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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Der Boulangerismus in j)aris.

liebe Meinung anfertigen, auch in diesem Falle seinen Verstand bewähren werde.
Das ist zugetroffen, und so wird allem Anscheine nach das Wiederauftreten
des Kometen nicht den Krieg, den er zu machen drohte, und hoffentlich auch
kein andres Unheil zur Folge haben. In der Kammer rechtfertigte am 20. März
der Ministerpräsitend Tirard die gegen Boulanger verhängten Maßregeln mit
dem Hinweise darauf, daß Boulanger sich zu bestehenden Gesetzen in Widerspruch
gesetzt habe, und erklärte, er verlange, daß das Haus über die Angelegenheit
einfach zur Tagesordnung übergehe. Nachdem Laguerre den General schwäch¬
lich in Schutz zu nehmen versucht hatte, erwiederte der Minister, die Regierung
habe im Hinblick auf die jetzt festgestellten thatsächlichen groben Verstöße Bou-
langers gegen die Disziplin den Beschluß gefaßt, ihn vor ein Untersuchungs¬
gericht zu verweisen. Weiteres in der Kammer mitzuteilen, sei nicht geraten,
da man nicht auf die Entschließungen dieses Gerichts einwirken dürfe. Damit
war die Sache abgethan; denn die von der Regierung verlangte einfache Tages¬
ordnung wurde von der Versammlung mit großer Mehrheit -- 349 gegen
93 Stimmen -- angenommen. Der Präsident und seine Räte haben sich hier¬
nach überzeugt, daß es an der Zeit ist, mit Rücksichten und Halbheiten aufzuhören,
und da sie bei strengeren Verfahren auf die Unterstützung von mehr als drei
Vierteln der Volksvertretung rechnen können und der unvorsichtige General ihnen
ein sehr reichliches Belastungsmaterial geliefert hat, wird wahrscheinlich schon
in den nächsten Wochen ein militärischer Gerichtshof zusammentreten, der auf
gänzliche Entlassung Boulangers aus dem Verbände und Dienste des Heeres
erkennen wird. Inzwischen bemühen sich die Blätter, welche den Standpunkt
der Regierung einnehmen -- d. h. alle anständigen --, nach Kräften, dem
"Degen Frankreichs" den Glanz zu nehmen, welchen ihm die Mache der chau¬
vinistischen radikalen Journale anzustrahlen versucht hat. Die R6xubli<zus
?ranyMss, in der Ferrys Ansichten vertreten werden, weist nach, daß Boulanger
wissentlich die Unwahrheit gesagt hat, wenn er in seinem Urlaubsgesuche Lo¬
gerot geschrieben, er habe "bis dahin dessen Befehlen ehrerbietig gehorcht," denn
er sei vordem schon zweimal, und noch dazu in höchst unziemlichen Inkognito,
in Paris gewesen. Der Na-tin hat den Mut, es geradezu auszusprechen, was
den General immer und jetzt vor allem populär machte. "Das Volk -- sagt
er -- liebt in Boulanger den Ungehorsam, mit dem er ihm seit zehn Jahren
militärische Unbotmäßigkeit, Verachtung des Regiments, Haß gegen Vorgesetzte
predigt, und je meuterischer er wird, desto mehr wächst seine Beliebtheit. . . .
Boulanger ist ein Empörer, und in ihm begrüßt dieses Volk sein Ebenbild und
seinen Meister." Bei diesen Schichten der Bevölkerung wird also auf keine
Wirkung zu rechnen sein, wenn ihm Willkür und thatsächliche Auflehnung gegen
den Willen seiner Vorgesetzten vorgeworfen wird, wohl aber ist zu erwarten, daß
hier die Bloßstellungen der Lächerlichkeit, die er sich durch seine abenteuerlichen
Verstellungen bei seinen heimlichen Ausflügen zu den Pariser Genossen zuge-


Der Boulangerismus in j)aris.

liebe Meinung anfertigen, auch in diesem Falle seinen Verstand bewähren werde.
Das ist zugetroffen, und so wird allem Anscheine nach das Wiederauftreten
des Kometen nicht den Krieg, den er zu machen drohte, und hoffentlich auch
kein andres Unheil zur Folge haben. In der Kammer rechtfertigte am 20. März
der Ministerpräsitend Tirard die gegen Boulanger verhängten Maßregeln mit
dem Hinweise darauf, daß Boulanger sich zu bestehenden Gesetzen in Widerspruch
gesetzt habe, und erklärte, er verlange, daß das Haus über die Angelegenheit
einfach zur Tagesordnung übergehe. Nachdem Laguerre den General schwäch¬
lich in Schutz zu nehmen versucht hatte, erwiederte der Minister, die Regierung
habe im Hinblick auf die jetzt festgestellten thatsächlichen groben Verstöße Bou-
langers gegen die Disziplin den Beschluß gefaßt, ihn vor ein Untersuchungs¬
gericht zu verweisen. Weiteres in der Kammer mitzuteilen, sei nicht geraten,
da man nicht auf die Entschließungen dieses Gerichts einwirken dürfe. Damit
war die Sache abgethan; denn die von der Regierung verlangte einfache Tages¬
ordnung wurde von der Versammlung mit großer Mehrheit — 349 gegen
93 Stimmen — angenommen. Der Präsident und seine Räte haben sich hier¬
nach überzeugt, daß es an der Zeit ist, mit Rücksichten und Halbheiten aufzuhören,
und da sie bei strengeren Verfahren auf die Unterstützung von mehr als drei
Vierteln der Volksvertretung rechnen können und der unvorsichtige General ihnen
ein sehr reichliches Belastungsmaterial geliefert hat, wird wahrscheinlich schon
in den nächsten Wochen ein militärischer Gerichtshof zusammentreten, der auf
gänzliche Entlassung Boulangers aus dem Verbände und Dienste des Heeres
erkennen wird. Inzwischen bemühen sich die Blätter, welche den Standpunkt
der Regierung einnehmen — d. h. alle anständigen —, nach Kräften, dem
„Degen Frankreichs" den Glanz zu nehmen, welchen ihm die Mache der chau¬
vinistischen radikalen Journale anzustrahlen versucht hat. Die R6xubli<zus
?ranyMss, in der Ferrys Ansichten vertreten werden, weist nach, daß Boulanger
wissentlich die Unwahrheit gesagt hat, wenn er in seinem Urlaubsgesuche Lo¬
gerot geschrieben, er habe „bis dahin dessen Befehlen ehrerbietig gehorcht," denn
er sei vordem schon zweimal, und noch dazu in höchst unziemlichen Inkognito,
in Paris gewesen. Der Na-tin hat den Mut, es geradezu auszusprechen, was
den General immer und jetzt vor allem populär machte. „Das Volk — sagt
er — liebt in Boulanger den Ungehorsam, mit dem er ihm seit zehn Jahren
militärische Unbotmäßigkeit, Verachtung des Regiments, Haß gegen Vorgesetzte
predigt, und je meuterischer er wird, desto mehr wächst seine Beliebtheit. . . .
Boulanger ist ein Empörer, und in ihm begrüßt dieses Volk sein Ebenbild und
seinen Meister." Bei diesen Schichten der Bevölkerung wird also auf keine
Wirkung zu rechnen sein, wenn ihm Willkür und thatsächliche Auflehnung gegen
den Willen seiner Vorgesetzten vorgeworfen wird, wohl aber ist zu erwarten, daß
hier die Bloßstellungen der Lächerlichkeit, die er sich durch seine abenteuerlichen
Verstellungen bei seinen heimlichen Ausflügen zu den Pariser Genossen zuge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/16>, abgerufen am 27.07.2024.