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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Unpopularität der Jurisprudenz.

Jurisprudenz wieder das erblickt, was die Römer einst in ihr fanden: eine
"Kunst." Kaiser Wilhelm konnte es, weil inzwischen die Fortentwicklung unsers
Vaterlandes hierzu die Grundlage gewonnen hatte. Das altpreußische Streben
nach strenger sittlicher Zucht fand erst im Volksheere seine volle Bethätigung.
Allein nicht nur zu dieser Verbesserung gab uns der Kampf wider den korsischen
Eroberer Anlaß, noch andre verdanken wir dem Streite wider die Fremdherr¬
schaft. Friedrich der Große hatte seinem Volke wie seinen Richtern einen hohen
Grad geistiger Freiheit gewährt, ohne in genügender Weise sür ihren geistigen
Reichtum zu sorgen. Erst in der Zeit tiefsten Elendes kam der Satz: "Wissen
ist Macht" zu seinem Rechte. Damals erfolgte die Gründung der Berliner
Universität, des Hauptsitzes der historischen Schule, welche der deutschen Rechts¬
wissenschaft in Europa den Vorzug erobert hat, als Vorbild und Führerin zu
gelten. Was in neuerer Zeit für die Belebung der Wissenschaft, für die sitt¬
liche Erziehung des Volkes durch das Heer geschah, das wurde durch das Auf¬
leben der Kunstpflege geadelt und verschönt. Indem die deutschen Landesherren
neben der Pflege der kirchlichen Kunst auch die Wiederbelebung der antiken
Schönheitspflege anbahnten, legten sie die Grundlage zu einem Aufschwünge,
der noch immer im Steigen begriffen ist und verspricht, antike Kraft und Natur¬
liebe mit mittelalterlichen Tiefsinn und Formenreichtum zu einer höhern Ein¬
heit zu verschmelzen. Unter solchen Einflüssen entstand das deutsche Heer,
dessen glorreiche Thaten im Streite wider Frankreich Deutschland einigten.
Aus ihnen entwickelte sich aber auch der Grundzug unsers neuesten Beamten¬
tums, eine Vereinigung sittlicher Strenge mit feinfühliger Rücksicht. Richter,
von denen Friedrich der Große, wenn auch wohl übertreibend, sagen durfte:
"Es genügte reich zu sein, um vor ihnen einen Prozeß zu gewinnen," sind
verschwunden. Der Geist selbstloser und opferfreudiger Berufstreue, der längst
nicht mehr das Vorrecht eines Standes ist, verbürgt uns den Wert unsrer
Rechtspflege. Er ist auch die Grundlage der akademischen Freiheit, des Ver¬
trauens unsrer Staatslenker auf das Ehrgefühl der zukünftigen Beamten, welche
ohne äußern Zwang sich diejenigen Kenntnisse aneignen sollen, die für ihre
Berufserfüllung nötig sind.

Doch noch in einer andern Hinsicht hat gerade die preußische Politik der
deutschen Rechtspflege ihre Wege vorgezeichnet. Wenn es dem großen Könige
auch noch nicht vergönnt war, den Inhalt eines volkstümlichen Rechtes zu
schaffen, so hat er doch hinsichtlich der Form der Gesetzgebung eine Bahn
eröffnet, in welcher Rechtsprechung und Rechtswissenschaft sich seitdem fort¬
bewegen. Was einst Luther zugleich für die Theologie und die deutsche Sprache
geleistet hat, eine glückliche Verschmelzung beider und eine Berührung der hei¬
mischen Gedankenwelt, dasselbe bewirkte das preußische Landrecht auf dem
Gebiete der Rechtswissenschaft. Seitdem streift der Jurist auf der Richterbank
wie auf dem Lehrstühle immer mehr die Fesseln der früher üblichen fremd-


Die Unpopularität der Jurisprudenz.

Jurisprudenz wieder das erblickt, was die Römer einst in ihr fanden: eine
„Kunst." Kaiser Wilhelm konnte es, weil inzwischen die Fortentwicklung unsers
Vaterlandes hierzu die Grundlage gewonnen hatte. Das altpreußische Streben
nach strenger sittlicher Zucht fand erst im Volksheere seine volle Bethätigung.
Allein nicht nur zu dieser Verbesserung gab uns der Kampf wider den korsischen
Eroberer Anlaß, noch andre verdanken wir dem Streite wider die Fremdherr¬
schaft. Friedrich der Große hatte seinem Volke wie seinen Richtern einen hohen
Grad geistiger Freiheit gewährt, ohne in genügender Weise sür ihren geistigen
Reichtum zu sorgen. Erst in der Zeit tiefsten Elendes kam der Satz: „Wissen
ist Macht" zu seinem Rechte. Damals erfolgte die Gründung der Berliner
Universität, des Hauptsitzes der historischen Schule, welche der deutschen Rechts¬
wissenschaft in Europa den Vorzug erobert hat, als Vorbild und Führerin zu
gelten. Was in neuerer Zeit für die Belebung der Wissenschaft, für die sitt¬
liche Erziehung des Volkes durch das Heer geschah, das wurde durch das Auf¬
leben der Kunstpflege geadelt und verschönt. Indem die deutschen Landesherren
neben der Pflege der kirchlichen Kunst auch die Wiederbelebung der antiken
Schönheitspflege anbahnten, legten sie die Grundlage zu einem Aufschwünge,
der noch immer im Steigen begriffen ist und verspricht, antike Kraft und Natur¬
liebe mit mittelalterlichen Tiefsinn und Formenreichtum zu einer höhern Ein¬
heit zu verschmelzen. Unter solchen Einflüssen entstand das deutsche Heer,
dessen glorreiche Thaten im Streite wider Frankreich Deutschland einigten.
Aus ihnen entwickelte sich aber auch der Grundzug unsers neuesten Beamten¬
tums, eine Vereinigung sittlicher Strenge mit feinfühliger Rücksicht. Richter,
von denen Friedrich der Große, wenn auch wohl übertreibend, sagen durfte:
„Es genügte reich zu sein, um vor ihnen einen Prozeß zu gewinnen," sind
verschwunden. Der Geist selbstloser und opferfreudiger Berufstreue, der längst
nicht mehr das Vorrecht eines Standes ist, verbürgt uns den Wert unsrer
Rechtspflege. Er ist auch die Grundlage der akademischen Freiheit, des Ver¬
trauens unsrer Staatslenker auf das Ehrgefühl der zukünftigen Beamten, welche
ohne äußern Zwang sich diejenigen Kenntnisse aneignen sollen, die für ihre
Berufserfüllung nötig sind.

Doch noch in einer andern Hinsicht hat gerade die preußische Politik der
deutschen Rechtspflege ihre Wege vorgezeichnet. Wenn es dem großen Könige
auch noch nicht vergönnt war, den Inhalt eines volkstümlichen Rechtes zu
schaffen, so hat er doch hinsichtlich der Form der Gesetzgebung eine Bahn
eröffnet, in welcher Rechtsprechung und Rechtswissenschaft sich seitdem fort¬
bewegen. Was einst Luther zugleich für die Theologie und die deutsche Sprache
geleistet hat, eine glückliche Verschmelzung beider und eine Berührung der hei¬
mischen Gedankenwelt, dasselbe bewirkte das preußische Landrecht auf dem
Gebiete der Rechtswissenschaft. Seitdem streift der Jurist auf der Richterbank
wie auf dem Lehrstühle immer mehr die Fesseln der früher üblichen fremd-


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[0367] Die Unpopularität der Jurisprudenz. Jurisprudenz wieder das erblickt, was die Römer einst in ihr fanden: eine „Kunst." Kaiser Wilhelm konnte es, weil inzwischen die Fortentwicklung unsers Vaterlandes hierzu die Grundlage gewonnen hatte. Das altpreußische Streben nach strenger sittlicher Zucht fand erst im Volksheere seine volle Bethätigung. Allein nicht nur zu dieser Verbesserung gab uns der Kampf wider den korsischen Eroberer Anlaß, noch andre verdanken wir dem Streite wider die Fremdherr¬ schaft. Friedrich der Große hatte seinem Volke wie seinen Richtern einen hohen Grad geistiger Freiheit gewährt, ohne in genügender Weise sür ihren geistigen Reichtum zu sorgen. Erst in der Zeit tiefsten Elendes kam der Satz: „Wissen ist Macht" zu seinem Rechte. Damals erfolgte die Gründung der Berliner Universität, des Hauptsitzes der historischen Schule, welche der deutschen Rechts¬ wissenschaft in Europa den Vorzug erobert hat, als Vorbild und Führerin zu gelten. Was in neuerer Zeit für die Belebung der Wissenschaft, für die sitt¬ liche Erziehung des Volkes durch das Heer geschah, das wurde durch das Auf¬ leben der Kunstpflege geadelt und verschönt. Indem die deutschen Landesherren neben der Pflege der kirchlichen Kunst auch die Wiederbelebung der antiken Schönheitspflege anbahnten, legten sie die Grundlage zu einem Aufschwünge, der noch immer im Steigen begriffen ist und verspricht, antike Kraft und Natur¬ liebe mit mittelalterlichen Tiefsinn und Formenreichtum zu einer höhern Ein¬ heit zu verschmelzen. Unter solchen Einflüssen entstand das deutsche Heer, dessen glorreiche Thaten im Streite wider Frankreich Deutschland einigten. Aus ihnen entwickelte sich aber auch der Grundzug unsers neuesten Beamten¬ tums, eine Vereinigung sittlicher Strenge mit feinfühliger Rücksicht. Richter, von denen Friedrich der Große, wenn auch wohl übertreibend, sagen durfte: „Es genügte reich zu sein, um vor ihnen einen Prozeß zu gewinnen," sind verschwunden. Der Geist selbstloser und opferfreudiger Berufstreue, der längst nicht mehr das Vorrecht eines Standes ist, verbürgt uns den Wert unsrer Rechtspflege. Er ist auch die Grundlage der akademischen Freiheit, des Ver¬ trauens unsrer Staatslenker auf das Ehrgefühl der zukünftigen Beamten, welche ohne äußern Zwang sich diejenigen Kenntnisse aneignen sollen, die für ihre Berufserfüllung nötig sind. Doch noch in einer andern Hinsicht hat gerade die preußische Politik der deutschen Rechtspflege ihre Wege vorgezeichnet. Wenn es dem großen Könige auch noch nicht vergönnt war, den Inhalt eines volkstümlichen Rechtes zu schaffen, so hat er doch hinsichtlich der Form der Gesetzgebung eine Bahn eröffnet, in welcher Rechtsprechung und Rechtswissenschaft sich seitdem fort¬ bewegen. Was einst Luther zugleich für die Theologie und die deutsche Sprache geleistet hat, eine glückliche Verschmelzung beider und eine Berührung der hei¬ mischen Gedankenwelt, dasselbe bewirkte das preußische Landrecht auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft. Seitdem streift der Jurist auf der Richterbank wie auf dem Lehrstühle immer mehr die Fesseln der früher üblichen fremd-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/367>, abgerufen am 01.09.2024.