Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Die neueste Politik Rußlands am Balkan. unter sollte, aber nicht lange hielt, da die Liberalen mit ihrer Freundschaft für die Die neueste Politik Rußlands am Balkan. unter sollte, aber nicht lange hielt, da die Liberalen mit ihrer Freundschaft für die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203136"/> <fw type="header" place="top"> Die neueste Politik Rußlands am Balkan.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1182" prev="#ID_1181" next="#ID_1183"> unter sollte, aber nicht lange hielt, da die Liberalen mit ihrer Freundschaft für die<lb/> Moskowiter, die Radikalen mit ihren demokratischen Forderungen keine rechten Er¬<lb/> gebnisse erzielen konnten, und das Bündnis beider Gruppen nun als zwecklos<lb/> gelöst wurde und bald in heftige Zwietracht umschlug. Es war dann die Absicht<lb/> des Königs, ein Kabinet aus dem radikalen Lager allein zu bilden. Aber hier<lb/> wurden unerfüllbare Forderungen gestellt, unter denen vollständige Abkehr von<lb/> Österreich die erste Stelle einnahm. Darauf ließ König Milan die Führer der<lb/> Partei zu sich kommen und hielt ihnen eine Rede, die ihnen in ungewöhnlich<lb/> kräftigen Worten den Standpunkt klar machte und eine Einigung zur Folge<lb/> hatte, auf Grund deren Gruic als Premier die Geschäfte übernahm. Aber auch<lb/> diese Phase des serbischen Parlamentarismus erfreute sich nur kurzen Bestandes.<lb/> Gruic und seine Kollegen ließen sich vom radikalen Klub ihre Gesetzentwürfe<lb/> und Verwaltungsmaßregeln vorschreiben, es wurde eine „Reform" der Armee<lb/> vorgeschlagen, die das nach dem letzten Kriege kaum etwas kampftüchtiger ge¬<lb/> staltete Heer in eine lahme und unzuverlässige Miliz verwandelt hätte, auch<lb/> die alte Abneigung der Radikalen gegen Österreich-Ungarn kam wiederholt aufs<lb/> neue zum Vorschein. Der König aber wollte mit Recht die Wehrverfassung<lb/> unverändert erhalten wissen und ebenso die Freundschaft und das Zusammen¬<lb/> gehen mit den Nachbarn in Ungarn und Österreich, und so entschloß er sich,<lb/> wieder einem Konservativen die Zügel der Regierung anzuvertrauen, und zwar<lb/> fiel seine Wahl ans den entschlossensten und rücksichtslosesten Politiker der Partei,<lb/> da nur furchtlose und für den Fall der Not zu den gewaltsamsten Maßregeln<lb/> bereite Energie die große Zahl der Radikalen aufwiegen konnte. So wurde<lb/> Christin vor einigen Wochen wieder Minister, und es ist Aussicht vorhanden,<lb/> daß er sich der Lage gewachsen zeigen werde, die infolge seiner Verhaßtheit<lb/> bei den demokratischen und russenfreundlichen Parteien allerdings eine gefähr¬<lb/> liche ist. Die russischen Umtriebe werden seitdem mit vermehrtem Eifer fort¬<lb/> gesetzt, nächstens trifft die intrigante Königin Natalie, eine geborene Russin,<lb/> die früher sich an jenen Umtrieben lebhaft beteiligte, in der letzten Zeit aber<lb/> von ihrem Gemahl getrennt im Auslande lebte, in Belgrad wieder ein, und<lb/> schließlich hat Nußland in dem Sohne des ermordeten Vorgängers Milans, einem<lb/> Schwiegersohne des Wladikas der Montenegriner, einen Prätendenten in Bereit¬<lb/> schaft, der, wenn es ihm gelänge, sich auf den Thron zu schwingen, nicht einen<lb/> Augenblick zögern würde, sich und die Kräfte des Landes der Politik des Zaren<lb/> zur Verfügung zu stellen. Ein Aufstand der Radikalen und Liberalen, der ihm<lb/> die Bahn dazu öffnete, ist bei der Energie des jetzigen Ministerpräsidenten und<lb/> der Zuverlässigkeit der Armee kaum zu befürchten, wenigstens hätte er geringe<lb/> Aussicht auf Gelingen. Wohl aber wäre eine Wiederholung des Ereignisses,<lb/> welches Milan die Krone verschaffte, bei den halbwilden Anschauungen des<lb/> Volkes und der fanatischen Erbitterung der Radikalen und Russenfreunde gegen<lb/> den König nicht unmöglich, und träte dieses Ereignis ein, so würde ein Umschwung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0359]
Die neueste Politik Rußlands am Balkan.
unter sollte, aber nicht lange hielt, da die Liberalen mit ihrer Freundschaft für die
Moskowiter, die Radikalen mit ihren demokratischen Forderungen keine rechten Er¬
gebnisse erzielen konnten, und das Bündnis beider Gruppen nun als zwecklos
gelöst wurde und bald in heftige Zwietracht umschlug. Es war dann die Absicht
des Königs, ein Kabinet aus dem radikalen Lager allein zu bilden. Aber hier
wurden unerfüllbare Forderungen gestellt, unter denen vollständige Abkehr von
Österreich die erste Stelle einnahm. Darauf ließ König Milan die Führer der
Partei zu sich kommen und hielt ihnen eine Rede, die ihnen in ungewöhnlich
kräftigen Worten den Standpunkt klar machte und eine Einigung zur Folge
hatte, auf Grund deren Gruic als Premier die Geschäfte übernahm. Aber auch
diese Phase des serbischen Parlamentarismus erfreute sich nur kurzen Bestandes.
Gruic und seine Kollegen ließen sich vom radikalen Klub ihre Gesetzentwürfe
und Verwaltungsmaßregeln vorschreiben, es wurde eine „Reform" der Armee
vorgeschlagen, die das nach dem letzten Kriege kaum etwas kampftüchtiger ge¬
staltete Heer in eine lahme und unzuverlässige Miliz verwandelt hätte, auch
die alte Abneigung der Radikalen gegen Österreich-Ungarn kam wiederholt aufs
neue zum Vorschein. Der König aber wollte mit Recht die Wehrverfassung
unverändert erhalten wissen und ebenso die Freundschaft und das Zusammen¬
gehen mit den Nachbarn in Ungarn und Österreich, und so entschloß er sich,
wieder einem Konservativen die Zügel der Regierung anzuvertrauen, und zwar
fiel seine Wahl ans den entschlossensten und rücksichtslosesten Politiker der Partei,
da nur furchtlose und für den Fall der Not zu den gewaltsamsten Maßregeln
bereite Energie die große Zahl der Radikalen aufwiegen konnte. So wurde
Christin vor einigen Wochen wieder Minister, und es ist Aussicht vorhanden,
daß er sich der Lage gewachsen zeigen werde, die infolge seiner Verhaßtheit
bei den demokratischen und russenfreundlichen Parteien allerdings eine gefähr¬
liche ist. Die russischen Umtriebe werden seitdem mit vermehrtem Eifer fort¬
gesetzt, nächstens trifft die intrigante Königin Natalie, eine geborene Russin,
die früher sich an jenen Umtrieben lebhaft beteiligte, in der letzten Zeit aber
von ihrem Gemahl getrennt im Auslande lebte, in Belgrad wieder ein, und
schließlich hat Nußland in dem Sohne des ermordeten Vorgängers Milans, einem
Schwiegersohne des Wladikas der Montenegriner, einen Prätendenten in Bereit¬
schaft, der, wenn es ihm gelänge, sich auf den Thron zu schwingen, nicht einen
Augenblick zögern würde, sich und die Kräfte des Landes der Politik des Zaren
zur Verfügung zu stellen. Ein Aufstand der Radikalen und Liberalen, der ihm
die Bahn dazu öffnete, ist bei der Energie des jetzigen Ministerpräsidenten und
der Zuverlässigkeit der Armee kaum zu befürchten, wenigstens hätte er geringe
Aussicht auf Gelingen. Wohl aber wäre eine Wiederholung des Ereignisses,
welches Milan die Krone verschaffte, bei den halbwilden Anschauungen des
Volkes und der fanatischen Erbitterung der Radikalen und Russenfreunde gegen
den König nicht unmöglich, und träte dieses Ereignis ein, so würde ein Umschwung
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