuse, In Abwesenheit der Katzen, Tanzten auf dem Muscnbcrge. Folglich sendet die Christenheit eine Deputation ins neue Judenreich, welche die Juden zur Heimkehr einlädt: Unter der Bedingung einzig, Daß die Wechsel, die in Händen Annoch sind der Abramssöhnc, Lautend auf des Westens Völker Christlichen Geblüts, für immer sei'n vertilgt, verbrannt, zerrissen An dem Tag der Wiederkehr. Jubelnd nehmen die Juden diese Einladung an und lassen den soeben gekreuzigten Homunculus am Marterholze hängen, einzig bewacht und betrauert von Ahasver. Ja, sie haben ihren König gekreuzigt, denn er hat ihnen etwas zugemutet, was Wider ihre Natur ist. Er hat sie zu großen kriegerischen, weltcrobernden Thaten bewegen wollen, was freilich jüdische Art nicht war, da sie bloß durch des Geistes blutlose Waffen die Welt zu erobern wünschten. Zweifellos ist die Szene: Homunculus am Kreuze, von dem eignen Juden¬ volke verraten und eine ganze lange Nacht bewacht von Ahasver, dem ewigen Juden oder vielmehr, im Sinne Hamerlings, dem Genius der Menschheit selbst, der ihn trotz aller seiner Sünden nicht verläßt, von großer poetischer Wirkung. Eine erhabene Ironie schließt damit die Tragikomödie des Homunculischeu Königreichs. Die Szene ist poetisch rein, denn sie wirkt nicht erst als Allegorie, nicht dnrch einen verborgenen Gedanken, sondern unmittelbar als Bild für sich selbst. Und sie schließt auch den eigentümlichen Antisemitismus Hamerlings bedeutend ab. Hamerlings Judenhaß ist poetisch-subjektiver Natur. Er, der dichterische Gemütsmensch, haßt eine vorzüglich auf zersetzende Verstandesthätig¬ keit begründete Menschenbildung. Er gesteht objektiv ihre Notwendigkeit für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/43>, abgerufen am 28.07.2024.