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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Neuphilologie.

Denn etwas Entwürdigendes ist es allerdings, daß so viele deutsche Knaben und
Mädchen, welche voraussichtlich der Sprechfertigkeit im Französischen und Eng¬
lischen im spätern Leben ernsthaft nie bedürfen werden, doch auf den Erwerb
derselben viel Zeit und Kraft verwenden müssen, Zeit und Kraft, die wahrhaftig
besser gebraucht werden könnten. Den in Deutschland reisenden Engländern und
Franzosen mag es ja recht angenehm scheinen, der Mühe des Deutschsprechen-
lerncns dadurch überhoben zu sein, daß sie allenthalben Leute finden, welche
Englisch und Französisch mit mehr oder weniger Geschick radebrechen -- denn
über ein Nadebrechen kommt es meist doch nicht hinaus --, aber warum soll
diesen Fremdlingen zuliebe unsre Jugend sich quälen? . . . Der Deutsche möge
dem verfehlten Ehrgeize entsagen, ohne Not in fremden Zungen reden zu wollen,
er möge sich befreien von dem Wahne, daß Sprechfertigkeit im Französischen
oder Englischen notwendig zur "höhern" Bildung sei. Es ist doch wahrhaftig
leicht genug, zu besserer Einsicht zu gelangen. Wer in Deutschland aus irgend
welchem Grunde die Sprechfertigkeit etwa im Spanischen oder Russischen zu
besitzen wünscht, der sucht sich dieselbe eben irgendwie zu erwerben. Andre
Leute aber denken gar nicht daran und würden mit allem Rechte an dem ge¬
sunden Verstände dessen zweifeln, der ihnen, weil sie nicht spanisch oder russisch
zu sprechen verstehen, Mangel an Bildung vorwerfen wollte. Was aber vom
Spanischen oder Russischen gilt -- und es werde hier daran erinnert, daß
sowohl das eine wie das andre eine weitverbreitete und hochentwickelte Kultur¬
sprache ist --, das sollte logischerweise, soweit die Sprachfertigkeit in Betracht
kommt, auch vom Französischen und Englischen gelten."

Es ist nur natürlich, daß Körting mit seinen pädagogischen und edel
nationalen Grundsätzen (und er verwahrt sich oft und ausdrücklich und mit
Recht dagegen, diese als beschränkten Chauvinismus zu verdächtigen, er begründet
sie stets und überzeugend mit wissenschaftlichen Gründen) kein Freund der "Sprach¬
stümperei" in der "höhern Töchterschule" sein kann, ein Kapitel, welches er in
einem eignen Essay (8.) behandelt. "Es wird in Deutschland viel zu viel Wert
auf das Parliren fremder Sprachen gelegt. Es ist das teils die Nachwirkung
früherer Verhältnisse, welche nichts weniger als erfreulich waren, teils und
vielleicht hauptsächlich aber, wenigstens in Bezug auf die weibliche Erziehung,
eine von den vielen Erscheinungsformen der leider so weit verbreiteten heillosen
Vornehmthuerei. Französisch radebrechen zu können, gilt nach landläufiger
Meinung als Zeichen höherer weiblicher Bildung. Das ist nun einmal alte
Tradition, und zumeist ihr zuliebe steht die klägliche Sprachstümperei in den
"höhern Töchterschulen" so in Blüte. Die meisten Leiter und Leiterinnen,
Lehrer und Lehrerinnen dieser Anstalten sehen ohne Zweifel den ganzen Jammer
dieses Zustandes ein oder empfinden ihn doch seufzend beim Unterricht; wenn
es auf sie ankäme, wäre die Sache wohl längst geändert worden, aber das
liebe Publikum will von einer Änderung nichts wissen, und insbesondre die


Neuphilologie.

Denn etwas Entwürdigendes ist es allerdings, daß so viele deutsche Knaben und
Mädchen, welche voraussichtlich der Sprechfertigkeit im Französischen und Eng¬
lischen im spätern Leben ernsthaft nie bedürfen werden, doch auf den Erwerb
derselben viel Zeit und Kraft verwenden müssen, Zeit und Kraft, die wahrhaftig
besser gebraucht werden könnten. Den in Deutschland reisenden Engländern und
Franzosen mag es ja recht angenehm scheinen, der Mühe des Deutschsprechen-
lerncns dadurch überhoben zu sein, daß sie allenthalben Leute finden, welche
Englisch und Französisch mit mehr oder weniger Geschick radebrechen — denn
über ein Nadebrechen kommt es meist doch nicht hinaus —, aber warum soll
diesen Fremdlingen zuliebe unsre Jugend sich quälen? . . . Der Deutsche möge
dem verfehlten Ehrgeize entsagen, ohne Not in fremden Zungen reden zu wollen,
er möge sich befreien von dem Wahne, daß Sprechfertigkeit im Französischen
oder Englischen notwendig zur „höhern" Bildung sei. Es ist doch wahrhaftig
leicht genug, zu besserer Einsicht zu gelangen. Wer in Deutschland aus irgend
welchem Grunde die Sprechfertigkeit etwa im Spanischen oder Russischen zu
besitzen wünscht, der sucht sich dieselbe eben irgendwie zu erwerben. Andre
Leute aber denken gar nicht daran und würden mit allem Rechte an dem ge¬
sunden Verstände dessen zweifeln, der ihnen, weil sie nicht spanisch oder russisch
zu sprechen verstehen, Mangel an Bildung vorwerfen wollte. Was aber vom
Spanischen oder Russischen gilt — und es werde hier daran erinnert, daß
sowohl das eine wie das andre eine weitverbreitete und hochentwickelte Kultur¬
sprache ist —, das sollte logischerweise, soweit die Sprachfertigkeit in Betracht
kommt, auch vom Französischen und Englischen gelten."

Es ist nur natürlich, daß Körting mit seinen pädagogischen und edel
nationalen Grundsätzen (und er verwahrt sich oft und ausdrücklich und mit
Recht dagegen, diese als beschränkten Chauvinismus zu verdächtigen, er begründet
sie stets und überzeugend mit wissenschaftlichen Gründen) kein Freund der „Sprach¬
stümperei" in der „höhern Töchterschule" sein kann, ein Kapitel, welches er in
einem eignen Essay (8.) behandelt. „Es wird in Deutschland viel zu viel Wert
auf das Parliren fremder Sprachen gelegt. Es ist das teils die Nachwirkung
früherer Verhältnisse, welche nichts weniger als erfreulich waren, teils und
vielleicht hauptsächlich aber, wenigstens in Bezug auf die weibliche Erziehung,
eine von den vielen Erscheinungsformen der leider so weit verbreiteten heillosen
Vornehmthuerei. Französisch radebrechen zu können, gilt nach landläufiger
Meinung als Zeichen höherer weiblicher Bildung. Das ist nun einmal alte
Tradition, und zumeist ihr zuliebe steht die klägliche Sprachstümperei in den
„höhern Töchterschulen" so in Blüte. Die meisten Leiter und Leiterinnen,
Lehrer und Lehrerinnen dieser Anstalten sehen ohne Zweifel den ganzen Jammer
dieses Zustandes ein oder empfinden ihn doch seufzend beim Unterricht; wenn
es auf sie ankäme, wäre die Sache wohl längst geändert worden, aber das
liebe Publikum will von einer Änderung nichts wissen, und insbesondre die


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[0373] Neuphilologie. Denn etwas Entwürdigendes ist es allerdings, daß so viele deutsche Knaben und Mädchen, welche voraussichtlich der Sprechfertigkeit im Französischen und Eng¬ lischen im spätern Leben ernsthaft nie bedürfen werden, doch auf den Erwerb derselben viel Zeit und Kraft verwenden müssen, Zeit und Kraft, die wahrhaftig besser gebraucht werden könnten. Den in Deutschland reisenden Engländern und Franzosen mag es ja recht angenehm scheinen, der Mühe des Deutschsprechen- lerncns dadurch überhoben zu sein, daß sie allenthalben Leute finden, welche Englisch und Französisch mit mehr oder weniger Geschick radebrechen — denn über ein Nadebrechen kommt es meist doch nicht hinaus —, aber warum soll diesen Fremdlingen zuliebe unsre Jugend sich quälen? . . . Der Deutsche möge dem verfehlten Ehrgeize entsagen, ohne Not in fremden Zungen reden zu wollen, er möge sich befreien von dem Wahne, daß Sprechfertigkeit im Französischen oder Englischen notwendig zur „höhern" Bildung sei. Es ist doch wahrhaftig leicht genug, zu besserer Einsicht zu gelangen. Wer in Deutschland aus irgend welchem Grunde die Sprechfertigkeit etwa im Spanischen oder Russischen zu besitzen wünscht, der sucht sich dieselbe eben irgendwie zu erwerben. Andre Leute aber denken gar nicht daran und würden mit allem Rechte an dem ge¬ sunden Verstände dessen zweifeln, der ihnen, weil sie nicht spanisch oder russisch zu sprechen verstehen, Mangel an Bildung vorwerfen wollte. Was aber vom Spanischen oder Russischen gilt — und es werde hier daran erinnert, daß sowohl das eine wie das andre eine weitverbreitete und hochentwickelte Kultur¬ sprache ist —, das sollte logischerweise, soweit die Sprachfertigkeit in Betracht kommt, auch vom Französischen und Englischen gelten." Es ist nur natürlich, daß Körting mit seinen pädagogischen und edel nationalen Grundsätzen (und er verwahrt sich oft und ausdrücklich und mit Recht dagegen, diese als beschränkten Chauvinismus zu verdächtigen, er begründet sie stets und überzeugend mit wissenschaftlichen Gründen) kein Freund der „Sprach¬ stümperei" in der „höhern Töchterschule" sein kann, ein Kapitel, welches er in einem eignen Essay (8.) behandelt. „Es wird in Deutschland viel zu viel Wert auf das Parliren fremder Sprachen gelegt. Es ist das teils die Nachwirkung früherer Verhältnisse, welche nichts weniger als erfreulich waren, teils und vielleicht hauptsächlich aber, wenigstens in Bezug auf die weibliche Erziehung, eine von den vielen Erscheinungsformen der leider so weit verbreiteten heillosen Vornehmthuerei. Französisch radebrechen zu können, gilt nach landläufiger Meinung als Zeichen höherer weiblicher Bildung. Das ist nun einmal alte Tradition, und zumeist ihr zuliebe steht die klägliche Sprachstümperei in den „höhern Töchterschulen" so in Blüte. Die meisten Leiter und Leiterinnen, Lehrer und Lehrerinnen dieser Anstalten sehen ohne Zweifel den ganzen Jammer dieses Zustandes ein oder empfinden ihn doch seufzend beim Unterricht; wenn es auf sie ankäme, wäre die Sache wohl längst geändert worden, aber das liebe Publikum will von einer Änderung nichts wissen, und insbesondre die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/373>, abgerufen am 01.09.2024.