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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Irland.

stoße verhindert hat, aber die Hetzreden der frühern Zeit waren auf einen
fruchtbaren Boden gefallen, und die zarten Winke waren nur zu gut verstanden
und befolgt worden. Was war natürlicher, als daß man den Exekutoren sich
gewaltsam widersetzte, die Agenten und Pachteintreiber auch gelegentlich nieder¬
schoß? Was war natürlicher, als daß ganze Scharen vermummter Fenier bei
Nacht in die Häuser eindrangen und unbarmherzig die niedermachten, die sich
erdreisteten, ihr Leben in Irland als etwas andres als ein bloßes Gnaden¬
geschenk der Landliga anzusehen, die sich vielleicht sogar vermessen hatten, zu
glauben, sie könnten trotz der Beschlüsse derselben ihre Pachtzahlungen leisten,
Acker und Vieh kaufen und ein friedliches Leben führen? Ein wohlhabender
Farmer der Grafschaft Wexford hatte sich bei seinen, der Landliga angehörigen
Mitpächtern dadurch mißliebig gemacht, daß er ein Stück Land gepachtet hatte,
von dem der frühere Inhaber ausgetrieben worden war. Plötzlich erscheint in
der Nacht eine Anzahl verkleideter Männer mit rußgeschwärzten Gesichtern auf
dem Hofe und begehrt Einlaß in des Pächters Hans. Dieser öffnet selbst die
Thür, bleibt aber sofort mit zertrümmertem Schädel an der Schwelle liegen.
Nun wird die Frau aus der Schlafkammer in den Flur geschleppt, wo sie auf
den Knieen geloben muß, keinen aus der Mörderhände anzuzeigen und den ver¬
hängnisvollen Pachtvertrag rückgängig zu machen. Sie hat ihren Schwur ge¬
halten, denn sie konnte sicher sein, daß, wenn sie ihn bräche, sie nicht nur ihr
eignes, sondern auch ihrer Kinder Leben preisgäbe. Und so ist es in Hunderten
von Fällen gewesen; Entlastungszengen waren immer dutzendweise bei jeder
Untersuchung eines Agrarverbrechens zu haben, aber kaum je einer, der die
Schuldigen zu bezeichnen den Mut hatte.

Wenn auch die letzten Jahre weniger reich an Agrarverbrechen gewesen sind,
so ist es doch nur eine sehr trügerische Ruhe, und in kurzem kann die alte
Schreckensherrschaft von neuem aufleben.

Daß es in einem Lande, wo die Auflehnung gegen die Staatsgewalt und
ein blutiger Krieg zwischen den verschiedenen Klassen, Nationalitäten und Glau¬
bensbekenntnissen zu chronischen Übeln geworden sind, zu einer gedeihlichen wirt¬
schaftlichen und sittlichen Entwicklung des Volkslebens nicht kommen kann, liegt
auf der Hand. Zudem sind die Schnlverhciltnisse durchaus ungünstig. Auf deu
größern Gütern befinden sich zwar fast stets vom Besitzer gestiftete und er¬
haltene Elementarschulen, auf denen gewiß etwas Ordentliches geleistet werden
würde, wenn die Bauern und Tagelöhner sich entschließen könnten, ihre Kinder
regelmäßig hinzuschicken. Das scheint aber unerreichbar. Ein Teil der Eltern
läßt die Kinder überhaupt die Schule nicht besuchen aus Haß gegen den Grund¬
besitzer oder aus sonstigen Gründen, andre behalten ihre Kinder bei jeder Ge¬
legenheit zu Hause, um an ihnen eine Stütze ihrer Trägheit zu haben. Und
so wachsen denn Tausende von Kindern heran, ohne irgend welche Zucht und ohne
andre Geistesnahrung, als die gewissenlosen, aufrührerischen Reden der Agi-


Erinnerungen aus Irland.

stoße verhindert hat, aber die Hetzreden der frühern Zeit waren auf einen
fruchtbaren Boden gefallen, und die zarten Winke waren nur zu gut verstanden
und befolgt worden. Was war natürlicher, als daß man den Exekutoren sich
gewaltsam widersetzte, die Agenten und Pachteintreiber auch gelegentlich nieder¬
schoß? Was war natürlicher, als daß ganze Scharen vermummter Fenier bei
Nacht in die Häuser eindrangen und unbarmherzig die niedermachten, die sich
erdreisteten, ihr Leben in Irland als etwas andres als ein bloßes Gnaden¬
geschenk der Landliga anzusehen, die sich vielleicht sogar vermessen hatten, zu
glauben, sie könnten trotz der Beschlüsse derselben ihre Pachtzahlungen leisten,
Acker und Vieh kaufen und ein friedliches Leben führen? Ein wohlhabender
Farmer der Grafschaft Wexford hatte sich bei seinen, der Landliga angehörigen
Mitpächtern dadurch mißliebig gemacht, daß er ein Stück Land gepachtet hatte,
von dem der frühere Inhaber ausgetrieben worden war. Plötzlich erscheint in
der Nacht eine Anzahl verkleideter Männer mit rußgeschwärzten Gesichtern auf
dem Hofe und begehrt Einlaß in des Pächters Hans. Dieser öffnet selbst die
Thür, bleibt aber sofort mit zertrümmertem Schädel an der Schwelle liegen.
Nun wird die Frau aus der Schlafkammer in den Flur geschleppt, wo sie auf
den Knieen geloben muß, keinen aus der Mörderhände anzuzeigen und den ver¬
hängnisvollen Pachtvertrag rückgängig zu machen. Sie hat ihren Schwur ge¬
halten, denn sie konnte sicher sein, daß, wenn sie ihn bräche, sie nicht nur ihr
eignes, sondern auch ihrer Kinder Leben preisgäbe. Und so ist es in Hunderten
von Fällen gewesen; Entlastungszengen waren immer dutzendweise bei jeder
Untersuchung eines Agrarverbrechens zu haben, aber kaum je einer, der die
Schuldigen zu bezeichnen den Mut hatte.

Wenn auch die letzten Jahre weniger reich an Agrarverbrechen gewesen sind,
so ist es doch nur eine sehr trügerische Ruhe, und in kurzem kann die alte
Schreckensherrschaft von neuem aufleben.

Daß es in einem Lande, wo die Auflehnung gegen die Staatsgewalt und
ein blutiger Krieg zwischen den verschiedenen Klassen, Nationalitäten und Glau¬
bensbekenntnissen zu chronischen Übeln geworden sind, zu einer gedeihlichen wirt¬
schaftlichen und sittlichen Entwicklung des Volkslebens nicht kommen kann, liegt
auf der Hand. Zudem sind die Schnlverhciltnisse durchaus ungünstig. Auf deu
größern Gütern befinden sich zwar fast stets vom Besitzer gestiftete und er¬
haltene Elementarschulen, auf denen gewiß etwas Ordentliches geleistet werden
würde, wenn die Bauern und Tagelöhner sich entschließen könnten, ihre Kinder
regelmäßig hinzuschicken. Das scheint aber unerreichbar. Ein Teil der Eltern
läßt die Kinder überhaupt die Schule nicht besuchen aus Haß gegen den Grund¬
besitzer oder aus sonstigen Gründen, andre behalten ihre Kinder bei jeder Ge¬
legenheit zu Hause, um an ihnen eine Stütze ihrer Trägheit zu haben. Und
so wachsen denn Tausende von Kindern heran, ohne irgend welche Zucht und ohne
andre Geistesnahrung, als die gewissenlosen, aufrührerischen Reden der Agi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/293>, abgerufen am 27.07.2024.