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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Österreich und der deutsch-französische Krieg.

Beistandes der neutralen Mächte auch in Wien vorgesprochen habe, dort ver¬
sichert worden, man habe dem Herzog von Gramont, als er noch Botschafter
daselbst gewesen sei, erklärt, Österreich-Ungarn werde, falls die Regierung des
Kaisers Napoleon sich in einen Krieg einlasse, sich ihr nicht anschließen. Gra¬
mont trat darauf mit der Behauptung des Gegenteils an die Öffentlichkeit,
d. h. er versicherte, man habe ihm damals in Wien ein Bündnis mit Frank¬
reich zugesagt, wobei er sich vorzüglich auf eine angebliche Verhandlung während
der Jahre 1869 und 1870 bezog, welche ein Defensiv- und Osfensivbündnis
Österreichs und Frankreichs gegen Preußen bezweckt habe. Beust erwiederte
hierauf in einem Briefe vom 4. Januar 1873 in der Hauptsache, diese an¬
gebliche Verhandlung habe nicht 1869 und 1870. sondern 1868 und 1869 statt¬
gefunden und in einer Korrespondenz ganz privaten Charakters bestanden, welche
auf sein Verlangen dem Herzoge nach seinem Eintritte ins Ministerium mit¬
geteilt worden sei. Diese Korrespondenz sei nur ein Austausch von Ideen und
Projekten gewesen und habe 1869 aufgehört, ohne daß sie zum Ziele geführt
habe und etwas unterzeichnet worden sei. Drei Punkte indes hätten sie charak-
terisirt: das Einvernehmen hätte eine defensive Natur und einen friedlichen Zweck
gehabt, man habe in allen diplomatischen Fragen eine gemeinsame Politik ver¬
folgen wollen, und Österreich habe sich vorbehalten, falls Frankreich sich ge¬
zwungen sähe, Krieg zu führen, seine Neutralität zu erklären. "Die einzige
Verpflichtung, welche uns daraus erwuchs -- schrieb Beust --, ohne jedoch
jemals in die Form eines Vertrages gekleidet zu werden, bestand in dem gegen¬
seitigen Versprechen, sich nicht ohne Vorwissen des einen und des andern mit
einer dritten Macht zu verständigen." Zum Beweise, daß man sich dieser Ver¬
pflichtung erinnert, daß es keine andre gegeben, daß Österreich aber jene als
eine Zusage diplomatischen Beistandes zu deuten sich gestattet habe, übersandte
er dem Herzog Abschrift einer Depesche vom 11. Juli 1870, in welcher dem
Fürsten von Metternich, dem damaligen österreichischen Botschaften in Paris,
Instruktionen erteilt worden seien, nach denen er seine Sprache gegenüber der
dortigen Regierung eingerichtet haben werde. "Es ist also -- schrieb Beust
gegen den Schluß des Briefes -- klar festgestellt, daß, als Frankreich den Krieg
erklärte, nicht ein Wort gesagt oder geschrieben worden war, welches es befugt
hätte, auf den militärischen Beistand Österreichs zu rechnen." Prüfen wir das
nach den Belegen. In jener Depesche vom 11. Juli 1870 heißt es u. a. (wir
übersetzen das französische Original):

Ich verbleibe dabei, daß der Kaiser Napoleon und seine Minister sich nicht
der Illusion überlassen dürfen, zu glauben, daß sie uns einfach nach ihrem Be¬
lieben über das, was wir versprochen haben, und über die Grenze, welche uns durch
unsre Lebensinteressen sowie durch unsre materielle Lage gezogen ist, hinausschleppen
könnten. Mit Zuversicht von einem Observationskorps zu sprechen, welches wir
in Böhmen aufstellen würden, wie es der Herzog von Gramont nach Ihren Be¬
richten im Ministerrate gethan hätte, heißt mindestens sehr kühn vorgehen. . . .


Österreich und der deutsch-französische Krieg.

Beistandes der neutralen Mächte auch in Wien vorgesprochen habe, dort ver¬
sichert worden, man habe dem Herzog von Gramont, als er noch Botschafter
daselbst gewesen sei, erklärt, Österreich-Ungarn werde, falls die Regierung des
Kaisers Napoleon sich in einen Krieg einlasse, sich ihr nicht anschließen. Gra¬
mont trat darauf mit der Behauptung des Gegenteils an die Öffentlichkeit,
d. h. er versicherte, man habe ihm damals in Wien ein Bündnis mit Frank¬
reich zugesagt, wobei er sich vorzüglich auf eine angebliche Verhandlung während
der Jahre 1869 und 1870 bezog, welche ein Defensiv- und Osfensivbündnis
Österreichs und Frankreichs gegen Preußen bezweckt habe. Beust erwiederte
hierauf in einem Briefe vom 4. Januar 1873 in der Hauptsache, diese an¬
gebliche Verhandlung habe nicht 1869 und 1870. sondern 1868 und 1869 statt¬
gefunden und in einer Korrespondenz ganz privaten Charakters bestanden, welche
auf sein Verlangen dem Herzoge nach seinem Eintritte ins Ministerium mit¬
geteilt worden sei. Diese Korrespondenz sei nur ein Austausch von Ideen und
Projekten gewesen und habe 1869 aufgehört, ohne daß sie zum Ziele geführt
habe und etwas unterzeichnet worden sei. Drei Punkte indes hätten sie charak-
terisirt: das Einvernehmen hätte eine defensive Natur und einen friedlichen Zweck
gehabt, man habe in allen diplomatischen Fragen eine gemeinsame Politik ver¬
folgen wollen, und Österreich habe sich vorbehalten, falls Frankreich sich ge¬
zwungen sähe, Krieg zu führen, seine Neutralität zu erklären. „Die einzige
Verpflichtung, welche uns daraus erwuchs — schrieb Beust —, ohne jedoch
jemals in die Form eines Vertrages gekleidet zu werden, bestand in dem gegen¬
seitigen Versprechen, sich nicht ohne Vorwissen des einen und des andern mit
einer dritten Macht zu verständigen." Zum Beweise, daß man sich dieser Ver¬
pflichtung erinnert, daß es keine andre gegeben, daß Österreich aber jene als
eine Zusage diplomatischen Beistandes zu deuten sich gestattet habe, übersandte
er dem Herzog Abschrift einer Depesche vom 11. Juli 1870, in welcher dem
Fürsten von Metternich, dem damaligen österreichischen Botschaften in Paris,
Instruktionen erteilt worden seien, nach denen er seine Sprache gegenüber der
dortigen Regierung eingerichtet haben werde. „Es ist also — schrieb Beust
gegen den Schluß des Briefes — klar festgestellt, daß, als Frankreich den Krieg
erklärte, nicht ein Wort gesagt oder geschrieben worden war, welches es befugt
hätte, auf den militärischen Beistand Österreichs zu rechnen." Prüfen wir das
nach den Belegen. In jener Depesche vom 11. Juli 1870 heißt es u. a. (wir
übersetzen das französische Original):

Ich verbleibe dabei, daß der Kaiser Napoleon und seine Minister sich nicht
der Illusion überlassen dürfen, zu glauben, daß sie uns einfach nach ihrem Be¬
lieben über das, was wir versprochen haben, und über die Grenze, welche uns durch
unsre Lebensinteressen sowie durch unsre materielle Lage gezogen ist, hinausschleppen
könnten. Mit Zuversicht von einem Observationskorps zu sprechen, welches wir
in Böhmen aufstellen würden, wie es der Herzog von Gramont nach Ihren Be¬
richten im Ministerrate gethan hätte, heißt mindestens sehr kühn vorgehen. . . .


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[0311] Österreich und der deutsch-französische Krieg. Beistandes der neutralen Mächte auch in Wien vorgesprochen habe, dort ver¬ sichert worden, man habe dem Herzog von Gramont, als er noch Botschafter daselbst gewesen sei, erklärt, Österreich-Ungarn werde, falls die Regierung des Kaisers Napoleon sich in einen Krieg einlasse, sich ihr nicht anschließen. Gra¬ mont trat darauf mit der Behauptung des Gegenteils an die Öffentlichkeit, d. h. er versicherte, man habe ihm damals in Wien ein Bündnis mit Frank¬ reich zugesagt, wobei er sich vorzüglich auf eine angebliche Verhandlung während der Jahre 1869 und 1870 bezog, welche ein Defensiv- und Osfensivbündnis Österreichs und Frankreichs gegen Preußen bezweckt habe. Beust erwiederte hierauf in einem Briefe vom 4. Januar 1873 in der Hauptsache, diese an¬ gebliche Verhandlung habe nicht 1869 und 1870. sondern 1868 und 1869 statt¬ gefunden und in einer Korrespondenz ganz privaten Charakters bestanden, welche auf sein Verlangen dem Herzoge nach seinem Eintritte ins Ministerium mit¬ geteilt worden sei. Diese Korrespondenz sei nur ein Austausch von Ideen und Projekten gewesen und habe 1869 aufgehört, ohne daß sie zum Ziele geführt habe und etwas unterzeichnet worden sei. Drei Punkte indes hätten sie charak- terisirt: das Einvernehmen hätte eine defensive Natur und einen friedlichen Zweck gehabt, man habe in allen diplomatischen Fragen eine gemeinsame Politik ver¬ folgen wollen, und Österreich habe sich vorbehalten, falls Frankreich sich ge¬ zwungen sähe, Krieg zu führen, seine Neutralität zu erklären. „Die einzige Verpflichtung, welche uns daraus erwuchs — schrieb Beust —, ohne jedoch jemals in die Form eines Vertrages gekleidet zu werden, bestand in dem gegen¬ seitigen Versprechen, sich nicht ohne Vorwissen des einen und des andern mit einer dritten Macht zu verständigen." Zum Beweise, daß man sich dieser Ver¬ pflichtung erinnert, daß es keine andre gegeben, daß Österreich aber jene als eine Zusage diplomatischen Beistandes zu deuten sich gestattet habe, übersandte er dem Herzog Abschrift einer Depesche vom 11. Juli 1870, in welcher dem Fürsten von Metternich, dem damaligen österreichischen Botschaften in Paris, Instruktionen erteilt worden seien, nach denen er seine Sprache gegenüber der dortigen Regierung eingerichtet haben werde. „Es ist also — schrieb Beust gegen den Schluß des Briefes — klar festgestellt, daß, als Frankreich den Krieg erklärte, nicht ein Wort gesagt oder geschrieben worden war, welches es befugt hätte, auf den militärischen Beistand Österreichs zu rechnen." Prüfen wir das nach den Belegen. In jener Depesche vom 11. Juli 1870 heißt es u. a. (wir übersetzen das französische Original): Ich verbleibe dabei, daß der Kaiser Napoleon und seine Minister sich nicht der Illusion überlassen dürfen, zu glauben, daß sie uns einfach nach ihrem Be¬ lieben über das, was wir versprochen haben, und über die Grenze, welche uns durch unsre Lebensinteressen sowie durch unsre materielle Lage gezogen ist, hinausschleppen könnten. Mit Zuversicht von einem Observationskorps zu sprechen, welches wir in Böhmen aufstellen würden, wie es der Herzog von Gramont nach Ihren Be¬ richten im Ministerrate gethan hätte, heißt mindestens sehr kühn vorgehen. . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/311>, abgerufen am 01.09.2024.