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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das juristische Studium.

Bedenkt man dann noch, daß die Pfingst- und Weihnachtsferien auch nicht von
allzu kurzer Dauer zu sein Pflegen, so kann man sich ungefähr vorstellen, wie
lang das "eigentliche" Semester ist. Man denke, sechs bis sieben Monate
Ferien!

Nun wirft man freilich ein, daß der Student gerade in den Ferien am
meisten arbeiten solle und müsse. Ganz recht; nur möchte ich mir da die
bescheidne Zwischenfrage erlauben: Glaubt man denn wirklich, daß ein erstes,
zweites, drittes Semester in den Ferien so außerordentlich viel schaffen wird?
Wer selber Student gewesen ist, wird sich diese Frage am besten beantworten
können. Es mag noch etwas andres sein, wenn der Student in einer Uni¬
versitätsstadt wohnt. Da bietet ihm die Bibliothek Schätze genug, die ihn zu
fesseln vermögen. Man nehme aber einen Studenten an, der nicht dort wohnt.
Wie steht es da? Seine Lehrbücher wird er wohl in den meisten Fällen haben,
aber deren Zahl ist doch wahrhaftig nicht so groß für die ersten Semester.
Jsts da ein Wunder, wenn der Student, das heißt der wirklich strebsame, die
langen Ferien schließlich als eine Last, eine drückende Last empfindet? Mir hat
so mancher Student versichert, daß er sich jedesmal freue, wenn die Ferien
wieder ein Ende nähmen. Nun beachte man aber, welche Gefahren diese langen
Ferien für den jungen Studenten mit sich bringen. Wenn man den Studenten
-- und dies gilt nicht bloß von dem Juristen, sondern von allen Studenten --
zum Müßiggange förmlich zwingt, darf man sich da wundern, wenn gerade
unter den Studenten so viele an sich tüchtige Kräfte für immer verloren gehen?
Sehen kann man dies ja oft genug, wenn man nur will. Man unterschätzt
die Gefahren, die sich aus solchen Zuständen notgedrungen ergeben müssen,
meines Erachtens noch immer viel zu sehr. Nicht zum Müßiggange, sondern
zur Arbeit sollen unsre Studenten herangezogen werden, um dereinst selber
einmal ihren Mitmenschen ein leuchtendes Vorbild zu sein. Damit sie dies
aber werden können, gehe man ihnen mit gutem Beispiel voran. Darum fort
mit diesem "offiziellen" und mit diesem "eigentlichen" Beginn des Semesters!
Ein fest bestimmter Tag sei für alle Universitäten maßgebend! Schande genug,
daß an unsern wichtigsten Bildungsstätten bisher solche Lässigkeit herrschen
durfte! Wenn in den obern Kreisen jede Spur von Sinn für Pünktlichkeit
und Ordnung fehlt, wie kann man eine solche bei den untern Ständen er¬
warten?

Doch die vierzehn Tage Wartezeit nehmen ja auch einmal ein Ende, und
der Jurist muß nun zunächst an die Vorlesungen denken, die zu belegen sind.
Aber da beginnen nun erst die eigentlichen Schwierigkeiten für ihn. Kein
Student ist bei der Auswahl der zu hörenden Vorlesungen schlechter daran als
der junge Jurist, denn keinem Studenten ist das Gebiet seines Studiums so
sehr ein unbekanntes Land, wie gerade ihm. Der Theolog, der Philolog, der
Historiker, der Mediziner, der Botaniker u. s. w., sie alle sind schon auf der


Das juristische Studium.

Bedenkt man dann noch, daß die Pfingst- und Weihnachtsferien auch nicht von
allzu kurzer Dauer zu sein Pflegen, so kann man sich ungefähr vorstellen, wie
lang das „eigentliche" Semester ist. Man denke, sechs bis sieben Monate
Ferien!

Nun wirft man freilich ein, daß der Student gerade in den Ferien am
meisten arbeiten solle und müsse. Ganz recht; nur möchte ich mir da die
bescheidne Zwischenfrage erlauben: Glaubt man denn wirklich, daß ein erstes,
zweites, drittes Semester in den Ferien so außerordentlich viel schaffen wird?
Wer selber Student gewesen ist, wird sich diese Frage am besten beantworten
können. Es mag noch etwas andres sein, wenn der Student in einer Uni¬
versitätsstadt wohnt. Da bietet ihm die Bibliothek Schätze genug, die ihn zu
fesseln vermögen. Man nehme aber einen Studenten an, der nicht dort wohnt.
Wie steht es da? Seine Lehrbücher wird er wohl in den meisten Fällen haben,
aber deren Zahl ist doch wahrhaftig nicht so groß für die ersten Semester.
Jsts da ein Wunder, wenn der Student, das heißt der wirklich strebsame, die
langen Ferien schließlich als eine Last, eine drückende Last empfindet? Mir hat
so mancher Student versichert, daß er sich jedesmal freue, wenn die Ferien
wieder ein Ende nähmen. Nun beachte man aber, welche Gefahren diese langen
Ferien für den jungen Studenten mit sich bringen. Wenn man den Studenten
— und dies gilt nicht bloß von dem Juristen, sondern von allen Studenten —
zum Müßiggange förmlich zwingt, darf man sich da wundern, wenn gerade
unter den Studenten so viele an sich tüchtige Kräfte für immer verloren gehen?
Sehen kann man dies ja oft genug, wenn man nur will. Man unterschätzt
die Gefahren, die sich aus solchen Zuständen notgedrungen ergeben müssen,
meines Erachtens noch immer viel zu sehr. Nicht zum Müßiggange, sondern
zur Arbeit sollen unsre Studenten herangezogen werden, um dereinst selber
einmal ihren Mitmenschen ein leuchtendes Vorbild zu sein. Damit sie dies
aber werden können, gehe man ihnen mit gutem Beispiel voran. Darum fort
mit diesem „offiziellen" und mit diesem „eigentlichen" Beginn des Semesters!
Ein fest bestimmter Tag sei für alle Universitäten maßgebend! Schande genug,
daß an unsern wichtigsten Bildungsstätten bisher solche Lässigkeit herrschen
durfte! Wenn in den obern Kreisen jede Spur von Sinn für Pünktlichkeit
und Ordnung fehlt, wie kann man eine solche bei den untern Ständen er¬
warten?

Doch die vierzehn Tage Wartezeit nehmen ja auch einmal ein Ende, und
der Jurist muß nun zunächst an die Vorlesungen denken, die zu belegen sind.
Aber da beginnen nun erst die eigentlichen Schwierigkeiten für ihn. Kein
Student ist bei der Auswahl der zu hörenden Vorlesungen schlechter daran als
der junge Jurist, denn keinem Studenten ist das Gebiet seines Studiums so
sehr ein unbekanntes Land, wie gerade ihm. Der Theolog, der Philolog, der
Historiker, der Mediziner, der Botaniker u. s. w., sie alle sind schon auf der


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[0219] Das juristische Studium. Bedenkt man dann noch, daß die Pfingst- und Weihnachtsferien auch nicht von allzu kurzer Dauer zu sein Pflegen, so kann man sich ungefähr vorstellen, wie lang das „eigentliche" Semester ist. Man denke, sechs bis sieben Monate Ferien! Nun wirft man freilich ein, daß der Student gerade in den Ferien am meisten arbeiten solle und müsse. Ganz recht; nur möchte ich mir da die bescheidne Zwischenfrage erlauben: Glaubt man denn wirklich, daß ein erstes, zweites, drittes Semester in den Ferien so außerordentlich viel schaffen wird? Wer selber Student gewesen ist, wird sich diese Frage am besten beantworten können. Es mag noch etwas andres sein, wenn der Student in einer Uni¬ versitätsstadt wohnt. Da bietet ihm die Bibliothek Schätze genug, die ihn zu fesseln vermögen. Man nehme aber einen Studenten an, der nicht dort wohnt. Wie steht es da? Seine Lehrbücher wird er wohl in den meisten Fällen haben, aber deren Zahl ist doch wahrhaftig nicht so groß für die ersten Semester. Jsts da ein Wunder, wenn der Student, das heißt der wirklich strebsame, die langen Ferien schließlich als eine Last, eine drückende Last empfindet? Mir hat so mancher Student versichert, daß er sich jedesmal freue, wenn die Ferien wieder ein Ende nähmen. Nun beachte man aber, welche Gefahren diese langen Ferien für den jungen Studenten mit sich bringen. Wenn man den Studenten — und dies gilt nicht bloß von dem Juristen, sondern von allen Studenten — zum Müßiggange förmlich zwingt, darf man sich da wundern, wenn gerade unter den Studenten so viele an sich tüchtige Kräfte für immer verloren gehen? Sehen kann man dies ja oft genug, wenn man nur will. Man unterschätzt die Gefahren, die sich aus solchen Zuständen notgedrungen ergeben müssen, meines Erachtens noch immer viel zu sehr. Nicht zum Müßiggange, sondern zur Arbeit sollen unsre Studenten herangezogen werden, um dereinst selber einmal ihren Mitmenschen ein leuchtendes Vorbild zu sein. Damit sie dies aber werden können, gehe man ihnen mit gutem Beispiel voran. Darum fort mit diesem „offiziellen" und mit diesem „eigentlichen" Beginn des Semesters! Ein fest bestimmter Tag sei für alle Universitäten maßgebend! Schande genug, daß an unsern wichtigsten Bildungsstätten bisher solche Lässigkeit herrschen durfte! Wenn in den obern Kreisen jede Spur von Sinn für Pünktlichkeit und Ordnung fehlt, wie kann man eine solche bei den untern Ständen er¬ warten? Doch die vierzehn Tage Wartezeit nehmen ja auch einmal ein Ende, und der Jurist muß nun zunächst an die Vorlesungen denken, die zu belegen sind. Aber da beginnen nun erst die eigentlichen Schwierigkeiten für ihn. Kein Student ist bei der Auswahl der zu hörenden Vorlesungen schlechter daran als der junge Jurist, denn keinem Studenten ist das Gebiet seines Studiums so sehr ein unbekanntes Land, wie gerade ihm. Der Theolog, der Philolog, der Historiker, der Mediziner, der Botaniker u. s. w., sie alle sind schon auf der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/219>, abgerufen am 01.09.2024.