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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Lage der französischen Republik.

ist auf vier Jahre festgesetzt, worauf er wieder gewählt werden kann; niemals
braucht der Präsident, wie Gropp und vielleicht bald auch Carnot, nachzugeben,
wenn man ihn drängt, seine Würde und Macht eher niederzulegen. Aller¬
dings wurde dies einmal, unter Andrew Jackson, versucht, indem die Mehrheit
des Abgeodnetenhauscs ihn absetzen wollte, aber 016 Hielcor/ kannte sein Recht
und war nicht der Mann, sich zu fügen. Hier wäre ein Weg für die Fran¬
zosen, aus dem Dilemma, in welchem sie sich jetzt befinden, auf gute Weise
herauszukommen und die Republik zu retten. Ohne sich einem militärischen
Abenteurer zu Füßen zu werfen, der nur zu intriguiren versteht, der nur eine
Ära von Kasernenrevolutionen, wie sie der Fluch Spaniens sind, eröffnen kann,
könnte das französische Volk durch seine Vertretung, durch eine neue konsti-
tuirende Versammlung seine Verfassung nach amerikanischem Muster umgestalten,
sodaß ihr Präsident einen festern Stuhl, ihre erste Kammer mehr Ansehen und
Einfluß, ihre Ministerien mehr Halt und Dauer erhielten. Die Korruption
würde dadurch freilich nicht ferngehalten werden können; denn die frißt auch
am Körper der großen transatlantischen, Republik, wo das Geld und die
Sucht, auf jede Weise, namentlich auch auf politischem Wege, Geld zu erwerben,
die Ämterjagd der Parteien und die Bestechlichkeit der Senatoren und Abge¬
ordneten gleichfalls eine große und höchst schädliche Rolle spielen. Indes wäre
damit wenigstens eins zu erreichen: Festigkeit und Stetigkeit. Wenn die Fran¬
zosen aber, wie es wahrscheinlich kommen wird, nach der Lektion, die ihnen die
Geschichte erteilt hat, nach der Belehrung über die Gefahren der cäsarischen Herr¬
schaft im Stile Napoleons des Dritten, das Experiment wiederholen und Bou¬
langer sich zum Herrscher wählen, so wird sich der Schluß der pessimistischen
Philosophen, nach welchem die Völker immer die Negierung bekommen, die sie
verdienen, in Bezug auf sie schwer vermeiden lassen.

Boulanger hat es mit seiner Dreistigkeit und seinem Ränkespiel, das einen
richtigen Blick für die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden hatte, welche die
Parteien, so verschieden sie an sich sind, vereinigt, schon recht weit gebracht,
und er wird es vermutlich noch weiter bringen. Floquet und Clemenceau mit
der jetzt am Ruder befindlichen Fraktion der Republikaner werden ihn auf die
Dauer nicht aufhalten können, wie zuversichtlich auch der neue Ministerpräsident
neulich erklärte, Frankreich werde seine Geschicke selbst leiten und brauche weder
einen Protektor im Frieden, noch einen Diktator für den Krieg. Frankreich ist
bei diesen Verblendeten immer die eigne Partei, die andern sind für sie nicht
vorhanden, und siehe da, die andern wühlten den werdenden Protektor und
Diktator im Departement dn Nord mit ungeheurer Mehrheit und werden ihn,
wenn er will, bei den Wahlen für die Kammer, die für das nächste Jahr be¬
vorstehen, dort und zugleich in andern Kreisen wieder wählen, ihn oder Freunde
von ihm. In der Röxubliyuö ^iM^aiss verlangte der opportunistische Ex¬
minister sputter, der ihn offenbar ernster nimmt, Ausnahmegesetze gegen ihn,


Die Lage der französischen Republik.

ist auf vier Jahre festgesetzt, worauf er wieder gewählt werden kann; niemals
braucht der Präsident, wie Gropp und vielleicht bald auch Carnot, nachzugeben,
wenn man ihn drängt, seine Würde und Macht eher niederzulegen. Aller¬
dings wurde dies einmal, unter Andrew Jackson, versucht, indem die Mehrheit
des Abgeodnetenhauscs ihn absetzen wollte, aber 016 Hielcor/ kannte sein Recht
und war nicht der Mann, sich zu fügen. Hier wäre ein Weg für die Fran¬
zosen, aus dem Dilemma, in welchem sie sich jetzt befinden, auf gute Weise
herauszukommen und die Republik zu retten. Ohne sich einem militärischen
Abenteurer zu Füßen zu werfen, der nur zu intriguiren versteht, der nur eine
Ära von Kasernenrevolutionen, wie sie der Fluch Spaniens sind, eröffnen kann,
könnte das französische Volk durch seine Vertretung, durch eine neue konsti-
tuirende Versammlung seine Verfassung nach amerikanischem Muster umgestalten,
sodaß ihr Präsident einen festern Stuhl, ihre erste Kammer mehr Ansehen und
Einfluß, ihre Ministerien mehr Halt und Dauer erhielten. Die Korruption
würde dadurch freilich nicht ferngehalten werden können; denn die frißt auch
am Körper der großen transatlantischen, Republik, wo das Geld und die
Sucht, auf jede Weise, namentlich auch auf politischem Wege, Geld zu erwerben,
die Ämterjagd der Parteien und die Bestechlichkeit der Senatoren und Abge¬
ordneten gleichfalls eine große und höchst schädliche Rolle spielen. Indes wäre
damit wenigstens eins zu erreichen: Festigkeit und Stetigkeit. Wenn die Fran¬
zosen aber, wie es wahrscheinlich kommen wird, nach der Lektion, die ihnen die
Geschichte erteilt hat, nach der Belehrung über die Gefahren der cäsarischen Herr¬
schaft im Stile Napoleons des Dritten, das Experiment wiederholen und Bou¬
langer sich zum Herrscher wählen, so wird sich der Schluß der pessimistischen
Philosophen, nach welchem die Völker immer die Negierung bekommen, die sie
verdienen, in Bezug auf sie schwer vermeiden lassen.

Boulanger hat es mit seiner Dreistigkeit und seinem Ränkespiel, das einen
richtigen Blick für die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden hatte, welche die
Parteien, so verschieden sie an sich sind, vereinigt, schon recht weit gebracht,
und er wird es vermutlich noch weiter bringen. Floquet und Clemenceau mit
der jetzt am Ruder befindlichen Fraktion der Republikaner werden ihn auf die
Dauer nicht aufhalten können, wie zuversichtlich auch der neue Ministerpräsident
neulich erklärte, Frankreich werde seine Geschicke selbst leiten und brauche weder
einen Protektor im Frieden, noch einen Diktator für den Krieg. Frankreich ist
bei diesen Verblendeten immer die eigne Partei, die andern sind für sie nicht
vorhanden, und siehe da, die andern wühlten den werdenden Protektor und
Diktator im Departement dn Nord mit ungeheurer Mehrheit und werden ihn,
wenn er will, bei den Wahlen für die Kammer, die für das nächste Jahr be¬
vorstehen, dort und zugleich in andern Kreisen wieder wählen, ihn oder Freunde
von ihm. In der Röxubliyuö ^iM^aiss verlangte der opportunistische Ex¬
minister sputter, der ihn offenbar ernster nimmt, Ausnahmegesetze gegen ihn,


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[0215] Die Lage der französischen Republik. ist auf vier Jahre festgesetzt, worauf er wieder gewählt werden kann; niemals braucht der Präsident, wie Gropp und vielleicht bald auch Carnot, nachzugeben, wenn man ihn drängt, seine Würde und Macht eher niederzulegen. Aller¬ dings wurde dies einmal, unter Andrew Jackson, versucht, indem die Mehrheit des Abgeodnetenhauscs ihn absetzen wollte, aber 016 Hielcor/ kannte sein Recht und war nicht der Mann, sich zu fügen. Hier wäre ein Weg für die Fran¬ zosen, aus dem Dilemma, in welchem sie sich jetzt befinden, auf gute Weise herauszukommen und die Republik zu retten. Ohne sich einem militärischen Abenteurer zu Füßen zu werfen, der nur zu intriguiren versteht, der nur eine Ära von Kasernenrevolutionen, wie sie der Fluch Spaniens sind, eröffnen kann, könnte das französische Volk durch seine Vertretung, durch eine neue konsti- tuirende Versammlung seine Verfassung nach amerikanischem Muster umgestalten, sodaß ihr Präsident einen festern Stuhl, ihre erste Kammer mehr Ansehen und Einfluß, ihre Ministerien mehr Halt und Dauer erhielten. Die Korruption würde dadurch freilich nicht ferngehalten werden können; denn die frißt auch am Körper der großen transatlantischen, Republik, wo das Geld und die Sucht, auf jede Weise, namentlich auch auf politischem Wege, Geld zu erwerben, die Ämterjagd der Parteien und die Bestechlichkeit der Senatoren und Abge¬ ordneten gleichfalls eine große und höchst schädliche Rolle spielen. Indes wäre damit wenigstens eins zu erreichen: Festigkeit und Stetigkeit. Wenn die Fran¬ zosen aber, wie es wahrscheinlich kommen wird, nach der Lektion, die ihnen die Geschichte erteilt hat, nach der Belehrung über die Gefahren der cäsarischen Herr¬ schaft im Stile Napoleons des Dritten, das Experiment wiederholen und Bou¬ langer sich zum Herrscher wählen, so wird sich der Schluß der pessimistischen Philosophen, nach welchem die Völker immer die Negierung bekommen, die sie verdienen, in Bezug auf sie schwer vermeiden lassen. Boulanger hat es mit seiner Dreistigkeit und seinem Ränkespiel, das einen richtigen Blick für die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden hatte, welche die Parteien, so verschieden sie an sich sind, vereinigt, schon recht weit gebracht, und er wird es vermutlich noch weiter bringen. Floquet und Clemenceau mit der jetzt am Ruder befindlichen Fraktion der Republikaner werden ihn auf die Dauer nicht aufhalten können, wie zuversichtlich auch der neue Ministerpräsident neulich erklärte, Frankreich werde seine Geschicke selbst leiten und brauche weder einen Protektor im Frieden, noch einen Diktator für den Krieg. Frankreich ist bei diesen Verblendeten immer die eigne Partei, die andern sind für sie nicht vorhanden, und siehe da, die andern wühlten den werdenden Protektor und Diktator im Departement dn Nord mit ungeheurer Mehrheit und werden ihn, wenn er will, bei den Wahlen für die Kammer, die für das nächste Jahr be¬ vorstehen, dort und zugleich in andern Kreisen wieder wählen, ihn oder Freunde von ihm. In der Röxubliyuö ^iM^aiss verlangte der opportunistische Ex¬ minister sputter, der ihn offenbar ernster nimmt, Ausnahmegesetze gegen ihn,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/215>, abgerufen am 01.09.2024.