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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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ZXis Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammliaum.

hat auch mich irre geführt) Laden und Wohnungen das Haus am Markt 28
verlegte, wo sich die Material- und Farbwaarenhcmdlung von Heinrich Metten-
heimer befindet, deren früherer Besitzer, der Materialist Karl Friedrich Metten-
heimer, am 30. April 1848 seine goldene Hochzeit feierte. Melbers Haus ist
für Goethes Kinderjahre so bedeutend geworden, daß es wohl eine äußere Be¬
zeichnung verdiente. Das Freie Deutsche Hochstift besitzt eine Rechnung des
Geschäftes Mekher K Wagner vom 17. Mai 1753 an den Rat Goethe über
"ein Pfund feiner Thee Boy," an dessen "Pupillen" Herrn Clauer geliefert,
den in seinem Hause wohnenden Sohn des verstorbenen Stadtarchivars.
Textor fand diese Verbindung bei Melbers guten Verhältnissen (er bezahlte
die höchste Schätzung) für seine lebhaft bewegte Tochter ganz geeignet. Die
Trauung erfolgte am 11. November 1751, im achtzehnten Jahre der Braut.
Schon in den beiden folgenden Jahren wurden dem jungen Paare zwei Söhne
bescheert; der Pate des ersten war selbstverständlich der Stadtschultheiß, der andre
wurde auf die Namen Georg Christof getauft, die auf den Vater und auf den
Großvater der Mutter deuten. Für die Familie Textor war es ein Ereignis, daß
von Lom im Jahre 1752 einem Rufe Friedrichs des Großen als Geheimrat
und Regierungspräsident in Lingen folgte. Sechs Jahre vorher hatte er die
noch ehrenvollere Stelle eines Präsidenten des Berliner Obcrkonsistoriums ab¬
gelehnt. Wahrscheinlich machten die bösen Streitigkeiten mit den Rechtgläubigen
infolge seiner Schrift "Die einzig wahre Religion, allgemein in ihren Grund¬
sätzen, verwirrt durch die Zänkereien der Schriftgelehrten, zerteilet in allerhand
Sekten, vereiniget in Christo" ihm jetzt die Änderung seines Wohnortes erwünscht.
Textor, der in dem Widerwillen gegen die religiösen Störenfriede ganz mit
seinem Schwager übereinstimmte, mußte seinen Abgang, der ihm schwerlich volle
Befriedigung bringen werde, sehr bedauern. Goethes Vater riet dringend von
dem Dienste des Königs ab. Noch schmerzlicher als Locus Entfernung war
für Textor der 1753 erfolgte Tod seines treuen Ratsgenossen von Lersuer,
wodurch die Frechheit von Erasmus Senckcnberg zur tollsten Unverschämtheit
und ärgerlichem Aufruhr gegen den Rat gesteigert wurde.

Im September 1753 wurde Mekher eine Tochter geboren, bei der die
Frau Rat Pathe war, aber sie starb schon nach drei Monaten. Textor soll seine
dritte Tochter dem schon genannten Pupillen des Rat Goethe bestimmt gehabt
haben, einem fleißigen Juristen, der aber, wie es heißt, weil der Umbau des
^oethischen Hauses ihn nötigte, aus dem von ihm bewohnten kleinen Nebengebäude
auszuziehen, stumpfsinnig geworden sein soll. Jenes Nebengebäude wurde im
April 1755 abgerissen, aber die Notwendigkeit des Aufziehens war dem un¬
glücklichen Clauer, der auch später wieder bei Goethe wohnte, schon 1754,
gleich nach dem Tode der Mutter des Rates, angezeigt worden, bei deren Leb¬
zelten der Bau unterbleiben mußte. Etwas auffällig scheint die von den
"Wöchentlichen Frankfurter Frag- und Auzeiguugs-Nachrichten" am 19. März


ZXis Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammliaum.

hat auch mich irre geführt) Laden und Wohnungen das Haus am Markt 28
verlegte, wo sich die Material- und Farbwaarenhcmdlung von Heinrich Metten-
heimer befindet, deren früherer Besitzer, der Materialist Karl Friedrich Metten-
heimer, am 30. April 1848 seine goldene Hochzeit feierte. Melbers Haus ist
für Goethes Kinderjahre so bedeutend geworden, daß es wohl eine äußere Be¬
zeichnung verdiente. Das Freie Deutsche Hochstift besitzt eine Rechnung des
Geschäftes Mekher K Wagner vom 17. Mai 1753 an den Rat Goethe über
»ein Pfund feiner Thee Boy," an dessen „Pupillen" Herrn Clauer geliefert,
den in seinem Hause wohnenden Sohn des verstorbenen Stadtarchivars.
Textor fand diese Verbindung bei Melbers guten Verhältnissen (er bezahlte
die höchste Schätzung) für seine lebhaft bewegte Tochter ganz geeignet. Die
Trauung erfolgte am 11. November 1751, im achtzehnten Jahre der Braut.
Schon in den beiden folgenden Jahren wurden dem jungen Paare zwei Söhne
bescheert; der Pate des ersten war selbstverständlich der Stadtschultheiß, der andre
wurde auf die Namen Georg Christof getauft, die auf den Vater und auf den
Großvater der Mutter deuten. Für die Familie Textor war es ein Ereignis, daß
von Lom im Jahre 1752 einem Rufe Friedrichs des Großen als Geheimrat
und Regierungspräsident in Lingen folgte. Sechs Jahre vorher hatte er die
noch ehrenvollere Stelle eines Präsidenten des Berliner Obcrkonsistoriums ab¬
gelehnt. Wahrscheinlich machten die bösen Streitigkeiten mit den Rechtgläubigen
infolge seiner Schrift „Die einzig wahre Religion, allgemein in ihren Grund¬
sätzen, verwirrt durch die Zänkereien der Schriftgelehrten, zerteilet in allerhand
Sekten, vereiniget in Christo" ihm jetzt die Änderung seines Wohnortes erwünscht.
Textor, der in dem Widerwillen gegen die religiösen Störenfriede ganz mit
seinem Schwager übereinstimmte, mußte seinen Abgang, der ihm schwerlich volle
Befriedigung bringen werde, sehr bedauern. Goethes Vater riet dringend von
dem Dienste des Königs ab. Noch schmerzlicher als Locus Entfernung war
für Textor der 1753 erfolgte Tod seines treuen Ratsgenossen von Lersuer,
wodurch die Frechheit von Erasmus Senckcnberg zur tollsten Unverschämtheit
und ärgerlichem Aufruhr gegen den Rat gesteigert wurde.

Im September 1753 wurde Mekher eine Tochter geboren, bei der die
Frau Rat Pathe war, aber sie starb schon nach drei Monaten. Textor soll seine
dritte Tochter dem schon genannten Pupillen des Rat Goethe bestimmt gehabt
haben, einem fleißigen Juristen, der aber, wie es heißt, weil der Umbau des
^oethischen Hauses ihn nötigte, aus dem von ihm bewohnten kleinen Nebengebäude
auszuziehen, stumpfsinnig geworden sein soll. Jenes Nebengebäude wurde im
April 1755 abgerissen, aber die Notwendigkeit des Aufziehens war dem un¬
glücklichen Clauer, der auch später wieder bei Goethe wohnte, schon 1754,
gleich nach dem Tode der Mutter des Rates, angezeigt worden, bei deren Leb¬
zelten der Bau unterbleiben mußte. Etwas auffällig scheint die von den
»Wöchentlichen Frankfurter Frag- und Auzeiguugs-Nachrichten" am 19. März


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[0275] ZXis Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammliaum. hat auch mich irre geführt) Laden und Wohnungen das Haus am Markt 28 verlegte, wo sich die Material- und Farbwaarenhcmdlung von Heinrich Metten- heimer befindet, deren früherer Besitzer, der Materialist Karl Friedrich Metten- heimer, am 30. April 1848 seine goldene Hochzeit feierte. Melbers Haus ist für Goethes Kinderjahre so bedeutend geworden, daß es wohl eine äußere Be¬ zeichnung verdiente. Das Freie Deutsche Hochstift besitzt eine Rechnung des Geschäftes Mekher K Wagner vom 17. Mai 1753 an den Rat Goethe über »ein Pfund feiner Thee Boy," an dessen „Pupillen" Herrn Clauer geliefert, den in seinem Hause wohnenden Sohn des verstorbenen Stadtarchivars. Textor fand diese Verbindung bei Melbers guten Verhältnissen (er bezahlte die höchste Schätzung) für seine lebhaft bewegte Tochter ganz geeignet. Die Trauung erfolgte am 11. November 1751, im achtzehnten Jahre der Braut. Schon in den beiden folgenden Jahren wurden dem jungen Paare zwei Söhne bescheert; der Pate des ersten war selbstverständlich der Stadtschultheiß, der andre wurde auf die Namen Georg Christof getauft, die auf den Vater und auf den Großvater der Mutter deuten. Für die Familie Textor war es ein Ereignis, daß von Lom im Jahre 1752 einem Rufe Friedrichs des Großen als Geheimrat und Regierungspräsident in Lingen folgte. Sechs Jahre vorher hatte er die noch ehrenvollere Stelle eines Präsidenten des Berliner Obcrkonsistoriums ab¬ gelehnt. Wahrscheinlich machten die bösen Streitigkeiten mit den Rechtgläubigen infolge seiner Schrift „Die einzig wahre Religion, allgemein in ihren Grund¬ sätzen, verwirrt durch die Zänkereien der Schriftgelehrten, zerteilet in allerhand Sekten, vereiniget in Christo" ihm jetzt die Änderung seines Wohnortes erwünscht. Textor, der in dem Widerwillen gegen die religiösen Störenfriede ganz mit seinem Schwager übereinstimmte, mußte seinen Abgang, der ihm schwerlich volle Befriedigung bringen werde, sehr bedauern. Goethes Vater riet dringend von dem Dienste des Königs ab. Noch schmerzlicher als Locus Entfernung war für Textor der 1753 erfolgte Tod seines treuen Ratsgenossen von Lersuer, wodurch die Frechheit von Erasmus Senckcnberg zur tollsten Unverschämtheit und ärgerlichem Aufruhr gegen den Rat gesteigert wurde. Im September 1753 wurde Mekher eine Tochter geboren, bei der die Frau Rat Pathe war, aber sie starb schon nach drei Monaten. Textor soll seine dritte Tochter dem schon genannten Pupillen des Rat Goethe bestimmt gehabt haben, einem fleißigen Juristen, der aber, wie es heißt, weil der Umbau des ^oethischen Hauses ihn nötigte, aus dem von ihm bewohnten kleinen Nebengebäude auszuziehen, stumpfsinnig geworden sein soll. Jenes Nebengebäude wurde im April 1755 abgerissen, aber die Notwendigkeit des Aufziehens war dem un¬ glücklichen Clauer, der auch später wieder bei Goethe wohnte, schon 1754, gleich nach dem Tode der Mutter des Rates, angezeigt worden, bei deren Leb¬ zelten der Bau unterbleiben mußte. Etwas auffällig scheint die von den »Wöchentlichen Frankfurter Frag- und Auzeiguugs-Nachrichten" am 19. März

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/275>, abgerufen am 28.07.2024.