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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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verabschiedete Offiziere.

Als Prinz Wilhelm die Negierung des preußischen Landes übernahm,
wandte er sofort der Armee seine Sorge zu und trachtete zunächst darnach,
den Geist des Offizierskorps dadurch zu heben, daß er Elemente daraus aus¬
schied, welche den in Aussicht genommenen höhern Anforderungen nicht mehr
genügen konnten.

Die "Konduitenlisten," wie sie in den süddeutschen Heeren genannt wurden,
hatten selbstverständlich auch in der preußischen Armee unter dem Namen
"Qualifikationsberichte" bestände", aber sie wurden durch den damaligen Prinz-
Regenten wesentlich erweitert und verschärft. Es wurden ganz bestimmte An¬
haltepunkte gegeben, mit deren Hilfe die Befähigung der Offiziere für ihre gegen¬
wärtige Stellung sowie für Vorkommendenfalls einzunehmende höhere Stellen nach¬
gewiesen werden sollte, und die genaue Beobachtung derselben bei Anfertigung
der "Qualifikationsberichte" wurde den höhern Offizieren zur Pflicht gemacht.

Diese Maßregel hat sehr viel zu dem außerordentlichen Aufschwünge bei¬
getragen, welchen das preußische Offizierkorps und mit ihm die Armee unter
ihrem obersten Kriegsherrn damals genommen hat; die spätern glänzenden
Erfolge derselben wurden hierdurch vorbereitet und wesentlich gefördert. Jetzt,
wo sämtliche Heere dem deutschen nachzueifern sich bemüht haben und eins das
andre an Kriegstüchtigkeit zu übertreffen sucht, wäre der Augenblick schlecht
gewählt, eine Maßregel, welche sich so bewährt hat, aufzugeben. Gleichgiltig-
keit und Schlendrian wären die unausbleiblichen Folgen, denn der Durchschnitts¬
mensch ist nun einmal so, daß er anhaltend gestellten hohen Anforderungen nur
bei scharfem Drucke genügt.

Es ist ja begreiflich, daß die Oppositionspresse derartiger Vorgänge inner¬
halb des Offizierkorps, welche die Oppositionspartei vor 1866 in den nicht¬
preußischen deutschen Bundeskontingenten nicht gestattet hätte, sich bemächtigt,'
und namentlich auf den finanziellen Nachteil hinweist, welchen diese Maßregel
durch unverhältnismäßige Belastung des Militärbudgets und damit der Steuer¬
zahler mit sich bringt; allein ein Reich wie das deutsche muß schlechterdings
imstande sein, Ausgaben aufzubringen, welche ihm durch seine Lage innerhalb
des Kontinents aufgenötigt und welche lediglich die Schlagfertigkeit des Heeres
zu erhöhen bestimmt sind. Überdies bedarf das Heer im Mobilmachungsfalle
für den Feld- und Besatzungsdienst einer so großen Anzahl von Offizieren, daß
auch jetzt, selbst wenn sämtliche Inaktiven herangezogen würden, wohl schwerlich
der ganze Bedarf an Offizieren würde gedeckt werden können.

Der Bedarf an Offizieren für die neuen Trnppenbildungen im Mobil¬
machungsfalle ist da, man kann sie doch nicht ohne Offiziere lassen; die seit¬
herigen aktiven Truppenkörper könnte man aber auch nicht plündern zu Gunsten
der neu zu bildenden. Da kommen denn die verabschiedeten Offiziere, welche
mittlerweile, d. h. bis zum Bedarfsfalle, doch bedeutend weniger Gehalt bezogen
haben als ihre aktiven Kameraden, sehr gelegen.


verabschiedete Offiziere.

Als Prinz Wilhelm die Negierung des preußischen Landes übernahm,
wandte er sofort der Armee seine Sorge zu und trachtete zunächst darnach,
den Geist des Offizierskorps dadurch zu heben, daß er Elemente daraus aus¬
schied, welche den in Aussicht genommenen höhern Anforderungen nicht mehr
genügen konnten.

Die „Konduitenlisten," wie sie in den süddeutschen Heeren genannt wurden,
hatten selbstverständlich auch in der preußischen Armee unter dem Namen
„Qualifikationsberichte" bestände», aber sie wurden durch den damaligen Prinz-
Regenten wesentlich erweitert und verschärft. Es wurden ganz bestimmte An¬
haltepunkte gegeben, mit deren Hilfe die Befähigung der Offiziere für ihre gegen¬
wärtige Stellung sowie für Vorkommendenfalls einzunehmende höhere Stellen nach¬
gewiesen werden sollte, und die genaue Beobachtung derselben bei Anfertigung
der „Qualifikationsberichte" wurde den höhern Offizieren zur Pflicht gemacht.

Diese Maßregel hat sehr viel zu dem außerordentlichen Aufschwünge bei¬
getragen, welchen das preußische Offizierkorps und mit ihm die Armee unter
ihrem obersten Kriegsherrn damals genommen hat; die spätern glänzenden
Erfolge derselben wurden hierdurch vorbereitet und wesentlich gefördert. Jetzt,
wo sämtliche Heere dem deutschen nachzueifern sich bemüht haben und eins das
andre an Kriegstüchtigkeit zu übertreffen sucht, wäre der Augenblick schlecht
gewählt, eine Maßregel, welche sich so bewährt hat, aufzugeben. Gleichgiltig-
keit und Schlendrian wären die unausbleiblichen Folgen, denn der Durchschnitts¬
mensch ist nun einmal so, daß er anhaltend gestellten hohen Anforderungen nur
bei scharfem Drucke genügt.

Es ist ja begreiflich, daß die Oppositionspresse derartiger Vorgänge inner¬
halb des Offizierkorps, welche die Oppositionspartei vor 1866 in den nicht¬
preußischen deutschen Bundeskontingenten nicht gestattet hätte, sich bemächtigt,'
und namentlich auf den finanziellen Nachteil hinweist, welchen diese Maßregel
durch unverhältnismäßige Belastung des Militärbudgets und damit der Steuer¬
zahler mit sich bringt; allein ein Reich wie das deutsche muß schlechterdings
imstande sein, Ausgaben aufzubringen, welche ihm durch seine Lage innerhalb
des Kontinents aufgenötigt und welche lediglich die Schlagfertigkeit des Heeres
zu erhöhen bestimmt sind. Überdies bedarf das Heer im Mobilmachungsfalle
für den Feld- und Besatzungsdienst einer so großen Anzahl von Offizieren, daß
auch jetzt, selbst wenn sämtliche Inaktiven herangezogen würden, wohl schwerlich
der ganze Bedarf an Offizieren würde gedeckt werden können.

Der Bedarf an Offizieren für die neuen Trnppenbildungen im Mobil¬
machungsfalle ist da, man kann sie doch nicht ohne Offiziere lassen; die seit¬
herigen aktiven Truppenkörper könnte man aber auch nicht plündern zu Gunsten
der neu zu bildenden. Da kommen denn die verabschiedeten Offiziere, welche
mittlerweile, d. h. bis zum Bedarfsfalle, doch bedeutend weniger Gehalt bezogen
haben als ihre aktiven Kameraden, sehr gelegen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/18>, abgerufen am 27.07.2024.