Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
I^pas <Ze I-r littürature aUeman^c.

mit diesen Soldkncchten verehelichen. Es lebe Preußen I Wir spielen bereits
nur noch seine Musik."

Ist wirklich die Gefahr so groß? In Frankreich? Oder schielt unser
armer Freund über die Grenze des heutigen Frankreichs, indem seine Krankheit
ihm eine traurige Thatsache nicht recht hat zum Bewußtsein kommen lassen,
für welche die Sprache der gewöhnlichen Sterblichen den plumpen Ausdruck
Frankfurter Frieden erfunden hat?

Unser Verfasser hat auch etwas studirt, was wir ihm nach allem Gehörten
gar nicht zutrauen sollten, die Kunst einer guten Erziehung. Freilich spricht
er über die deutsche Pädagogik und die deutschen Pädagogen wie der Blinde
von der Farbe. Die persönlichen Schwächen werden auch hier überall hervor-
gesucht und in den Vordergrund gedrängt; aus dem Zusammenhange gerissene
Stellen gelten als Beweise für die Untauglichkeit eines ganzen Buches. Wenn
Fichte sagt, seine neue Erziehung suche auf dem Boden, dessen Bearbeitung sie
übernehme, die Freiheit des Willens gänzlich zu vernichten, so wird dies ganz
im allgemeinen wiederholt, und ausgelassen, daß Fichtes Erziehung zum letzten
Ziele überall hat, daß der Zögling seiner innersten freien Natur nach gar
nicht anders wollen könne. Die Antinomie, die diesem Gedanken zu Grunde
liegt, hat er ebenso wenig verstanden, als er von der deutschen Philosophie
überhaupt etwas versteht. Und sagt nun Fichte weiter, daß nicht der Einzelne
diese Erziehung leiten solle, sondern der Staat, so wird gleich an ein Ab-
richtungssystem der schlimmsten Art gedacht. "Das Fichtesche System wurde
sechzig Jahre hindurch mit merkwürdiger Geduld und ausdauernder Energie
angewandt. Es zerknetet, zerreibt die jungen Geschlechter nach der Willkür
eines wortkargen Ministers, und aus ihm ist der preußische Soldat der Jahre
1370/71 hervorgegangen. In Ostdeutschland z. B. wird man nach der Meinung
Fichtes den cmnektirten Polen von seiner Familie trennen und ihn zwingen,
"Ich bin ein kleiner Preuße" zu singen. Der arme Junge, der diesen Gesang
etliche Jahre hindurch gebrüllt hat, wird schließlich vielleicht an die Lüge, die
darin enthalten ist, glauben. Im Westen wird man den Kindern mit Ausdauer
lind Beharrlichkeit gewisse Punkte der Geschichte auseinandersetzen, z. B. die
Verwüstung der Pfalz durch die Franzosen, die dort durch Melac und seine
Franzosen begangenen Scheußlichkeiten, den Raub von Elsaß und Lothringen
durch die Franzosen, welche Provinzen geographisch und ethnographisch deutsch
seien. Solche Erzählungen wird man alle mit den gleichen Bemerkungen, mit den
gleichen Wünschen begleiten; in den Erholungsstunden oder während körperlicher
Übungen wird man singen lassen: "O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne
Stadt. ..." Die Schulatlcmtcn werden für Elsaß-Lothringen besondre Farben
haben, andre als die benachbarte französische Farbe oder ganz einfach die deutsche
Farbe; derart, daß der kleine Schüler von dem Deutschtum der beiden Pro¬
vinzen überzeugt sein und in diesem Glauben aufwachsen wird."


I^pas <Ze I-r littürature aUeman^c.

mit diesen Soldkncchten verehelichen. Es lebe Preußen I Wir spielen bereits
nur noch seine Musik."

Ist wirklich die Gefahr so groß? In Frankreich? Oder schielt unser
armer Freund über die Grenze des heutigen Frankreichs, indem seine Krankheit
ihm eine traurige Thatsache nicht recht hat zum Bewußtsein kommen lassen,
für welche die Sprache der gewöhnlichen Sterblichen den plumpen Ausdruck
Frankfurter Frieden erfunden hat?

Unser Verfasser hat auch etwas studirt, was wir ihm nach allem Gehörten
gar nicht zutrauen sollten, die Kunst einer guten Erziehung. Freilich spricht
er über die deutsche Pädagogik und die deutschen Pädagogen wie der Blinde
von der Farbe. Die persönlichen Schwächen werden auch hier überall hervor-
gesucht und in den Vordergrund gedrängt; aus dem Zusammenhange gerissene
Stellen gelten als Beweise für die Untauglichkeit eines ganzen Buches. Wenn
Fichte sagt, seine neue Erziehung suche auf dem Boden, dessen Bearbeitung sie
übernehme, die Freiheit des Willens gänzlich zu vernichten, so wird dies ganz
im allgemeinen wiederholt, und ausgelassen, daß Fichtes Erziehung zum letzten
Ziele überall hat, daß der Zögling seiner innersten freien Natur nach gar
nicht anders wollen könne. Die Antinomie, die diesem Gedanken zu Grunde
liegt, hat er ebenso wenig verstanden, als er von der deutschen Philosophie
überhaupt etwas versteht. Und sagt nun Fichte weiter, daß nicht der Einzelne
diese Erziehung leiten solle, sondern der Staat, so wird gleich an ein Ab-
richtungssystem der schlimmsten Art gedacht. „Das Fichtesche System wurde
sechzig Jahre hindurch mit merkwürdiger Geduld und ausdauernder Energie
angewandt. Es zerknetet, zerreibt die jungen Geschlechter nach der Willkür
eines wortkargen Ministers, und aus ihm ist der preußische Soldat der Jahre
1370/71 hervorgegangen. In Ostdeutschland z. B. wird man nach der Meinung
Fichtes den cmnektirten Polen von seiner Familie trennen und ihn zwingen,
»Ich bin ein kleiner Preuße« zu singen. Der arme Junge, der diesen Gesang
etliche Jahre hindurch gebrüllt hat, wird schließlich vielleicht an die Lüge, die
darin enthalten ist, glauben. Im Westen wird man den Kindern mit Ausdauer
lind Beharrlichkeit gewisse Punkte der Geschichte auseinandersetzen, z. B. die
Verwüstung der Pfalz durch die Franzosen, die dort durch Melac und seine
Franzosen begangenen Scheußlichkeiten, den Raub von Elsaß und Lothringen
durch die Franzosen, welche Provinzen geographisch und ethnographisch deutsch
seien. Solche Erzählungen wird man alle mit den gleichen Bemerkungen, mit den
gleichen Wünschen begleiten; in den Erholungsstunden oder während körperlicher
Übungen wird man singen lassen: „O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne
Stadt. ..." Die Schulatlcmtcn werden für Elsaß-Lothringen besondre Farben
haben, andre als die benachbarte französische Farbe oder ganz einfach die deutsche
Farbe; derart, daß der kleine Schüler von dem Deutschtum der beiden Pro¬
vinzen überzeugt sein und in diesem Glauben aufwachsen wird."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202960"/>
            <fw type="header" place="top"> I^pas &lt;Ze I-r littürature aUeman^c.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_585" prev="#ID_584"> mit diesen Soldkncchten verehelichen. Es lebe Preußen I Wir spielen bereits<lb/>
nur noch seine Musik."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_586"> Ist wirklich die Gefahr so groß? In Frankreich? Oder schielt unser<lb/>
armer Freund über die Grenze des heutigen Frankreichs, indem seine Krankheit<lb/>
ihm eine traurige Thatsache nicht recht hat zum Bewußtsein kommen lassen,<lb/>
für welche die Sprache der gewöhnlichen Sterblichen den plumpen Ausdruck<lb/>
Frankfurter Frieden erfunden hat?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_587"> Unser Verfasser hat auch etwas studirt, was wir ihm nach allem Gehörten<lb/>
gar nicht zutrauen sollten, die Kunst einer guten Erziehung. Freilich spricht<lb/>
er über die deutsche Pädagogik und die deutschen Pädagogen wie der Blinde<lb/>
von der Farbe. Die persönlichen Schwächen werden auch hier überall hervor-<lb/>
gesucht und in den Vordergrund gedrängt; aus dem Zusammenhange gerissene<lb/>
Stellen gelten als Beweise für die Untauglichkeit eines ganzen Buches. Wenn<lb/>
Fichte sagt, seine neue Erziehung suche auf dem Boden, dessen Bearbeitung sie<lb/>
übernehme, die Freiheit des Willens gänzlich zu vernichten, so wird dies ganz<lb/>
im allgemeinen wiederholt, und ausgelassen, daß Fichtes Erziehung zum letzten<lb/>
Ziele überall hat, daß der Zögling seiner innersten freien Natur nach gar<lb/>
nicht anders wollen könne. Die Antinomie, die diesem Gedanken zu Grunde<lb/>
liegt, hat er ebenso wenig verstanden, als er von der deutschen Philosophie<lb/>
überhaupt etwas versteht. Und sagt nun Fichte weiter, daß nicht der Einzelne<lb/>
diese Erziehung leiten solle, sondern der Staat, so wird gleich an ein Ab-<lb/>
richtungssystem der schlimmsten Art gedacht. &#x201E;Das Fichtesche System wurde<lb/>
sechzig Jahre hindurch mit merkwürdiger Geduld und ausdauernder Energie<lb/>
angewandt. Es zerknetet, zerreibt die jungen Geschlechter nach der Willkür<lb/>
eines wortkargen Ministers, und aus ihm ist der preußische Soldat der Jahre<lb/>
1370/71 hervorgegangen. In Ostdeutschland z. B. wird man nach der Meinung<lb/>
Fichtes den cmnektirten Polen von seiner Familie trennen und ihn zwingen,<lb/>
»Ich bin ein kleiner Preuße« zu singen. Der arme Junge, der diesen Gesang<lb/>
etliche Jahre hindurch gebrüllt hat, wird schließlich vielleicht an die Lüge, die<lb/>
darin enthalten ist, glauben. Im Westen wird man den Kindern mit Ausdauer<lb/>
lind Beharrlichkeit gewisse Punkte der Geschichte auseinandersetzen, z. B. die<lb/>
Verwüstung der Pfalz durch die Franzosen, die dort durch Melac und seine<lb/>
Franzosen begangenen Scheußlichkeiten, den Raub von Elsaß und Lothringen<lb/>
durch die Franzosen, welche Provinzen geographisch und ethnographisch deutsch<lb/>
seien. Solche Erzählungen wird man alle mit den gleichen Bemerkungen, mit den<lb/>
gleichen Wünschen begleiten; in den Erholungsstunden oder während körperlicher<lb/>
Übungen wird man singen lassen: &#x201E;O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne<lb/>
Stadt. ..." Die Schulatlcmtcn werden für Elsaß-Lothringen besondre Farben<lb/>
haben, andre als die benachbarte französische Farbe oder ganz einfach die deutsche<lb/>
Farbe; derart, daß der kleine Schüler von dem Deutschtum der beiden Pro¬<lb/>
vinzen überzeugt sein und in diesem Glauben aufwachsen wird."</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0183] I^pas <Ze I-r littürature aUeman^c. mit diesen Soldkncchten verehelichen. Es lebe Preußen I Wir spielen bereits nur noch seine Musik." Ist wirklich die Gefahr so groß? In Frankreich? Oder schielt unser armer Freund über die Grenze des heutigen Frankreichs, indem seine Krankheit ihm eine traurige Thatsache nicht recht hat zum Bewußtsein kommen lassen, für welche die Sprache der gewöhnlichen Sterblichen den plumpen Ausdruck Frankfurter Frieden erfunden hat? Unser Verfasser hat auch etwas studirt, was wir ihm nach allem Gehörten gar nicht zutrauen sollten, die Kunst einer guten Erziehung. Freilich spricht er über die deutsche Pädagogik und die deutschen Pädagogen wie der Blinde von der Farbe. Die persönlichen Schwächen werden auch hier überall hervor- gesucht und in den Vordergrund gedrängt; aus dem Zusammenhange gerissene Stellen gelten als Beweise für die Untauglichkeit eines ganzen Buches. Wenn Fichte sagt, seine neue Erziehung suche auf dem Boden, dessen Bearbeitung sie übernehme, die Freiheit des Willens gänzlich zu vernichten, so wird dies ganz im allgemeinen wiederholt, und ausgelassen, daß Fichtes Erziehung zum letzten Ziele überall hat, daß der Zögling seiner innersten freien Natur nach gar nicht anders wollen könne. Die Antinomie, die diesem Gedanken zu Grunde liegt, hat er ebenso wenig verstanden, als er von der deutschen Philosophie überhaupt etwas versteht. Und sagt nun Fichte weiter, daß nicht der Einzelne diese Erziehung leiten solle, sondern der Staat, so wird gleich an ein Ab- richtungssystem der schlimmsten Art gedacht. „Das Fichtesche System wurde sechzig Jahre hindurch mit merkwürdiger Geduld und ausdauernder Energie angewandt. Es zerknetet, zerreibt die jungen Geschlechter nach der Willkür eines wortkargen Ministers, und aus ihm ist der preußische Soldat der Jahre 1370/71 hervorgegangen. In Ostdeutschland z. B. wird man nach der Meinung Fichtes den cmnektirten Polen von seiner Familie trennen und ihn zwingen, »Ich bin ein kleiner Preuße« zu singen. Der arme Junge, der diesen Gesang etliche Jahre hindurch gebrüllt hat, wird schließlich vielleicht an die Lüge, die darin enthalten ist, glauben. Im Westen wird man den Kindern mit Ausdauer lind Beharrlichkeit gewisse Punkte der Geschichte auseinandersetzen, z. B. die Verwüstung der Pfalz durch die Franzosen, die dort durch Melac und seine Franzosen begangenen Scheußlichkeiten, den Raub von Elsaß und Lothringen durch die Franzosen, welche Provinzen geographisch und ethnographisch deutsch seien. Solche Erzählungen wird man alle mit den gleichen Bemerkungen, mit den gleichen Wünschen begleiten; in den Erholungsstunden oder während körperlicher Übungen wird man singen lassen: „O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt. ..." Die Schulatlcmtcn werden für Elsaß-Lothringen besondre Farben haben, andre als die benachbarte französische Farbe oder ganz einfach die deutsche Farbe; derart, daß der kleine Schüler von dem Deutschtum der beiden Pro¬ vinzen überzeugt sein und in diesem Glauben aufwachsen wird."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/183
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/183>, abgerufen am 28.07.2024.