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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

trotzdem den Schlüssel zu einem kleinen Vorlegeschloß an einem breiten, schwarzen
Bande um den Hals. Wollen wir hingehen? fragte er.

Und sie gingen. Am Gartenzaun fanden sie Frithjof, er lag im Grase,
aß unreife Stachelbeeren und hatte Abschiedsthränen in den Augen. Trotzdem
war er beleidigt, daß sie ihn nicht früher aufgesucht hatten. Er kam sonst
freilich immer von selber, aber an einem Tage wie heute, meinte er, muß mau
die Form etwas mehr beobachten als gewöhnlich. Schweigend hielt er ihnen
eine Hand voll von den grünen Früchten hin; sie aber hatten ihre Lieblings¬
gerichte zu Mittag bekommen und waren wählerisch.

Sauer, sagte Erik und schauderte.

Ungesundes Zeug, fügte Ricks überlegen hinzu und sah ans die darge¬
botenen Beeren herab. Wie kannst du das nur essen? Wirf den Schund weg,
wir wollen zum Wrack hinunter; und dabei zeigte er mit dem Kinn auf das
Schlüsselband, denn die Hände hatte er in den Hosentaschen.

Und dann gingen die drei mit einander an den Strand.

Das Wrack war eine alte, grün angemalte Schiffskcijüte, die einmal auf einer
Strandauktion gekauft worden war und die, während der Damm gebaut wurde,
zum Aufbewahren der Gerätschaften gedient hatte; jetzt wurde sie nicht mehr
benutzt, und die Knaben hatten Besitz davon ergriffen. Sie bewahrten dort ihre
Fahrzeuge, ihre Flitzbogen, ihre Springstöcke und andre Herrlichkeiten auf, na¬
mentlich solche verbotene, aber unentbehrliche Dinge wie Pulver, Tabak und
Schwefelhölzer.

Mit einem gewissen feierlichen Ernst öffnete Ricks die Thür der Kajüte,
und sie gingen hinein und suchten ihre Sachen aus den dunkeln Winkeln des
leeren Kojenraumes zusammen.

Wißt ihr was! sagte Erik, dessen Kopf in einer der entferntesten Ecken
steckte, ich will mein Schiff in die Luft fliegen lassen.

Meins und Frithjofs auch, sagte Ricks und begleitete seine Worte mit
einer feierlichen, beschwörenden Bewegung der Hand.

O bewahre, meins nicht! rief Frithjof, womit sollten wir denn wohl segeln,
wenn Erik fort ist?

Das ist wahr, sagte Ricks und wandte sich verächtlich von ihm ab.

Frithjof fühlte sich ein wenig ungemütlich, als aber die andern hinaus¬
gegangen waren, suchte er sich doch ein etwas sichreres Versteck für sein Fahr¬
zeug aus.

Draußen legten sie das Pulver in einem theergetränkten Nest von Hede
in die Schiffe, machten die Lunten zurecht, setzten die Segel auf, zündeten dann
an und sprangen zurück. Und dann liefen sie am Strand entlang und machten
der Mannschaft an Bord Zeichen und erklärten einander mit lauter Stimme
die zufälligen Wendungen und Bewegungen des Schiffes als Beweise für die
nautische Intelligenz des tapfern Kapitäns.


Ricks Lyhne,

trotzdem den Schlüssel zu einem kleinen Vorlegeschloß an einem breiten, schwarzen
Bande um den Hals. Wollen wir hingehen? fragte er.

Und sie gingen. Am Gartenzaun fanden sie Frithjof, er lag im Grase,
aß unreife Stachelbeeren und hatte Abschiedsthränen in den Augen. Trotzdem
war er beleidigt, daß sie ihn nicht früher aufgesucht hatten. Er kam sonst
freilich immer von selber, aber an einem Tage wie heute, meinte er, muß mau
die Form etwas mehr beobachten als gewöhnlich. Schweigend hielt er ihnen
eine Hand voll von den grünen Früchten hin; sie aber hatten ihre Lieblings¬
gerichte zu Mittag bekommen und waren wählerisch.

Sauer, sagte Erik und schauderte.

Ungesundes Zeug, fügte Ricks überlegen hinzu und sah ans die darge¬
botenen Beeren herab. Wie kannst du das nur essen? Wirf den Schund weg,
wir wollen zum Wrack hinunter; und dabei zeigte er mit dem Kinn auf das
Schlüsselband, denn die Hände hatte er in den Hosentaschen.

Und dann gingen die drei mit einander an den Strand.

Das Wrack war eine alte, grün angemalte Schiffskcijüte, die einmal auf einer
Strandauktion gekauft worden war und die, während der Damm gebaut wurde,
zum Aufbewahren der Gerätschaften gedient hatte; jetzt wurde sie nicht mehr
benutzt, und die Knaben hatten Besitz davon ergriffen. Sie bewahrten dort ihre
Fahrzeuge, ihre Flitzbogen, ihre Springstöcke und andre Herrlichkeiten auf, na¬
mentlich solche verbotene, aber unentbehrliche Dinge wie Pulver, Tabak und
Schwefelhölzer.

Mit einem gewissen feierlichen Ernst öffnete Ricks die Thür der Kajüte,
und sie gingen hinein und suchten ihre Sachen aus den dunkeln Winkeln des
leeren Kojenraumes zusammen.

Wißt ihr was! sagte Erik, dessen Kopf in einer der entferntesten Ecken
steckte, ich will mein Schiff in die Luft fliegen lassen.

Meins und Frithjofs auch, sagte Ricks und begleitete seine Worte mit
einer feierlichen, beschwörenden Bewegung der Hand.

O bewahre, meins nicht! rief Frithjof, womit sollten wir denn wohl segeln,
wenn Erik fort ist?

Das ist wahr, sagte Ricks und wandte sich verächtlich von ihm ab.

Frithjof fühlte sich ein wenig ungemütlich, als aber die andern hinaus¬
gegangen waren, suchte er sich doch ein etwas sichreres Versteck für sein Fahr¬
zeug aus.

Draußen legten sie das Pulver in einem theergetränkten Nest von Hede
in die Schiffe, machten die Lunten zurecht, setzten die Segel auf, zündeten dann
an und sprangen zurück. Und dann liefen sie am Strand entlang und machten
der Mannschaft an Bord Zeichen und erklärten einander mit lauter Stimme
die zufälligen Wendungen und Bewegungen des Schiffes als Beweise für die
nautische Intelligenz des tapfern Kapitäns.


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[0301] Ricks Lyhne, trotzdem den Schlüssel zu einem kleinen Vorlegeschloß an einem breiten, schwarzen Bande um den Hals. Wollen wir hingehen? fragte er. Und sie gingen. Am Gartenzaun fanden sie Frithjof, er lag im Grase, aß unreife Stachelbeeren und hatte Abschiedsthränen in den Augen. Trotzdem war er beleidigt, daß sie ihn nicht früher aufgesucht hatten. Er kam sonst freilich immer von selber, aber an einem Tage wie heute, meinte er, muß mau die Form etwas mehr beobachten als gewöhnlich. Schweigend hielt er ihnen eine Hand voll von den grünen Früchten hin; sie aber hatten ihre Lieblings¬ gerichte zu Mittag bekommen und waren wählerisch. Sauer, sagte Erik und schauderte. Ungesundes Zeug, fügte Ricks überlegen hinzu und sah ans die darge¬ botenen Beeren herab. Wie kannst du das nur essen? Wirf den Schund weg, wir wollen zum Wrack hinunter; und dabei zeigte er mit dem Kinn auf das Schlüsselband, denn die Hände hatte er in den Hosentaschen. Und dann gingen die drei mit einander an den Strand. Das Wrack war eine alte, grün angemalte Schiffskcijüte, die einmal auf einer Strandauktion gekauft worden war und die, während der Damm gebaut wurde, zum Aufbewahren der Gerätschaften gedient hatte; jetzt wurde sie nicht mehr benutzt, und die Knaben hatten Besitz davon ergriffen. Sie bewahrten dort ihre Fahrzeuge, ihre Flitzbogen, ihre Springstöcke und andre Herrlichkeiten auf, na¬ mentlich solche verbotene, aber unentbehrliche Dinge wie Pulver, Tabak und Schwefelhölzer. Mit einem gewissen feierlichen Ernst öffnete Ricks die Thür der Kajüte, und sie gingen hinein und suchten ihre Sachen aus den dunkeln Winkeln des leeren Kojenraumes zusammen. Wißt ihr was! sagte Erik, dessen Kopf in einer der entferntesten Ecken steckte, ich will mein Schiff in die Luft fliegen lassen. Meins und Frithjofs auch, sagte Ricks und begleitete seine Worte mit einer feierlichen, beschwörenden Bewegung der Hand. O bewahre, meins nicht! rief Frithjof, womit sollten wir denn wohl segeln, wenn Erik fort ist? Das ist wahr, sagte Ricks und wandte sich verächtlich von ihm ab. Frithjof fühlte sich ein wenig ungemütlich, als aber die andern hinaus¬ gegangen waren, suchte er sich doch ein etwas sichreres Versteck für sein Fahr¬ zeug aus. Draußen legten sie das Pulver in einem theergetränkten Nest von Hede in die Schiffe, machten die Lunten zurecht, setzten die Segel auf, zündeten dann an und sprangen zurück. Und dann liefen sie am Strand entlang und machten der Mannschaft an Bord Zeichen und erklärten einander mit lauter Stimme die zufälligen Wendungen und Bewegungen des Schiffes als Beweise für die nautische Intelligenz des tapfern Kapitäns.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/301>, abgerufen am 28.07.2024.