Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Erinnerungen aus Irland. qualmenden Torffeuer. Endlich wurde mir gesagt, der Postwagen sei vor der Nach mancherlei Abenteuern, die mich auf interessante psychologische Ver¬ Man hört und liest so viel von der untergeordneten, oft geradezu unwür¬ Das abscheuliche Wetter, das mich begrüßte, dauerte noch lange fort, und Erinnerungen aus Irland. qualmenden Torffeuer. Endlich wurde mir gesagt, der Postwagen sei vor der Nach mancherlei Abenteuern, die mich auf interessante psychologische Ver¬ Man hört und liest so viel von der untergeordneten, oft geradezu unwür¬ Das abscheuliche Wetter, das mich begrüßte, dauerte noch lange fort, und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203065"/> <fw type="header" place="top"> Erinnerungen aus Irland.</fw><lb/> <p xml:id="ID_932" prev="#ID_931"> qualmenden Torffeuer. Endlich wurde mir gesagt, der Postwagen sei vor der<lb/> Thür, ich könne einsteigen. Wie erstaunte ich aber, als ich draußen einen er¬<lb/> bärmlichen zwcircidrigen Karren fand, mit einem Klepper bespannt, der ein<lb/> würdiges Seitenstück zu dem edeln Jenenser Spritzgaul abgegeben hätte, welcher<lb/> allgemein unter dem Namen Ambitionsgaul bekannt war, weil der Verleiher<lb/> immer behauptete, gegen Schläge sei das Tier unempfänglich, man könne es<lb/> nur noch bei der Ambition packen! Ganz so weit war es aber mit dem Postgaul<lb/> noch nicht gekommen, denn bei jeder Tracht Prügel machte dieses edle Roß<lb/> sogar den Versuch eines Galopps, sodaß ich Mühe hatte, Koffer, Hutschachtel<lb/> u. s. w., die neben mir auf dem Sitze lagen, festzuhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_933"> Nach mancherlei Abenteuern, die mich auf interessante psychologische Ver¬<lb/> gleiche zwischen irischen Post- und deutschen Studentengäulen brachten, langten<lb/> wir mit heiler Haut, freilich ohne einen trocknen Faden am Leibe, auf dem<lb/> Gute an. Meine Leiden waren nun zu Ende; wie ein Kind des Hauses wurde<lb/> ich aufgenommen, gehegt und gepflegt. Statt des halben Jahres, das ich zu<lb/> verweilen gedachte, blieb ich beinahe sechs Jahre und habe das nie zu bereuen<lb/> gehabt.</p><lb/> <p xml:id="ID_934"> Man hört und liest so viel von der untergeordneten, oft geradezu unwür¬<lb/> digen Stellung, die deutsche Erzieher und Erzieherinnen in englischen Familien<lb/> einnehmen; ich kann — und nicht aus meiner Erfahrung allein — nur das<lb/> Gegenteil bezeugen. Aber das Leben in diesem Hause und meine Thätigkeit<lb/> darin gehören selbstverständlich nicht in den Nahmen dieser Skizze; ich will ja<lb/> nur versuchen, von Irland selbst ein flüchtiges Bild zu entwerfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_935" next="#ID_936"> Das abscheuliche Wetter, das mich begrüßte, dauerte noch lange fort, und<lb/> ich lernte einsehen, daß der Nuhm der „grünen" Insel doch recht teuer erkauft<lb/> ist. Am Tage nach meiner Ankunft, also am 23. September, wurde Getreide<lb/> eingefahren, aber nicht, weil es trocken war, sondern weil es in steter Gefahr<lb/> schwebte, von dem bedeutend ausgetretenen Flusse fortgeschwemmt zu werdeu.<lb/> Unter einem Schutzdache wurde es daun auf eigens zu diesem Zweck gebauten<lb/> Gerüsten aufgeschichtet und nachträglich wenigstens teilweise getrocknet. Das<lb/> waren aber nicht etwa Ausnahmezustände. Kartoffelfelder, wie wir sie in<lb/> Deutschland haben, giebt es dort kaum. Sie bestehen meist aus schmalen, hoch¬<lb/> aufgeworfenen Beeten, zwischen denen sich immer ein mindestens fußtiefer Graben<lb/> befindet, der auf ebenem Boden bei nassem Wetter selbstverständlich meist voll<lb/> Wasser steht. Auf einem solchen Beet stehen zwei Reihen Kartosfelpflanzen,<lb/> und nur dem Umstände, daß diese Beete mit dem Grabscheite aufgeworfen und<lb/> an den Seitenwänden festgeschlagen sind, ist es zuzuschreiben, daß in Irland<lb/> überhaupt Kartoffeln gedeihen. Es giebt das ganze Jahr hindurch sehr wenige<lb/> Tage, an denen es nicht regnet, daher auch das leuchtende Gelbgrün der Wiesen<lb/> im Sommer und im Winter. Nur darf man nicht meinen, diese Farbe verleihe<lb/> ihnen das Gras allein, nein, das ist nur zum kleinern Teile der Fall; es ist</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
Erinnerungen aus Irland.
qualmenden Torffeuer. Endlich wurde mir gesagt, der Postwagen sei vor der
Thür, ich könne einsteigen. Wie erstaunte ich aber, als ich draußen einen er¬
bärmlichen zwcircidrigen Karren fand, mit einem Klepper bespannt, der ein
würdiges Seitenstück zu dem edeln Jenenser Spritzgaul abgegeben hätte, welcher
allgemein unter dem Namen Ambitionsgaul bekannt war, weil der Verleiher
immer behauptete, gegen Schläge sei das Tier unempfänglich, man könne es
nur noch bei der Ambition packen! Ganz so weit war es aber mit dem Postgaul
noch nicht gekommen, denn bei jeder Tracht Prügel machte dieses edle Roß
sogar den Versuch eines Galopps, sodaß ich Mühe hatte, Koffer, Hutschachtel
u. s. w., die neben mir auf dem Sitze lagen, festzuhalten.
Nach mancherlei Abenteuern, die mich auf interessante psychologische Ver¬
gleiche zwischen irischen Post- und deutschen Studentengäulen brachten, langten
wir mit heiler Haut, freilich ohne einen trocknen Faden am Leibe, auf dem
Gute an. Meine Leiden waren nun zu Ende; wie ein Kind des Hauses wurde
ich aufgenommen, gehegt und gepflegt. Statt des halben Jahres, das ich zu
verweilen gedachte, blieb ich beinahe sechs Jahre und habe das nie zu bereuen
gehabt.
Man hört und liest so viel von der untergeordneten, oft geradezu unwür¬
digen Stellung, die deutsche Erzieher und Erzieherinnen in englischen Familien
einnehmen; ich kann — und nicht aus meiner Erfahrung allein — nur das
Gegenteil bezeugen. Aber das Leben in diesem Hause und meine Thätigkeit
darin gehören selbstverständlich nicht in den Nahmen dieser Skizze; ich will ja
nur versuchen, von Irland selbst ein flüchtiges Bild zu entwerfen.
Das abscheuliche Wetter, das mich begrüßte, dauerte noch lange fort, und
ich lernte einsehen, daß der Nuhm der „grünen" Insel doch recht teuer erkauft
ist. Am Tage nach meiner Ankunft, also am 23. September, wurde Getreide
eingefahren, aber nicht, weil es trocken war, sondern weil es in steter Gefahr
schwebte, von dem bedeutend ausgetretenen Flusse fortgeschwemmt zu werdeu.
Unter einem Schutzdache wurde es daun auf eigens zu diesem Zweck gebauten
Gerüsten aufgeschichtet und nachträglich wenigstens teilweise getrocknet. Das
waren aber nicht etwa Ausnahmezustände. Kartoffelfelder, wie wir sie in
Deutschland haben, giebt es dort kaum. Sie bestehen meist aus schmalen, hoch¬
aufgeworfenen Beeten, zwischen denen sich immer ein mindestens fußtiefer Graben
befindet, der auf ebenem Boden bei nassem Wetter selbstverständlich meist voll
Wasser steht. Auf einem solchen Beet stehen zwei Reihen Kartosfelpflanzen,
und nur dem Umstände, daß diese Beete mit dem Grabscheite aufgeworfen und
an den Seitenwänden festgeschlagen sind, ist es zuzuschreiben, daß in Irland
überhaupt Kartoffeln gedeihen. Es giebt das ganze Jahr hindurch sehr wenige
Tage, an denen es nicht regnet, daher auch das leuchtende Gelbgrün der Wiesen
im Sommer und im Winter. Nur darf man nicht meinen, diese Farbe verleihe
ihnen das Gras allein, nein, das ist nur zum kleinern Teile der Fall; es ist
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |