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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Irland.

tatoren, die natürlich fruchtbaren Boden für ihren verhängnisvollen Samen
finden. Und was ließe sich mit diesen Kindern anfangen! Wie könnte die rasche
Auffassungsgabe, der geniale Zug, den ich schon als ein charakteristisches Merk¬
mal der Iren angeführt habe, in die rechten Bahnen geleitet und gewissenhaft
verwertet, dazu beitragen, dem unglücklichen Volke bessere soziale Verhältnisse
und einen Ehrenplatz unter den gebildeten Nationen Europas zu sichern!

Daß dieses Volk zu großen Leistungen fähig ist, beweisen uns seine großen
Männer. Die alte Sprache Irlands ist zwar sast verklungen, aber mit ihr ist
sein geistiges Leben noch nicht erloschen. Es hat eine große Anzahl von
Männern hervorbräche d^ sich einen unvergänglichen Namen gemacht haben,
deren Schriften sich den besten Schriften der Engländer würdig an die Seite
stellen. Männer wie Henry Gratton und Daniel O'Connel haben mit der ihrer
Nation eignen wunderbar gewaltigen und packenden Redekunst für die Rechte
Irlands gestritten. Jonathan Swifts Name ist selbst unsrer Jugend durch
Gullivers Reisen zu den Liliputtern bekannt; aber er war auch einer der be¬
deutendsten Kanzelredner am Anfang des vorigen Jahrhunderts. Und wer kennt
nicht Oliver Goldsmith, den Verfasser des Landpredigers von Wakefield? Auch
Sheridans "Rivalen" und seine "Lasterschule" werden noch jetzt mit großem
Vergnügen gelesen und aufgeführt; das harte Urteil neuerer englischer Schrift¬
steller hat diese Lustspiele aus der Gunst des Publikums nicht verdrängen
können. Der größte aber unter den Schriftstellern Irlands ist unstreitig Thomas
Moore. Seine Volkslieder, die unter dem Titel "Irische Melodien" und "Na¬
tionallieder" erschienen sind, seine Dichtung "Lalla Rookh," besonders der zweite
Teil derselben: "Das Paradies und die Perl" sind ja Gemeingut der gebildeten
Welt geworden. Warme Empfindung ist bei Moore mit einer wunderbaren
Formvollendung gepaart, und das tiefe Weh, das aus den meisten seiner Werke
spricht, der nagende Schmerz um das Elend und die Knechtschaft seines Vater¬
landes, sie ergreifen uns mehr als die Siegeslieder seiner englischen Zcitgegenossen:


Denn teurer ist uns der Kerker, das Grab,
Die ein Vatcrlcmdstampfer gefunden,
Als der Lorberkrcmz um den Siegerstab,
Um die Trümmer der Freiheit gewunden.

(Moores Nationallieder.)

Und dieser Schmerz ist berechtigt, denn es giebt kaum etwas Tragischeres
als den Tod einer Nation. Aber es giebt auch nichts Sicherers als den Unter¬
gang eines Volkes, das keine über das Parteigezänk erhabene nationale Idee
mehr kennt, das auf dem blutbefleckten Wege der Gesetzlosigkeit zur Selbstherr¬
schaft gelangen will.

Möge die Zukunft die düstern Bilder verwischen, die der Blick auf das
heutige Irland entstehen läßt, möge auf den Trümmern des alten sich ein
neues einiges, friedliches Erin erheben!




Erinnerungen aus Irland.

tatoren, die natürlich fruchtbaren Boden für ihren verhängnisvollen Samen
finden. Und was ließe sich mit diesen Kindern anfangen! Wie könnte die rasche
Auffassungsgabe, der geniale Zug, den ich schon als ein charakteristisches Merk¬
mal der Iren angeführt habe, in die rechten Bahnen geleitet und gewissenhaft
verwertet, dazu beitragen, dem unglücklichen Volke bessere soziale Verhältnisse
und einen Ehrenplatz unter den gebildeten Nationen Europas zu sichern!

Daß dieses Volk zu großen Leistungen fähig ist, beweisen uns seine großen
Männer. Die alte Sprache Irlands ist zwar sast verklungen, aber mit ihr ist
sein geistiges Leben noch nicht erloschen. Es hat eine große Anzahl von
Männern hervorbräche d^ sich einen unvergänglichen Namen gemacht haben,
deren Schriften sich den besten Schriften der Engländer würdig an die Seite
stellen. Männer wie Henry Gratton und Daniel O'Connel haben mit der ihrer
Nation eignen wunderbar gewaltigen und packenden Redekunst für die Rechte
Irlands gestritten. Jonathan Swifts Name ist selbst unsrer Jugend durch
Gullivers Reisen zu den Liliputtern bekannt; aber er war auch einer der be¬
deutendsten Kanzelredner am Anfang des vorigen Jahrhunderts. Und wer kennt
nicht Oliver Goldsmith, den Verfasser des Landpredigers von Wakefield? Auch
Sheridans „Rivalen" und seine „Lasterschule" werden noch jetzt mit großem
Vergnügen gelesen und aufgeführt; das harte Urteil neuerer englischer Schrift¬
steller hat diese Lustspiele aus der Gunst des Publikums nicht verdrängen
können. Der größte aber unter den Schriftstellern Irlands ist unstreitig Thomas
Moore. Seine Volkslieder, die unter dem Titel „Irische Melodien" und „Na¬
tionallieder" erschienen sind, seine Dichtung „Lalla Rookh," besonders der zweite
Teil derselben: „Das Paradies und die Perl" sind ja Gemeingut der gebildeten
Welt geworden. Warme Empfindung ist bei Moore mit einer wunderbaren
Formvollendung gepaart, und das tiefe Weh, das aus den meisten seiner Werke
spricht, der nagende Schmerz um das Elend und die Knechtschaft seines Vater¬
landes, sie ergreifen uns mehr als die Siegeslieder seiner englischen Zcitgegenossen:


Denn teurer ist uns der Kerker, das Grab,
Die ein Vatcrlcmdstampfer gefunden,
Als der Lorberkrcmz um den Siegerstab,
Um die Trümmer der Freiheit gewunden.

(Moores Nationallieder.)

Und dieser Schmerz ist berechtigt, denn es giebt kaum etwas Tragischeres
als den Tod einer Nation. Aber es giebt auch nichts Sicherers als den Unter¬
gang eines Volkes, das keine über das Parteigezänk erhabene nationale Idee
mehr kennt, das auf dem blutbefleckten Wege der Gesetzlosigkeit zur Selbstherr¬
schaft gelangen will.

Möge die Zukunft die düstern Bilder verwischen, die der Blick auf das
heutige Irland entstehen läßt, möge auf den Trümmern des alten sich ein
neues einiges, friedliches Erin erheben!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/294>, abgerufen am 27.07.2024.