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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane.

durch seine gute Laune und durch die frische Anmut nieder, mit der er sein
Ziel erreicht. Und am Ende ist ja dieses Ziel die Hauptsache bei aller Nvman-
schreiberei! Wolfs hat sich in seiner "Heiratsgeschichte aus dem Neckarthal"
den Teufel um die historische Treue geschoren. Seine Raubritter können alle
sehr gut schreiben und lesen, sie sprechen durchweg das modernste Deutsch des
bürgerlichen Hauses, und sie sind auch von allen jenen Motiven bewegt, die
den letzter" Stand heute zumeist interessiren. Im Grunde sind es flotte Stu-
denten oder bemooste Häupter, die ein fideles Lebe" ohne Kummer und Sorgen
führen, jagen, reiten, lieben, scherzen, duelliren, wie es gerade kommt. "Jung-
gesell" und "Schwiegermutter," das sind die heitern Stichworte.

Nicht ohne einen ernstern Hintergrund, der in den Stockungen unsers
wirtschaftlichen Lebens zu suchen ist, hat der modischste Witz die "Schwieger¬
mutter" zum Stichblatt seiner Augriffe genommen, was ihm freilich selbst kaum
zu Bewußtsein gekommen sein mag. Julius Wolff hat tapfer zugegriffen und
die Junggesellenangst vor der Schwiegermutter in seiner lustspielartigen Er¬
zählung verwertet. Dabei hat er seine harmlose Geschichte mit allen ihren
jugendlichen Charakteren sehr nett komponirt, die Spannung glücklich zu steigern
verstanden, mit anmutiger und schier unerschöpflicher Erfindung die Hindernisse
auf deu von uns wohl vorausgeahnter Weg zum Ziele gelegt, sodaß der naive
Leser seine helle Freude an den tausend Überraschungen haben kann, die ihm
vor der glücklichen Doppelheirat noch zu Teil werden. Ernsthaft auf die lustige
Geschichte einzugehen, wobei man vielleicht auf die kecken Sprünge in der Moti-
virung, auf mancherlei UnWahrscheinlichkeiten im Gewebe der Handlung geraten
könnte, ist nicht nötig. Es genüge die Andeutung, daß das Recht der Hage¬
stolze sich auf ein verschollenes altes Gesetz in der Kurpfalz gründet, welches
dem Lehnsherrn die Befugnis einräumt, über deu Nachlaß eines jeden im Jung-
gesellentum verstorbenen Ritters, der über fünfzig Jahre zwei Monate und
sechzehn Tage alt geworden ist, zu seinen eignen Gunsten zu verfügen; die
Familie des Ritters erhält von dem Junggescllenerbe keinen Deut! Junker
Hans Landschad ist schon neunundvierzig Jahre alt, ein prächtiger, liebens¬
werter Mann, aber aus Angst vor der mit in die Ehe zu nehmenden Schwieger¬
mutter hat er bisher um keinen Preis auf sein ungebundenes Hagestolzentum
verzichten wollen. Tief im Herzen allerdings trägt er die Liebe zur schönen
Gräfin Juliane von der Minneburg verborgen, die seit wenigen Jcchrcu Witwe
nach einem ungeliebten Manne ist. Aber ihr Geschlecht ist mit dem der Land-
schads sehr verfeindet, und der Verkehr zwischen den spröden Menschen -- denn
natürlich liebt Juliane im Geheimen den Junker Haus auch nicht wenig -- ist
gänzlich abgebrochen. Dennoch haben die Landschads das größte Interesse
daran, den Junker Hans unter die Haube zu bringen. Der Kurfürst ist ihnen
(natürlich!) aufsässig, seine Konfiskation des Hansschen Gutes würde den ganzen
Landbesitz der Landschads zerstückeln, und Juliane ist (natürlich!) die einzige


Neue Romane.

durch seine gute Laune und durch die frische Anmut nieder, mit der er sein
Ziel erreicht. Und am Ende ist ja dieses Ziel die Hauptsache bei aller Nvman-
schreiberei! Wolfs hat sich in seiner „Heiratsgeschichte aus dem Neckarthal"
den Teufel um die historische Treue geschoren. Seine Raubritter können alle
sehr gut schreiben und lesen, sie sprechen durchweg das modernste Deutsch des
bürgerlichen Hauses, und sie sind auch von allen jenen Motiven bewegt, die
den letzter» Stand heute zumeist interessiren. Im Grunde sind es flotte Stu-
denten oder bemooste Häupter, die ein fideles Lebe» ohne Kummer und Sorgen
führen, jagen, reiten, lieben, scherzen, duelliren, wie es gerade kommt. „Jung-
gesell" und „Schwiegermutter," das sind die heitern Stichworte.

Nicht ohne einen ernstern Hintergrund, der in den Stockungen unsers
wirtschaftlichen Lebens zu suchen ist, hat der modischste Witz die „Schwieger¬
mutter" zum Stichblatt seiner Augriffe genommen, was ihm freilich selbst kaum
zu Bewußtsein gekommen sein mag. Julius Wolff hat tapfer zugegriffen und
die Junggesellenangst vor der Schwiegermutter in seiner lustspielartigen Er¬
zählung verwertet. Dabei hat er seine harmlose Geschichte mit allen ihren
jugendlichen Charakteren sehr nett komponirt, die Spannung glücklich zu steigern
verstanden, mit anmutiger und schier unerschöpflicher Erfindung die Hindernisse
auf deu von uns wohl vorausgeahnter Weg zum Ziele gelegt, sodaß der naive
Leser seine helle Freude an den tausend Überraschungen haben kann, die ihm
vor der glücklichen Doppelheirat noch zu Teil werden. Ernsthaft auf die lustige
Geschichte einzugehen, wobei man vielleicht auf die kecken Sprünge in der Moti-
virung, auf mancherlei UnWahrscheinlichkeiten im Gewebe der Handlung geraten
könnte, ist nicht nötig. Es genüge die Andeutung, daß das Recht der Hage¬
stolze sich auf ein verschollenes altes Gesetz in der Kurpfalz gründet, welches
dem Lehnsherrn die Befugnis einräumt, über deu Nachlaß eines jeden im Jung-
gesellentum verstorbenen Ritters, der über fünfzig Jahre zwei Monate und
sechzehn Tage alt geworden ist, zu seinen eignen Gunsten zu verfügen; die
Familie des Ritters erhält von dem Junggescllenerbe keinen Deut! Junker
Hans Landschad ist schon neunundvierzig Jahre alt, ein prächtiger, liebens¬
werter Mann, aber aus Angst vor der mit in die Ehe zu nehmenden Schwieger¬
mutter hat er bisher um keinen Preis auf sein ungebundenes Hagestolzentum
verzichten wollen. Tief im Herzen allerdings trägt er die Liebe zur schönen
Gräfin Juliane von der Minneburg verborgen, die seit wenigen Jcchrcu Witwe
nach einem ungeliebten Manne ist. Aber ihr Geschlecht ist mit dem der Land-
schads sehr verfeindet, und der Verkehr zwischen den spröden Menschen — denn
natürlich liebt Juliane im Geheimen den Junker Haus auch nicht wenig — ist
gänzlich abgebrochen. Dennoch haben die Landschads das größte Interesse
daran, den Junker Hans unter die Haube zu bringen. Der Kurfürst ist ihnen
(natürlich!) aufsässig, seine Konfiskation des Hansschen Gutes würde den ganzen
Landbesitz der Landschads zerstückeln, und Juliane ist (natürlich!) die einzige


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[0237] Neue Romane. durch seine gute Laune und durch die frische Anmut nieder, mit der er sein Ziel erreicht. Und am Ende ist ja dieses Ziel die Hauptsache bei aller Nvman- schreiberei! Wolfs hat sich in seiner „Heiratsgeschichte aus dem Neckarthal" den Teufel um die historische Treue geschoren. Seine Raubritter können alle sehr gut schreiben und lesen, sie sprechen durchweg das modernste Deutsch des bürgerlichen Hauses, und sie sind auch von allen jenen Motiven bewegt, die den letzter» Stand heute zumeist interessiren. Im Grunde sind es flotte Stu- denten oder bemooste Häupter, die ein fideles Lebe» ohne Kummer und Sorgen führen, jagen, reiten, lieben, scherzen, duelliren, wie es gerade kommt. „Jung- gesell" und „Schwiegermutter," das sind die heitern Stichworte. Nicht ohne einen ernstern Hintergrund, der in den Stockungen unsers wirtschaftlichen Lebens zu suchen ist, hat der modischste Witz die „Schwieger¬ mutter" zum Stichblatt seiner Augriffe genommen, was ihm freilich selbst kaum zu Bewußtsein gekommen sein mag. Julius Wolff hat tapfer zugegriffen und die Junggesellenangst vor der Schwiegermutter in seiner lustspielartigen Er¬ zählung verwertet. Dabei hat er seine harmlose Geschichte mit allen ihren jugendlichen Charakteren sehr nett komponirt, die Spannung glücklich zu steigern verstanden, mit anmutiger und schier unerschöpflicher Erfindung die Hindernisse auf deu von uns wohl vorausgeahnter Weg zum Ziele gelegt, sodaß der naive Leser seine helle Freude an den tausend Überraschungen haben kann, die ihm vor der glücklichen Doppelheirat noch zu Teil werden. Ernsthaft auf die lustige Geschichte einzugehen, wobei man vielleicht auf die kecken Sprünge in der Moti- virung, auf mancherlei UnWahrscheinlichkeiten im Gewebe der Handlung geraten könnte, ist nicht nötig. Es genüge die Andeutung, daß das Recht der Hage¬ stolze sich auf ein verschollenes altes Gesetz in der Kurpfalz gründet, welches dem Lehnsherrn die Befugnis einräumt, über deu Nachlaß eines jeden im Jung- gesellentum verstorbenen Ritters, der über fünfzig Jahre zwei Monate und sechzehn Tage alt geworden ist, zu seinen eignen Gunsten zu verfügen; die Familie des Ritters erhält von dem Junggescllenerbe keinen Deut! Junker Hans Landschad ist schon neunundvierzig Jahre alt, ein prächtiger, liebens¬ werter Mann, aber aus Angst vor der mit in die Ehe zu nehmenden Schwieger¬ mutter hat er bisher um keinen Preis auf sein ungebundenes Hagestolzentum verzichten wollen. Tief im Herzen allerdings trägt er die Liebe zur schönen Gräfin Juliane von der Minneburg verborgen, die seit wenigen Jcchrcu Witwe nach einem ungeliebten Manne ist. Aber ihr Geschlecht ist mit dem der Land- schads sehr verfeindet, und der Verkehr zwischen den spröden Menschen — denn natürlich liebt Juliane im Geheimen den Junker Haus auch nicht wenig — ist gänzlich abgebrochen. Dennoch haben die Landschads das größte Interesse daran, den Junker Hans unter die Haube zu bringen. Der Kurfürst ist ihnen (natürlich!) aufsässig, seine Konfiskation des Hansschen Gutes würde den ganzen Landbesitz der Landschads zerstückeln, und Juliane ist (natürlich!) die einzige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/237>, abgerufen am 01.09.2024.