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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Hamerlings Homunculus.

Dies ist die Peripetie des Homunculischen Daseins. Nun ist er mit der
Welt unzufrieden. Er will sie verbessern, er will ein ganz neues Geschlecht
erziehen und wird Pädagog -- der Affen. Warum nicht? Sind doch die
Menschen ursprünglich selbst Affen gewesen. Allein so gelehrig diese Tiere sind
und so vortrefflich ihnen alle Wissenschaften mit Hilfe der neuesten Lehr¬
methoden beigebracht werden -- Menschen werden sie doch nicht, denn auch
ihnen fehlt das spezifisch Menschliche: Seele. Die Affen werden aber übermütig
und wollen die Menschheit, Homunculus selbst, tyrannisiren, und so nimmt sein
Versuch ein schmähliches Ende -- ein Stück Phantastik ohne symbolischen Ge¬
halt, für das man sich kaum erwärmen kann. Er muß sich flüchten.

Nun aber soll er den "Triumph des Homunkeltums" erleben, und dieses
Kapitel ist eines der pocsievollsten des ganzen Buches, obgleich es am meisten
Gegner gefunden hat. "Im neuen Reiche Israel" ist es überschrieben, und
Hamcrling hat hierin in seiner Weise Stellung zur Judenfrage genommen. Sein
Ausgang ist der uralte Gegensatz der Rasse: der toswr ^uclaeoruin, gegen
den die Christen wieder einmal empfindlich geworden sind.

Zur Entäuß'rung des Geruches
Ward dem Judenvolk die Taufe
Von den Christen warm empfohlen.
Je entschiedener die Christen,
Aufgeklärt, sich selbst vermaßen,
Christen nicht mehr sein zu wollen,
Desto dringender verlangten
Sie von Juden, es zu werden.

Er betont aber auch die Charaktergegensätze der Nationen und bezeichnet die
Auswüchse der Zeit selbst als jüdisch, indem er sagt:

Und noch manches andre Jüd'sche
Stand, so dünkt es ihn, erheblich
Nahe seinem eignen Wesen,
Nahe dem Homunculismus.
El, wie wärs, wenn ers versuchte
Nun zuletzt noch mit den Juden?
Mit geheimen Sympathien
Sah sich hingezogen Mnnkel
Zu dem unterdrückten Volke.
Jüd'scher Sinn und jüd'sches Wesen,
Jüdischen Verstandes Scharfe,
Akzente, wie Scheidewasser,
Jüd'sche drcistverschlagne Thatkraft

Die Christenheit, welche den Juden viele Wechsel und Schuldscheine gegeben
hat, erklärt sich Bankerott und will die Wechsel nicht einlösen; die Juden daher
ziehen mit Klagen und Trauer nach Jeruschalajim aus. Munkel, der sich hat
beschneiden lassen, wird dort ihr König. Allein die Juden unter sich langweilen
sich auch, sie können mit einander keine Geschäfte machen, Rothschild geht kopf¬
hängerisch einher, Fritz Mauthner persistirt sich selber, selbst Daniel spitzer
nagt an der Feder. Mnnkel, der inzwischen die wiedergefundene Lurlei zu
seiner Königin gemacht hat, will sich als Messias, und zwar nicht wie der
Galiläer als einer des Herzens, sondern als einer des Verstandes geberden;


Hamerlings Homunculus.

Dies ist die Peripetie des Homunculischen Daseins. Nun ist er mit der
Welt unzufrieden. Er will sie verbessern, er will ein ganz neues Geschlecht
erziehen und wird Pädagog — der Affen. Warum nicht? Sind doch die
Menschen ursprünglich selbst Affen gewesen. Allein so gelehrig diese Tiere sind
und so vortrefflich ihnen alle Wissenschaften mit Hilfe der neuesten Lehr¬
methoden beigebracht werden — Menschen werden sie doch nicht, denn auch
ihnen fehlt das spezifisch Menschliche: Seele. Die Affen werden aber übermütig
und wollen die Menschheit, Homunculus selbst, tyrannisiren, und so nimmt sein
Versuch ein schmähliches Ende — ein Stück Phantastik ohne symbolischen Ge¬
halt, für das man sich kaum erwärmen kann. Er muß sich flüchten.

Nun aber soll er den „Triumph des Homunkeltums" erleben, und dieses
Kapitel ist eines der pocsievollsten des ganzen Buches, obgleich es am meisten
Gegner gefunden hat. „Im neuen Reiche Israel" ist es überschrieben, und
Hamcrling hat hierin in seiner Weise Stellung zur Judenfrage genommen. Sein
Ausgang ist der uralte Gegensatz der Rasse: der toswr ^uclaeoruin, gegen
den die Christen wieder einmal empfindlich geworden sind.

Zur Entäuß'rung des Geruches
Ward dem Judenvolk die Taufe
Von den Christen warm empfohlen.
Je entschiedener die Christen,
Aufgeklärt, sich selbst vermaßen,
Christen nicht mehr sein zu wollen,
Desto dringender verlangten
Sie von Juden, es zu werden.

Er betont aber auch die Charaktergegensätze der Nationen und bezeichnet die
Auswüchse der Zeit selbst als jüdisch, indem er sagt:

Und noch manches andre Jüd'sche
Stand, so dünkt es ihn, erheblich
Nahe seinem eignen Wesen,
Nahe dem Homunculismus.
El, wie wärs, wenn ers versuchte
Nun zuletzt noch mit den Juden?
Mit geheimen Sympathien
Sah sich hingezogen Mnnkel
Zu dem unterdrückten Volke.
Jüd'scher Sinn und jüd'sches Wesen,
Jüdischen Verstandes Scharfe,
Akzente, wie Scheidewasser,
Jüd'sche drcistverschlagne Thatkraft

Die Christenheit, welche den Juden viele Wechsel und Schuldscheine gegeben
hat, erklärt sich Bankerott und will die Wechsel nicht einlösen; die Juden daher
ziehen mit Klagen und Trauer nach Jeruschalajim aus. Munkel, der sich hat
beschneiden lassen, wird dort ihr König. Allein die Juden unter sich langweilen
sich auch, sie können mit einander keine Geschäfte machen, Rothschild geht kopf¬
hängerisch einher, Fritz Mauthner persistirt sich selber, selbst Daniel spitzer
nagt an der Feder. Mnnkel, der inzwischen die wiedergefundene Lurlei zu
seiner Königin gemacht hat, will sich als Messias, und zwar nicht wie der
Galiläer als einer des Herzens, sondern als einer des Verstandes geberden;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/42>, abgerufen am 29.07.2024.