Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Die Unpopularität der Jurisprudenz. ländischen Ausdrucksform ab. Von Tag zu Tage wird seine Sprache, in der Die Unpopularität der Jurisprudenz. ländischen Ausdrucksform ab. Von Tag zu Tage wird seine Sprache, in der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203145"/> <fw type="header" place="top"> Die Unpopularität der Jurisprudenz.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1196" prev="#ID_1195"> ländischen Ausdrucksform ab. Von Tag zu Tage wird seine Sprache, in der<lb/> Rede wie in der Schrift, schlichter und einfacher, immer mehr schält sie die<lb/> blütenreichen Phrasen des byzantinischen Stils und die spitzfindigen Haar¬<lb/> spaltereien des scholastischen Wesens von sich ab, um den schlichten, gemein¬<lb/> verständlichen Kern der juristischen Erfahrungen früherer Zeiten in anspruchs¬<lb/> loser Klarheit bloßzulegen. Die Lieblingsworte des spätern Mittelalters:<lb/> „absolut, relativ, positiv, negativ, substantiell, essentiell, materiell, formell" und<lb/> dergleichen mehr, die zur Zeit noch in der Juristensprache eine letzte Zufluchtsstätte<lb/> haben, werden bald auch hier einer guten und klaren Ausdrucksweise weichen<lb/> müssen. Damit wird aber auch die neugewonnene Öffentlichkeit des Verfahrens<lb/> erst ihren vollen Einfluß gewinnen können. Sie bezweckt, dem Volke Kunde<lb/> zu geben von den Ansichten seiner Richter, damit Handel und Wandel sich<lb/> darnach richten können; sie erstrebt ferner, durch die Erkenntnis dieses Rück¬<lb/> schlages der Rechtsprechung auf das Volkswohl im Richter das Gefühl seiner<lb/> Verantwortlichkeit in voller Frische zu erhalten. Sie wäre früher zwecklos<lb/> gewesen, weil damals die UnVerständlichkeit der Ausdrucksweise eine schärfere<lb/> Scheidewand zwischen Richter und Volk zog, als Wall und Graben vermocht<lb/> hätten. Diese Scheidewand ist gefallen und gleich den Strahlen der Frühlings¬<lb/> sonne werden sich immer mehr belehrende Gedanken der Juristenwelt erwärmend<lb/> und belebend in alle Kreise des Volkes verbreiten und immer mehr wird jeder<lb/> Jurist seine Ehre darein setzen, überall und stets in der schlichten Sprache des<lb/> gemeinen Mannes oder doch wenigstens in der Weise unsrer bessern Schrift¬<lb/> steller zu reden. Nichts wird in dieser Hinsicht so vorteilhaft wirken, wie das<lb/> große Werk, dessen Vollendung wir vor kurzem erlebten, das deutsche Zivil¬<lb/> gesetzbuch, ein Rechtsbuch für das ganze deutsche Reich in deutscher Sprache.<lb/> Doch nur die Rede des Rechtspflegers soll volkstümlich werden, die Rechts¬<lb/> anwendungskunst bleibe den Meistern gewahrt. Eine juristische Durchbildung<lb/> ist nur dem Fachmanne möglich. Eine juristische Halbbildung würde des Volks¬<lb/> wohles schlimmste Feindin werden, die Halbbildung strahlt nicht, sie kann nur<lb/> zünden. Sehen wir es ja doch, daß volkstümliche Lehrbücher der Heilkunst<lb/> vielfach nichts andres erzeugen, als Quacksalberei und Krankheitswahn. So<lb/> könnten auch Werke, welche den Hauptinhalt des Rechts in allzu volkstüm¬<lb/> licher Weise behandelten, leicht Prunksucht, Rechthaberei und Selbstüberhebung<lb/> erwecken und in dem Kreise Unverständiger dem Richterberufe und Anwalts¬<lb/> stande das Vertrauen schmälern, das ihnen zukommt. Die Volkstümlichkeit ist<lb/> eben in allen schwierigen Dingen nur insoweit unschädlich, als sie die Achtung<lb/> vor der Kunst des erfahrenen Sachverständigen nicht erschüttert, sondern ver¬<lb/> stärkt. In diesem Sinne möge uns die althergebrachte UnPopularität der<lb/> Jurisprudenz in ihrem guten Kerne für alle Zeiten erhalten bleiben!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0368]
Die Unpopularität der Jurisprudenz.
ländischen Ausdrucksform ab. Von Tag zu Tage wird seine Sprache, in der
Rede wie in der Schrift, schlichter und einfacher, immer mehr schält sie die
blütenreichen Phrasen des byzantinischen Stils und die spitzfindigen Haar¬
spaltereien des scholastischen Wesens von sich ab, um den schlichten, gemein¬
verständlichen Kern der juristischen Erfahrungen früherer Zeiten in anspruchs¬
loser Klarheit bloßzulegen. Die Lieblingsworte des spätern Mittelalters:
„absolut, relativ, positiv, negativ, substantiell, essentiell, materiell, formell" und
dergleichen mehr, die zur Zeit noch in der Juristensprache eine letzte Zufluchtsstätte
haben, werden bald auch hier einer guten und klaren Ausdrucksweise weichen
müssen. Damit wird aber auch die neugewonnene Öffentlichkeit des Verfahrens
erst ihren vollen Einfluß gewinnen können. Sie bezweckt, dem Volke Kunde
zu geben von den Ansichten seiner Richter, damit Handel und Wandel sich
darnach richten können; sie erstrebt ferner, durch die Erkenntnis dieses Rück¬
schlages der Rechtsprechung auf das Volkswohl im Richter das Gefühl seiner
Verantwortlichkeit in voller Frische zu erhalten. Sie wäre früher zwecklos
gewesen, weil damals die UnVerständlichkeit der Ausdrucksweise eine schärfere
Scheidewand zwischen Richter und Volk zog, als Wall und Graben vermocht
hätten. Diese Scheidewand ist gefallen und gleich den Strahlen der Frühlings¬
sonne werden sich immer mehr belehrende Gedanken der Juristenwelt erwärmend
und belebend in alle Kreise des Volkes verbreiten und immer mehr wird jeder
Jurist seine Ehre darein setzen, überall und stets in der schlichten Sprache des
gemeinen Mannes oder doch wenigstens in der Weise unsrer bessern Schrift¬
steller zu reden. Nichts wird in dieser Hinsicht so vorteilhaft wirken, wie das
große Werk, dessen Vollendung wir vor kurzem erlebten, das deutsche Zivil¬
gesetzbuch, ein Rechtsbuch für das ganze deutsche Reich in deutscher Sprache.
Doch nur die Rede des Rechtspflegers soll volkstümlich werden, die Rechts¬
anwendungskunst bleibe den Meistern gewahrt. Eine juristische Durchbildung
ist nur dem Fachmanne möglich. Eine juristische Halbbildung würde des Volks¬
wohles schlimmste Feindin werden, die Halbbildung strahlt nicht, sie kann nur
zünden. Sehen wir es ja doch, daß volkstümliche Lehrbücher der Heilkunst
vielfach nichts andres erzeugen, als Quacksalberei und Krankheitswahn. So
könnten auch Werke, welche den Hauptinhalt des Rechts in allzu volkstüm¬
licher Weise behandelten, leicht Prunksucht, Rechthaberei und Selbstüberhebung
erwecken und in dem Kreise Unverständiger dem Richterberufe und Anwalts¬
stande das Vertrauen schmälern, das ihnen zukommt. Die Volkstümlichkeit ist
eben in allen schwierigen Dingen nur insoweit unschädlich, als sie die Achtung
vor der Kunst des erfahrenen Sachverständigen nicht erschüttert, sondern ver¬
stärkt. In diesem Sinne möge uns die althergebrachte UnPopularität der
Jurisprudenz in ihrem guten Kerne für alle Zeiten erhalten bleiben!
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