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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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nivis Lyhnc.

In seiner gebückten Stellung sah er nichts als den hellen Strohteppich,
der auf dem Fußboden lag. die Holzverkleidung unter dem Fenster und den
lackirten Fuß eines Pfeilertisches; als er sich aber aufrichtete, um sich zurück¬
zuziehen, erblickte er die Tante.

Sie lag ausgestreckt auf dein seegrünen Atlas des Ruhebetts, in ein
phantastisches Zigeunerkostüm gekleidet. Sie lag auf dem Rücken da, den Kopf
zurückgebeugt, das Kinn in der Luft; ihr langes, aufgelöstes Haar floß über
die Lehne des Ruhebetts auf den Teppich herab. Eine künstliche Granatblüte
auf dem bronzefarbenen Lederschuh glich einer Insel in mattgoldenen Strom.

Die Farben ihres Anzuges waren mannichfaltig, aber alle gedämpft. Ein
Mieder von schwerem, glanzlosem Stoff, buntgemustert mit dunkelblauen, bla߬
roten, grauen und orangefarbenen Flammen, umschloß ein weißseidenes Hemd
, mit weiten Ärmeln, die bis an den Ellenbogen reichten. Die Seide hatte einen
rötlichen Schimmer und war mit einzelnen Fäden roten Goldes leicht durch¬
wirkt. Ihr Rock von aurikelfarbenem Sammet ohne Kante war nicht zusammen¬
gerafft, sondern umfloß sie lose, bildete schiefe Falten von unten nach oben und
hing von dem Ruhebett auf die Erde herab. Vom Knie abwärts waren ihre
Beine entblößt, und die übers Kreuz gelegten Knöchel hatte sie mit einer großen
Halskette von blaßroten Korallen zusammengebunden. Auf dem Fußboden lag
ein geöffneter Fächer, dessen Zeichnung ein zu einem Rad geordnetes Karten¬
spiel darstellte, in geringer Entfernung davon lagen ein paar braune, seidene
Strümpfe, der eine zusammengezogen, der andre flach ausgebreitet, sodaß man
die ganze Form derselben und den roten Zwickel deutlich erkennen konnte.

In demselben Augenblick, wo Ricks sie erblickte, hatte auch sie ihn schon ge¬
sehen. Sie machte unwillkürlich eine Bewegung, wie um sich zu erheben, bezwang
sich aber und blieb ruhig liegen, wendete nur den Kopf ein wenig und schaute
Ricks fragend an.

Da sind sie, sagte er und trat mit den Blumen an sie heran.

Sie streckte die Hand darnach aus, verglich mit einem flüchtigen Blick
die Farbe der Blumen mit der Farbe ihres Gewandes und ließ sie mit einem
müden Unmöglich! fallen.

Mit einer abwehrenden Bewegung der Hand hinderte sie Ricks, die Blumen
aufzuheben.

Gieb mir das da, sagte sie und zeigte auf ein rotes Mschchen, das auf
einem zerknitterten Taschentuch neben ihren Füßen lag.

Ricks trat an das Fußende des Ruhebetts, er war dunkelrot geworden,
und indem er sich hinabbeugte über diese mattweißem, sich langsam rundenden
Beine und über diese langen, schmalen Füße, die in ihren fein geschweiften
Formen etwas von der Intelligenz der Hand hatten, überfiel ihn ein Schwindel,
und als sich in demselben Augenblick der eine Fuß mit einer plötzlichen Bewegung
krümmte, war er nahe daran, umzufallen.


nivis Lyhnc.

In seiner gebückten Stellung sah er nichts als den hellen Strohteppich,
der auf dem Fußboden lag. die Holzverkleidung unter dem Fenster und den
lackirten Fuß eines Pfeilertisches; als er sich aber aufrichtete, um sich zurück¬
zuziehen, erblickte er die Tante.

Sie lag ausgestreckt auf dein seegrünen Atlas des Ruhebetts, in ein
phantastisches Zigeunerkostüm gekleidet. Sie lag auf dem Rücken da, den Kopf
zurückgebeugt, das Kinn in der Luft; ihr langes, aufgelöstes Haar floß über
die Lehne des Ruhebetts auf den Teppich herab. Eine künstliche Granatblüte
auf dem bronzefarbenen Lederschuh glich einer Insel in mattgoldenen Strom.

Die Farben ihres Anzuges waren mannichfaltig, aber alle gedämpft. Ein
Mieder von schwerem, glanzlosem Stoff, buntgemustert mit dunkelblauen, bla߬
roten, grauen und orangefarbenen Flammen, umschloß ein weißseidenes Hemd
, mit weiten Ärmeln, die bis an den Ellenbogen reichten. Die Seide hatte einen
rötlichen Schimmer und war mit einzelnen Fäden roten Goldes leicht durch¬
wirkt. Ihr Rock von aurikelfarbenem Sammet ohne Kante war nicht zusammen¬
gerafft, sondern umfloß sie lose, bildete schiefe Falten von unten nach oben und
hing von dem Ruhebett auf die Erde herab. Vom Knie abwärts waren ihre
Beine entblößt, und die übers Kreuz gelegten Knöchel hatte sie mit einer großen
Halskette von blaßroten Korallen zusammengebunden. Auf dem Fußboden lag
ein geöffneter Fächer, dessen Zeichnung ein zu einem Rad geordnetes Karten¬
spiel darstellte, in geringer Entfernung davon lagen ein paar braune, seidene
Strümpfe, der eine zusammengezogen, der andre flach ausgebreitet, sodaß man
die ganze Form derselben und den roten Zwickel deutlich erkennen konnte.

In demselben Augenblick, wo Ricks sie erblickte, hatte auch sie ihn schon ge¬
sehen. Sie machte unwillkürlich eine Bewegung, wie um sich zu erheben, bezwang
sich aber und blieb ruhig liegen, wendete nur den Kopf ein wenig und schaute
Ricks fragend an.

Da sind sie, sagte er und trat mit den Blumen an sie heran.

Sie streckte die Hand darnach aus, verglich mit einem flüchtigen Blick
die Farbe der Blumen mit der Farbe ihres Gewandes und ließ sie mit einem
müden Unmöglich! fallen.

Mit einer abwehrenden Bewegung der Hand hinderte sie Ricks, die Blumen
aufzuheben.

Gieb mir das da, sagte sie und zeigte auf ein rotes Mschchen, das auf
einem zerknitterten Taschentuch neben ihren Füßen lag.

Ricks trat an das Fußende des Ruhebetts, er war dunkelrot geworden,
und indem er sich hinabbeugte über diese mattweißem, sich langsam rundenden
Beine und über diese langen, schmalen Füße, die in ihren fein geschweiften
Formen etwas von der Intelligenz der Hand hatten, überfiel ihn ein Schwindel,
und als sich in demselben Augenblick der eine Fuß mit einer plötzlichen Bewegung
krümmte, war er nahe daran, umzufallen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/194>, abgerufen am 06.10.2024.