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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Hamerlings Homunculus.
In die Welt hinausgewandert
Ist sie, Menschenloos zu kosten!
Hat vertauscht des Nixenschleiers
Gaze mit Brabcmterspitzen.

Auch das Weib hat sich in unsrer Zeit -- sagt Hamerling in poetischer
Weise -- sowohl persönlich, als im Ideal der Männer vergröbert, materialistisch
gestaltet, die Zeit der Romantik, wo schwärmerische Schiffer sie mit Heines
Liede anfangen, ist dahin.

Als dann endlich gar ein Steinbruch
Ward in meinem Berg eröffnet --
Hätt' ich da noch zögern sollen,
Selber auch Reißaus zu nehmen,
Selbst zu suchen auch das Weite?
Zur Theatcrdame war ich
Bald nun selbst geworden, übte
Meine alte Kunst des Singens
Und Bezaubcrns auf den Brettern,
Und mit besserem Erfolge.

Auch sie hat allerlei Schicksale durchgemacht, ist Zirkusreiterin geworden, Kan-
kantänzerin, emanzipirtes Mannweib, politische Agentin, Nihilistin, Dottoressa,
auch fromm ist sie geworden, alles ohne Befriedigung. Denn zu lieben hat sie
nie vermocht, so oft sie auch den Anlauf dazu genommen hat. Trost schöpft
sie aus der Frage:

Lurlei sich als problemat'sche
Frau'nnatur, Ms as umrbrs,
Als ein Wesen, das doch immer
Neu als Nixe sich bewährte,
Als die Tochter feuchter Kühle,
Kühler Feuchte, schön. dämonisch,
Eins der echten Musterbilder
Von des Weibs "allzunahe'ger Ohnmacht.
Ihr Beruf war: nachzutrachten
Einem Ideal vom Manne;
So versuchend, stets zu lieben,
Liebte nie sie, liebte immer.
Lohnt sichs, einen Mann zu lieben?
Einer, dem ein Weib anhängen
Und an welchem es sich halten
Sollte, müßt' er nicht erst selber
Fcststehn auf den eignen Füßen?
Aber niemals an den Männern,
Die zu lieben ich versuchte,
Hab' ich solchen Halt gesunden.
So und mit viel andern Worten
Und Erzählungen enthüllte
Ihrem aufmerksamen Hörer

Nur einen Mann soll sie, nach einer alten Prophezeiung, endlich dauernd lieben
können, einen solchen, der nicht von Menschen gezeugt ist. Homunculus ist
darüber voller Freude, denn er ist ja ein solcher: er wurde erzeugt, nicht ge¬
zeugt. Lurlei ist einverstanden, ihn zu heiraten. Das Heiratsgut liegt schon
bereit, es ist der Schatz der Nibelungen, dessen geheimes Versteck sie kennt, auch
versteht sie, den ihn bewachenden Drachen einzuschläfern, Munkel tötet ihn,
indem er die sechsunddreißig locker eingesetzten Schwänze ausreißt. Köstlich ist
der beiderseitige Versuch, einander zu überlisten, Lurlei und Munkel erkennen,
daß sie sich an Schlauheit nichts nachgeben. Mit dem eingeschmolzenen Schatz


Hamerlings Homunculus.
In die Welt hinausgewandert
Ist sie, Menschenloos zu kosten!
Hat vertauscht des Nixenschleiers
Gaze mit Brabcmterspitzen.

Auch das Weib hat sich in unsrer Zeit — sagt Hamerling in poetischer
Weise — sowohl persönlich, als im Ideal der Männer vergröbert, materialistisch
gestaltet, die Zeit der Romantik, wo schwärmerische Schiffer sie mit Heines
Liede anfangen, ist dahin.

Als dann endlich gar ein Steinbruch
Ward in meinem Berg eröffnet —
Hätt' ich da noch zögern sollen,
Selber auch Reißaus zu nehmen,
Selbst zu suchen auch das Weite?
Zur Theatcrdame war ich
Bald nun selbst geworden, übte
Meine alte Kunst des Singens
Und Bezaubcrns auf den Brettern,
Und mit besserem Erfolge.

Auch sie hat allerlei Schicksale durchgemacht, ist Zirkusreiterin geworden, Kan-
kantänzerin, emanzipirtes Mannweib, politische Agentin, Nihilistin, Dottoressa,
auch fromm ist sie geworden, alles ohne Befriedigung. Denn zu lieben hat sie
nie vermocht, so oft sie auch den Anlauf dazu genommen hat. Trost schöpft
sie aus der Frage:

Lurlei sich als problemat'sche
Frau'nnatur, Ms as umrbrs,
Als ein Wesen, das doch immer
Neu als Nixe sich bewährte,
Als die Tochter feuchter Kühle,
Kühler Feuchte, schön. dämonisch,
Eins der echten Musterbilder
Von des Weibs „allzunahe'ger Ohnmacht.
Ihr Beruf war: nachzutrachten
Einem Ideal vom Manne;
So versuchend, stets zu lieben,
Liebte nie sie, liebte immer.
Lohnt sichs, einen Mann zu lieben?
Einer, dem ein Weib anhängen
Und an welchem es sich halten
Sollte, müßt' er nicht erst selber
Fcststehn auf den eignen Füßen?
Aber niemals an den Männern,
Die zu lieben ich versuchte,
Hab' ich solchen Halt gesunden.
So und mit viel andern Worten
Und Erzählungen enthüllte
Ihrem aufmerksamen Hörer

Nur einen Mann soll sie, nach einer alten Prophezeiung, endlich dauernd lieben
können, einen solchen, der nicht von Menschen gezeugt ist. Homunculus ist
darüber voller Freude, denn er ist ja ein solcher: er wurde erzeugt, nicht ge¬
zeugt. Lurlei ist einverstanden, ihn zu heiraten. Das Heiratsgut liegt schon
bereit, es ist der Schatz der Nibelungen, dessen geheimes Versteck sie kennt, auch
versteht sie, den ihn bewachenden Drachen einzuschläfern, Munkel tötet ihn,
indem er die sechsunddreißig locker eingesetzten Schwänze ausreißt. Köstlich ist
der beiderseitige Versuch, einander zu überlisten, Lurlei und Munkel erkennen,
daß sie sich an Schlauheit nichts nachgeben. Mit dem eingeschmolzenen Schatz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/40>, abgerufen am 01.09.2024.