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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Anzengrubcrs Dorfgeschichten.

zuzeichnen, mit Eifer ergreift; wie ferner die Anzeichen der That sich alle zu
Ungunsten Peters schließen, bis sein Weib Rosalia in die Handlung eingreift.
Was sie auch gegen Peter auf dem Herzen haben mag -- sie hatten sich gerade
gezankt, als ihn der Gendarm zu Gericht holte, und sie hatte in ihrem Zorn
hingeworfen, es wär ihr schon recht, wenn sie ihn auf zwei, drei Tage ein¬
sperrten -- jetzt, wo sie den Ernst der Lage erkennt, bricht ihre Liebe durch,
und die ganze mutige Entschlossenheit ihres Wesens offenbart sich. Ungerufen
eilt sie zu Gericht, denn ihr Peter kann ja kein Mörder sein. Und am Stiel
der fatalen Hacke entdeckt sie einen schmutzigen Lotteriezettel, den niemand be¬
achtete, weder der Adjunkt, noch der Peter, und mit diesem Zettel beweist sie
die Unschuld ihres Mannes. "Sie faßte darnach und im nächsten Augenblicke
gellte ein wilder Schrei, der aber nach maßloser Freude klang, durch das Ge¬
mach. Dann sank Rost neben dem Tische in die Kniee, und mit beiden Händen
an eines von dessen Beinen sich anklammernd, begann sie abwechselnd laut zu
schluchzen und zu lachen, mitten darunter blickte sie mit den thränenden, freudig
funkelnden Augen zu den Beamten auf und rief ein über das andre mal: "Ich
bin nit närrisch, Herr! Obwohl 's wär kein Wunder! Nur a bissel laßt Zeit,
Herr. Gleich kann ich wieder weiter reden!"" Das sind Ausbrüche Anzen-
gruberscher Ursprünglichkeit.

Nicht minder schön und gleichfalls in einer höchst dramatischen Szene
gipfelnd ist die Geschichte "Wissen macht -- Herzweh." Das Schicksal der
heinigekehrten Sträflinge auf dem Dorfe ist oft und auch, wenn wir nicht
irren, schon von Anzengruber selbst (im "Schandfleck") geschildert worden.
Hier behandelt er einen ähnlichen Fall. Ein junges hübsches Bauernmädchen
war in der Stadt bei einer reichen, aber leichtfertigen Frau in Dienst. Dieser
ging eine kostbare Nadel verloren, und sie beschuldigte das Mädchen ungerechter¬
weise des Diebstahls. Das Mädchen wurde verurteilt, auf viele Monate ein¬
gesperrt, bis ihre Unschuld durch den zufälligen Fund der Nadel an den Tag
kam und sie ans dem Gefängnis entlassen wurde. Aber keine Entschädigung
wurde ihr zu teil, keine öffentliche Ehrenrettung, nicht einmal ein Schein dar¬
über, daß sie unschuldig verurteilt worden sei, und doch schreiben die Beamten
Zettel genug in allen Ämtern. Das Mädchen in seiner unbefangenen Jugend
und überquellenden Freude an der Freiheit kümmerte sich auch weiter nicht
um solche Formalitäten, sondern eilte fröhlich in das heimatliche Dorf zurück.
Da heiratete sie einen jungen, hübschen Bauern, den Philipp Moser, und lebt
schon zwei Jahre in glücklicher Ehe mit ihm. Ein wohlhabender Onkel in
einem nahegelegenen Dorfe erhöht durch seine Besuche, seine Artigkeit und durch
die Aussichten, die er dem jungen Paare auf seinen stattlichen Besitz für den
Fall seines Todes eröffnet, ihr Glück. Mit einemmale aber hören die Besuche
dieses guten Onkels auf, sodaß jene stutzig werden und Paulin, sein Liebling,
macht sich (was für Bauern immer ein Ereignis ist) auf den Weg zum Besuch.


Anzengrubcrs Dorfgeschichten.

zuzeichnen, mit Eifer ergreift; wie ferner die Anzeichen der That sich alle zu
Ungunsten Peters schließen, bis sein Weib Rosalia in die Handlung eingreift.
Was sie auch gegen Peter auf dem Herzen haben mag — sie hatten sich gerade
gezankt, als ihn der Gendarm zu Gericht holte, und sie hatte in ihrem Zorn
hingeworfen, es wär ihr schon recht, wenn sie ihn auf zwei, drei Tage ein¬
sperrten — jetzt, wo sie den Ernst der Lage erkennt, bricht ihre Liebe durch,
und die ganze mutige Entschlossenheit ihres Wesens offenbart sich. Ungerufen
eilt sie zu Gericht, denn ihr Peter kann ja kein Mörder sein. Und am Stiel
der fatalen Hacke entdeckt sie einen schmutzigen Lotteriezettel, den niemand be¬
achtete, weder der Adjunkt, noch der Peter, und mit diesem Zettel beweist sie
die Unschuld ihres Mannes. „Sie faßte darnach und im nächsten Augenblicke
gellte ein wilder Schrei, der aber nach maßloser Freude klang, durch das Ge¬
mach. Dann sank Rost neben dem Tische in die Kniee, und mit beiden Händen
an eines von dessen Beinen sich anklammernd, begann sie abwechselnd laut zu
schluchzen und zu lachen, mitten darunter blickte sie mit den thränenden, freudig
funkelnden Augen zu den Beamten auf und rief ein über das andre mal: »Ich
bin nit närrisch, Herr! Obwohl 's wär kein Wunder! Nur a bissel laßt Zeit,
Herr. Gleich kann ich wieder weiter reden!«" Das sind Ausbrüche Anzen-
gruberscher Ursprünglichkeit.

Nicht minder schön und gleichfalls in einer höchst dramatischen Szene
gipfelnd ist die Geschichte „Wissen macht — Herzweh." Das Schicksal der
heinigekehrten Sträflinge auf dem Dorfe ist oft und auch, wenn wir nicht
irren, schon von Anzengruber selbst (im „Schandfleck") geschildert worden.
Hier behandelt er einen ähnlichen Fall. Ein junges hübsches Bauernmädchen
war in der Stadt bei einer reichen, aber leichtfertigen Frau in Dienst. Dieser
ging eine kostbare Nadel verloren, und sie beschuldigte das Mädchen ungerechter¬
weise des Diebstahls. Das Mädchen wurde verurteilt, auf viele Monate ein¬
gesperrt, bis ihre Unschuld durch den zufälligen Fund der Nadel an den Tag
kam und sie ans dem Gefängnis entlassen wurde. Aber keine Entschädigung
wurde ihr zu teil, keine öffentliche Ehrenrettung, nicht einmal ein Schein dar¬
über, daß sie unschuldig verurteilt worden sei, und doch schreiben die Beamten
Zettel genug in allen Ämtern. Das Mädchen in seiner unbefangenen Jugend
und überquellenden Freude an der Freiheit kümmerte sich auch weiter nicht
um solche Formalitäten, sondern eilte fröhlich in das heimatliche Dorf zurück.
Da heiratete sie einen jungen, hübschen Bauern, den Philipp Moser, und lebt
schon zwei Jahre in glücklicher Ehe mit ihm. Ein wohlhabender Onkel in
einem nahegelegenen Dorfe erhöht durch seine Besuche, seine Artigkeit und durch
die Aussichten, die er dem jungen Paare auf seinen stattlichen Besitz für den
Fall seines Todes eröffnet, ihr Glück. Mit einemmale aber hören die Besuche
dieses guten Onkels auf, sodaß jene stutzig werden und Paulin, sein Liebling,
macht sich (was für Bauern immer ein Ereignis ist) auf den Weg zum Besuch.


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[0333] Anzengrubcrs Dorfgeschichten. zuzeichnen, mit Eifer ergreift; wie ferner die Anzeichen der That sich alle zu Ungunsten Peters schließen, bis sein Weib Rosalia in die Handlung eingreift. Was sie auch gegen Peter auf dem Herzen haben mag — sie hatten sich gerade gezankt, als ihn der Gendarm zu Gericht holte, und sie hatte in ihrem Zorn hingeworfen, es wär ihr schon recht, wenn sie ihn auf zwei, drei Tage ein¬ sperrten — jetzt, wo sie den Ernst der Lage erkennt, bricht ihre Liebe durch, und die ganze mutige Entschlossenheit ihres Wesens offenbart sich. Ungerufen eilt sie zu Gericht, denn ihr Peter kann ja kein Mörder sein. Und am Stiel der fatalen Hacke entdeckt sie einen schmutzigen Lotteriezettel, den niemand be¬ achtete, weder der Adjunkt, noch der Peter, und mit diesem Zettel beweist sie die Unschuld ihres Mannes. „Sie faßte darnach und im nächsten Augenblicke gellte ein wilder Schrei, der aber nach maßloser Freude klang, durch das Ge¬ mach. Dann sank Rost neben dem Tische in die Kniee, und mit beiden Händen an eines von dessen Beinen sich anklammernd, begann sie abwechselnd laut zu schluchzen und zu lachen, mitten darunter blickte sie mit den thränenden, freudig funkelnden Augen zu den Beamten auf und rief ein über das andre mal: »Ich bin nit närrisch, Herr! Obwohl 's wär kein Wunder! Nur a bissel laßt Zeit, Herr. Gleich kann ich wieder weiter reden!«" Das sind Ausbrüche Anzen- gruberscher Ursprünglichkeit. Nicht minder schön und gleichfalls in einer höchst dramatischen Szene gipfelnd ist die Geschichte „Wissen macht — Herzweh." Das Schicksal der heinigekehrten Sträflinge auf dem Dorfe ist oft und auch, wenn wir nicht irren, schon von Anzengruber selbst (im „Schandfleck") geschildert worden. Hier behandelt er einen ähnlichen Fall. Ein junges hübsches Bauernmädchen war in der Stadt bei einer reichen, aber leichtfertigen Frau in Dienst. Dieser ging eine kostbare Nadel verloren, und sie beschuldigte das Mädchen ungerechter¬ weise des Diebstahls. Das Mädchen wurde verurteilt, auf viele Monate ein¬ gesperrt, bis ihre Unschuld durch den zufälligen Fund der Nadel an den Tag kam und sie ans dem Gefängnis entlassen wurde. Aber keine Entschädigung wurde ihr zu teil, keine öffentliche Ehrenrettung, nicht einmal ein Schein dar¬ über, daß sie unschuldig verurteilt worden sei, und doch schreiben die Beamten Zettel genug in allen Ämtern. Das Mädchen in seiner unbefangenen Jugend und überquellenden Freude an der Freiheit kümmerte sich auch weiter nicht um solche Formalitäten, sondern eilte fröhlich in das heimatliche Dorf zurück. Da heiratete sie einen jungen, hübschen Bauern, den Philipp Moser, und lebt schon zwei Jahre in glücklicher Ehe mit ihm. Ein wohlhabender Onkel in einem nahegelegenen Dorfe erhöht durch seine Besuche, seine Artigkeit und durch die Aussichten, die er dem jungen Paare auf seinen stattlichen Besitz für den Fall seines Todes eröffnet, ihr Glück. Mit einemmale aber hören die Besuche dieses guten Onkels auf, sodaß jene stutzig werden und Paulin, sein Liebling, macht sich (was für Bauern immer ein Ereignis ist) auf den Weg zum Besuch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/333>, abgerufen am 01.09.2024.