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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Irland,

Was das Äußere anlangt, so sind die Iren im allgemeinen größer, aber
schmächtiger gebaut als Engländer und Schotten. Das Haar ist meist dunkel,
bisweilen rot, sehr selten blond. Der vielbewunderte für die Irinnen meist
charakteristische Typus ist eine etwas gelbliche Hautfarbe, rabenschwarzes Haar
und feurige, dunkelblaue Augen. So hat man sich die Kathleens von Thomas
Moore und andern irischen Nationaldichtern vorzustellen. Schade ist es, daß
solche Schönheit meist durch einen schmutzigen großen Shawl entstellt wird,
den Frauen und Mädchen der ärmern Klasse beim Ausgehe" fast stets tragen
und der mit Ausnahme des Gesichtes und der bloßen Füße die ganze Person
einhüllt.

Rasche Auffassung und große Schlagfertigkeit zeichnen den Iren entschieden
vor dem Engländer aus. Seine Einfülle sind, wenn auch noch so verdreht,
doch oft geradezu genial. Die Bilder, die uns Swift von seinen Landsleuten
entwirft, sind mitten aus dem Leben gegriffen. Freilich ist solche Genialität
oft mit entsetzlicher Rohheit gepaart. Der Vater meiner Zöglinge fragte einst
einen seiner Pächter, wie es komme, daß die Ziege, die er eben melkte, nur drei
Beine habe. "Ja, sagte der Farmer, anbinden mochte ich das arme Vieh nicht,
da hätte es sich zu sehr gequält, mitlaufen kann ich auch nicht immer; da habe
ich ihr das eine Bein abgehackt, damit sie nicht so rasch laufen kann und immer
hübsch in der Nähe bleibt."

Ich erwähnte schon die erbärmlichen Hütten und deren zerlumpte Bewohner.
Aber man muß in diesen Hütten gewesen sein, den Schmutz, die Unordnung
und das bunte Durcheinander von Kindern, Hühnern und Schweinen gesehen
haben, um sich einen wirklichen Begriff davon zu machen. Es giebt ja Aus¬
nahmen, besonders im Norden Irlands, wo das Beispiel der eingewanderten
Schotten entschieden günstig gewirkt hat, aber im großen und ganzen ist eine
irische Hütte, ein Irisd <zMn, wie man sie zum Unterschiede von den englischen
eottAAW nennt, das abschreckendste Bild einer menschlichen Wohnung, das ich
gesehen habe, schlimmer als die erbärmlichste russische oder polnische Bauern¬
wohnung.

Im Hinblick auf diese Eigentümlichkeiten der Iren zweifelt man auch sehr
an der Wirkungsfähigkeit der neuern Landbills, welche ihnen den Erwerb
von Bauerngütern erleichtern, und sieht in eine düstere Zukunft. Schon die
innere Spaltung des Volkes verhindert oder schwächt wenigstens jede energische
Bethätigung feines Willens. In dem ewigen Zwiste der beiden religiösen und
politischen Parteien, der Orangisten und der Ribbonmen oder Bändermänner,
liegt wohl ein Hauptgrund der nationalen Schwäche. Die protestantische, meist
unionistische Partei, die Partei also, die treu zur englischen Krone und zum
evangelischen Glauben hält, steht auf stetem Kriegsfuße mit der vorwiegend
aus Katholiken gebildeten Homerulepartei, derjenigen, die sich nur ungern unter
das Szepter eines protestantischen Herrscherhauses beugt, die aber jedenfalls


Erinnerungen aus Irland,

Was das Äußere anlangt, so sind die Iren im allgemeinen größer, aber
schmächtiger gebaut als Engländer und Schotten. Das Haar ist meist dunkel,
bisweilen rot, sehr selten blond. Der vielbewunderte für die Irinnen meist
charakteristische Typus ist eine etwas gelbliche Hautfarbe, rabenschwarzes Haar
und feurige, dunkelblaue Augen. So hat man sich die Kathleens von Thomas
Moore und andern irischen Nationaldichtern vorzustellen. Schade ist es, daß
solche Schönheit meist durch einen schmutzigen großen Shawl entstellt wird,
den Frauen und Mädchen der ärmern Klasse beim Ausgehe» fast stets tragen
und der mit Ausnahme des Gesichtes und der bloßen Füße die ganze Person
einhüllt.

Rasche Auffassung und große Schlagfertigkeit zeichnen den Iren entschieden
vor dem Engländer aus. Seine Einfülle sind, wenn auch noch so verdreht,
doch oft geradezu genial. Die Bilder, die uns Swift von seinen Landsleuten
entwirft, sind mitten aus dem Leben gegriffen. Freilich ist solche Genialität
oft mit entsetzlicher Rohheit gepaart. Der Vater meiner Zöglinge fragte einst
einen seiner Pächter, wie es komme, daß die Ziege, die er eben melkte, nur drei
Beine habe. „Ja, sagte der Farmer, anbinden mochte ich das arme Vieh nicht,
da hätte es sich zu sehr gequält, mitlaufen kann ich auch nicht immer; da habe
ich ihr das eine Bein abgehackt, damit sie nicht so rasch laufen kann und immer
hübsch in der Nähe bleibt."

Ich erwähnte schon die erbärmlichen Hütten und deren zerlumpte Bewohner.
Aber man muß in diesen Hütten gewesen sein, den Schmutz, die Unordnung
und das bunte Durcheinander von Kindern, Hühnern und Schweinen gesehen
haben, um sich einen wirklichen Begriff davon zu machen. Es giebt ja Aus¬
nahmen, besonders im Norden Irlands, wo das Beispiel der eingewanderten
Schotten entschieden günstig gewirkt hat, aber im großen und ganzen ist eine
irische Hütte, ein Irisd <zMn, wie man sie zum Unterschiede von den englischen
eottAAW nennt, das abschreckendste Bild einer menschlichen Wohnung, das ich
gesehen habe, schlimmer als die erbärmlichste russische oder polnische Bauern¬
wohnung.

Im Hinblick auf diese Eigentümlichkeiten der Iren zweifelt man auch sehr
an der Wirkungsfähigkeit der neuern Landbills, welche ihnen den Erwerb
von Bauerngütern erleichtern, und sieht in eine düstere Zukunft. Schon die
innere Spaltung des Volkes verhindert oder schwächt wenigstens jede energische
Bethätigung feines Willens. In dem ewigen Zwiste der beiden religiösen und
politischen Parteien, der Orangisten und der Ribbonmen oder Bändermänner,
liegt wohl ein Hauptgrund der nationalen Schwäche. Die protestantische, meist
unionistische Partei, die Partei also, die treu zur englischen Krone und zum
evangelischen Glauben hält, steht auf stetem Kriegsfuße mit der vorwiegend
aus Katholiken gebildeten Homerulepartei, derjenigen, die sich nur ungern unter
das Szepter eines protestantischen Herrscherhauses beugt, die aber jedenfalls


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[0290] Erinnerungen aus Irland, Was das Äußere anlangt, so sind die Iren im allgemeinen größer, aber schmächtiger gebaut als Engländer und Schotten. Das Haar ist meist dunkel, bisweilen rot, sehr selten blond. Der vielbewunderte für die Irinnen meist charakteristische Typus ist eine etwas gelbliche Hautfarbe, rabenschwarzes Haar und feurige, dunkelblaue Augen. So hat man sich die Kathleens von Thomas Moore und andern irischen Nationaldichtern vorzustellen. Schade ist es, daß solche Schönheit meist durch einen schmutzigen großen Shawl entstellt wird, den Frauen und Mädchen der ärmern Klasse beim Ausgehe» fast stets tragen und der mit Ausnahme des Gesichtes und der bloßen Füße die ganze Person einhüllt. Rasche Auffassung und große Schlagfertigkeit zeichnen den Iren entschieden vor dem Engländer aus. Seine Einfülle sind, wenn auch noch so verdreht, doch oft geradezu genial. Die Bilder, die uns Swift von seinen Landsleuten entwirft, sind mitten aus dem Leben gegriffen. Freilich ist solche Genialität oft mit entsetzlicher Rohheit gepaart. Der Vater meiner Zöglinge fragte einst einen seiner Pächter, wie es komme, daß die Ziege, die er eben melkte, nur drei Beine habe. „Ja, sagte der Farmer, anbinden mochte ich das arme Vieh nicht, da hätte es sich zu sehr gequält, mitlaufen kann ich auch nicht immer; da habe ich ihr das eine Bein abgehackt, damit sie nicht so rasch laufen kann und immer hübsch in der Nähe bleibt." Ich erwähnte schon die erbärmlichen Hütten und deren zerlumpte Bewohner. Aber man muß in diesen Hütten gewesen sein, den Schmutz, die Unordnung und das bunte Durcheinander von Kindern, Hühnern und Schweinen gesehen haben, um sich einen wirklichen Begriff davon zu machen. Es giebt ja Aus¬ nahmen, besonders im Norden Irlands, wo das Beispiel der eingewanderten Schotten entschieden günstig gewirkt hat, aber im großen und ganzen ist eine irische Hütte, ein Irisd <zMn, wie man sie zum Unterschiede von den englischen eottAAW nennt, das abschreckendste Bild einer menschlichen Wohnung, das ich gesehen habe, schlimmer als die erbärmlichste russische oder polnische Bauern¬ wohnung. Im Hinblick auf diese Eigentümlichkeiten der Iren zweifelt man auch sehr an der Wirkungsfähigkeit der neuern Landbills, welche ihnen den Erwerb von Bauerngütern erleichtern, und sieht in eine düstere Zukunft. Schon die innere Spaltung des Volkes verhindert oder schwächt wenigstens jede energische Bethätigung feines Willens. In dem ewigen Zwiste der beiden religiösen und politischen Parteien, der Orangisten und der Ribbonmen oder Bändermänner, liegt wohl ein Hauptgrund der nationalen Schwäche. Die protestantische, meist unionistische Partei, die Partei also, die treu zur englischen Krone und zum evangelischen Glauben hält, steht auf stetem Kriegsfuße mit der vorwiegend aus Katholiken gebildeten Homerulepartei, derjenigen, die sich nur ungern unter das Szepter eines protestantischen Herrscherhauses beugt, die aber jedenfalls

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/290>, abgerufen am 28.07.2024.