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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Eriks Aufenthalt auf Lönborggaard währte nur ein Jahr oder auch
anderthalb, denn Lyhne hatte bei einem Besuch in Kopenhagen mit einem be¬
deutenden Bildhauer gesprochen und ihm die Skizzen des Knaben gezeigt, und
Mikkelsen, der Bildhauer, hatte gesagt, daß sich in ihnen ein unverkennbares
Talent zeige, und daß das Studiren Zeitverschwedung sei, es bedürfe keiner
besondern klassischen Bildung, um einen griechischen Namen für einen nackten
Menschen zu finden. Deswegen wurde verabredet, daß Erik gleich in die Haupt¬
stadt geschickt werden sollte, um die Akademie zu besuchen und in Mikkelsens
Atelier zu arbeiten.

Am letzten Nachmittage saßen Ricks und Erik oben auf ihrem Zimmer.
Ricks besah die Bilder in einem Pfennigmagazin. Erik war in Spenglers be¬
schreibenden Katalog der Gemäldesammlung auf dem Christiansborger Schlosse
vertieft. Wie unzählige male hatte er dies Buch nicht durchgeblättert und
sich aus den naiven Beschreibungen eine Vorstellung über die Gemälde zu bilden
versucht, beinahe krank vor Sehnsucht, alle diese Kunst und Schönheit wirklich
zu schauen, die ganze Herrlichkeit dieser Linien und Farben wirklich mit den
Augen zu genießen, wirklich mit den Augen zu erfassen, sodaß sie durch die
Bewunderung sein eigen würde; und wie unzählige male hatte er dann dies
Buch zugeschlagen, müde, in den treibenden, phantastischen Nebel der Worte
hineinzustarren, in den Nebel, der sich nicht befestigen, sich nicht ballen, gestalten
wollte, sondern nur in verwirrenden Wechsel wogen und wogen. Heute war es
anders, heute hatte er die Gewißheit, daß dieser Nebel bald kein Schatten aus
dem Traumlande mehr sein würde, und er fühlte sich so reich durch alle die
Verheißungen des Buches, und die Bilder gestalteten sich heute wie nie zuvor
und durchbrachen die Wolken in flüchtigem Schimmer, wie die farbenstarke
Sonne, die durch den Nebel bricht, golden und in goldig zitterndem Glänze.

Was besiehst du da? fragte er Ricks.

Ricks zeigte ihm in seinem Buche Lassen, den Helden des zweiten April.

Wie häßlich der ist! meinte Erik.

Häßlich! Er war doch ein Held, nennst du denn vielleich auch den da
häßlich?

Ricks hatte zurückgeblättert bis zu dem Bilde eines großen Dichters.

Abscheulich häßlich! versicherte Erik und verzog den Mund. Ist das etwa
eine Nase? und der Mund und die Augen und dies struppige Haar, das ihm
um den Kopf hängt!

Ricks sah, daß er häßlich war, und wurde ganz kleinlaut. Es war ihm
bis dahin niemals eingefallen, daß das. was groß ist, deswegen nicht auch
allemal in eine schöne Form gekleidet sei.

Das ist wahr, sagte Erik, und klappte seinen Spengler zu. Ich wollte
dir ja noch den Schlüssel zum Wrack geben.

Ricks machte eine tiefsinnige, abwehrende Bewegung, aber Erik hängte ihm


Ricks Lyhne.

Eriks Aufenthalt auf Lönborggaard währte nur ein Jahr oder auch
anderthalb, denn Lyhne hatte bei einem Besuch in Kopenhagen mit einem be¬
deutenden Bildhauer gesprochen und ihm die Skizzen des Knaben gezeigt, und
Mikkelsen, der Bildhauer, hatte gesagt, daß sich in ihnen ein unverkennbares
Talent zeige, und daß das Studiren Zeitverschwedung sei, es bedürfe keiner
besondern klassischen Bildung, um einen griechischen Namen für einen nackten
Menschen zu finden. Deswegen wurde verabredet, daß Erik gleich in die Haupt¬
stadt geschickt werden sollte, um die Akademie zu besuchen und in Mikkelsens
Atelier zu arbeiten.

Am letzten Nachmittage saßen Ricks und Erik oben auf ihrem Zimmer.
Ricks besah die Bilder in einem Pfennigmagazin. Erik war in Spenglers be¬
schreibenden Katalog der Gemäldesammlung auf dem Christiansborger Schlosse
vertieft. Wie unzählige male hatte er dies Buch nicht durchgeblättert und
sich aus den naiven Beschreibungen eine Vorstellung über die Gemälde zu bilden
versucht, beinahe krank vor Sehnsucht, alle diese Kunst und Schönheit wirklich
zu schauen, die ganze Herrlichkeit dieser Linien und Farben wirklich mit den
Augen zu genießen, wirklich mit den Augen zu erfassen, sodaß sie durch die
Bewunderung sein eigen würde; und wie unzählige male hatte er dann dies
Buch zugeschlagen, müde, in den treibenden, phantastischen Nebel der Worte
hineinzustarren, in den Nebel, der sich nicht befestigen, sich nicht ballen, gestalten
wollte, sondern nur in verwirrenden Wechsel wogen und wogen. Heute war es
anders, heute hatte er die Gewißheit, daß dieser Nebel bald kein Schatten aus
dem Traumlande mehr sein würde, und er fühlte sich so reich durch alle die
Verheißungen des Buches, und die Bilder gestalteten sich heute wie nie zuvor
und durchbrachen die Wolken in flüchtigem Schimmer, wie die farbenstarke
Sonne, die durch den Nebel bricht, golden und in goldig zitterndem Glänze.

Was besiehst du da? fragte er Ricks.

Ricks zeigte ihm in seinem Buche Lassen, den Helden des zweiten April.

Wie häßlich der ist! meinte Erik.

Häßlich! Er war doch ein Held, nennst du denn vielleich auch den da
häßlich?

Ricks hatte zurückgeblättert bis zu dem Bilde eines großen Dichters.

Abscheulich häßlich! versicherte Erik und verzog den Mund. Ist das etwa
eine Nase? und der Mund und die Augen und dies struppige Haar, das ihm
um den Kopf hängt!

Ricks sah, daß er häßlich war, und wurde ganz kleinlaut. Es war ihm
bis dahin niemals eingefallen, daß das. was groß ist, deswegen nicht auch
allemal in eine schöne Form gekleidet sei.

Das ist wahr, sagte Erik, und klappte seinen Spengler zu. Ich wollte
dir ja noch den Schlüssel zum Wrack geben.

Ricks machte eine tiefsinnige, abwehrende Bewegung, aber Erik hängte ihm


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[0300] Ricks Lyhne. Eriks Aufenthalt auf Lönborggaard währte nur ein Jahr oder auch anderthalb, denn Lyhne hatte bei einem Besuch in Kopenhagen mit einem be¬ deutenden Bildhauer gesprochen und ihm die Skizzen des Knaben gezeigt, und Mikkelsen, der Bildhauer, hatte gesagt, daß sich in ihnen ein unverkennbares Talent zeige, und daß das Studiren Zeitverschwedung sei, es bedürfe keiner besondern klassischen Bildung, um einen griechischen Namen für einen nackten Menschen zu finden. Deswegen wurde verabredet, daß Erik gleich in die Haupt¬ stadt geschickt werden sollte, um die Akademie zu besuchen und in Mikkelsens Atelier zu arbeiten. Am letzten Nachmittage saßen Ricks und Erik oben auf ihrem Zimmer. Ricks besah die Bilder in einem Pfennigmagazin. Erik war in Spenglers be¬ schreibenden Katalog der Gemäldesammlung auf dem Christiansborger Schlosse vertieft. Wie unzählige male hatte er dies Buch nicht durchgeblättert und sich aus den naiven Beschreibungen eine Vorstellung über die Gemälde zu bilden versucht, beinahe krank vor Sehnsucht, alle diese Kunst und Schönheit wirklich zu schauen, die ganze Herrlichkeit dieser Linien und Farben wirklich mit den Augen zu genießen, wirklich mit den Augen zu erfassen, sodaß sie durch die Bewunderung sein eigen würde; und wie unzählige male hatte er dann dies Buch zugeschlagen, müde, in den treibenden, phantastischen Nebel der Worte hineinzustarren, in den Nebel, der sich nicht befestigen, sich nicht ballen, gestalten wollte, sondern nur in verwirrenden Wechsel wogen und wogen. Heute war es anders, heute hatte er die Gewißheit, daß dieser Nebel bald kein Schatten aus dem Traumlande mehr sein würde, und er fühlte sich so reich durch alle die Verheißungen des Buches, und die Bilder gestalteten sich heute wie nie zuvor und durchbrachen die Wolken in flüchtigem Schimmer, wie die farbenstarke Sonne, die durch den Nebel bricht, golden und in goldig zitterndem Glänze. Was besiehst du da? fragte er Ricks. Ricks zeigte ihm in seinem Buche Lassen, den Helden des zweiten April. Wie häßlich der ist! meinte Erik. Häßlich! Er war doch ein Held, nennst du denn vielleich auch den da häßlich? Ricks hatte zurückgeblättert bis zu dem Bilde eines großen Dichters. Abscheulich häßlich! versicherte Erik und verzog den Mund. Ist das etwa eine Nase? und der Mund und die Augen und dies struppige Haar, das ihm um den Kopf hängt! Ricks sah, daß er häßlich war, und wurde ganz kleinlaut. Es war ihm bis dahin niemals eingefallen, daß das. was groß ist, deswegen nicht auch allemal in eine schöne Form gekleidet sei. Das ist wahr, sagte Erik, und klappte seinen Spengler zu. Ich wollte dir ja noch den Schlüssel zum Wrack geben. Ricks machte eine tiefsinnige, abwehrende Bewegung, aber Erik hängte ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/300>, abgerufen am 27.07.2024.