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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Der Bonlangerismus in Paris.

der in diesem Stile schwadronirt, weil dreiste Behauptungen denen, für die man
sich mit solchem Phrasentamtam abmüht, besser imponiren als verständige Be¬
trachtung. Die große Mehrzahl der übrigen französischen Preßorgane führt
eine andre Sprache über den Fall des "Tingeltangelgenerals" der Rede Ferrys,
und wir dürfen hoffen, daß ihr Publikum wie sie denkt und nicht entfernt den
Wunsch hegt, daß die Pläne Boulangers von Erfolg begleitet werden. Es
wäre auch wunderlich, wenn sichs anders verhielte. Siebzehn Jahre Republik,
ebenso lange Kampf gegen die Reaktion, Siege über den Klerikalismus, die Er¬
rungenschaft der republikanischen Volksschule, die Vereitelung der Umtriebe von
allerhand Prätendenten, die ganze große Arbeit der Befestigung und Ausnutzung
der neuen immer seliger machenden Staatsform sollte einem Manne geopfert
werden, der nur das Verdienst aufzuweisen hat, geschickt getrommelt und mit
dem Säbel gerasselt zu haben!

Soviel für die ehrlichen und maßvollen französischen Republikaner, für die
wir nichts andres thun können, als gute Hoffnungen für sie auszusprechen,
was uns umso leichter fällt, als es auch gute Hoffnungen für uns und den
Frieden der Welt sind, und als verschiedne Vorkommnisse der letzten Woche
unsrer Erwartung eines wünschenswerten Ausganges des Boulanger-Schwindels
wesentlich zu verstärken geeignet sind. Die neue Kampagne des strebsamen Ge¬
nerals hatte trotz der vielfach lächerlichen Seiten, die sie zeigte, trotz der blauen
Brille und des hinkenden Ganges ihres Helden bei seinen verstohlenen Besuchen
in Paris, trotz der Gassenjungen, die ihm die Pferde ausspannen wollten, der
Lobhudelei seiner Kreaturen in der Presse, der komischen Natur seiner Freunde
in der Kammer auch ernste Züge. Die parlamentarische Maschinerie der Republik
hat in der letzten Zeit schlechter als je vorher gearbeitet, sie drohte, alle moralischen
Kräfte des Landes aufzureiben, Skandalgeschichten wie die Wilsonsche zeigten, daß
es im Staate bis in die höchsten Kreise hinauf faul war. Ministerkrisen ohne
Zahl, zuletzt auch ein kläglicher Rücktritt des Präsidenten vor dem Drängen der
Kammerparteien und die Unmöglichkeit, ihm in Ferry den rechten Nachfolger zu
geben, kamen hinzu, und nun statt hinreichend langer Ruhe zur Erholung und
Sammlung neue Störung und Aufregung durch das Wiedererscheinen eines mili¬
tärischen Strebers mit theatralischen Manieren, die nun einmal auf die Fran¬
zosen wirken, weil sie ihrer Natur entsprechen, und mit Velleitäten im Munde,
wenn nicht im Herzen, die ebenfalls des Beifalls vieler sicher waren, neue
Zwietracht, neue Lähmung der Regierung, neue Blamage vor dem Auslande --
in der That, es war mindestens wieder eine verdrießliche Episode im Leben
Frankreichs, und man konnte nur wünschen, daß der Präsident und sein Ka¬
binet die nötige Entschlossenheit besitzen und sich den Übeln Absichten des Ge¬
nerals und seines Schweifes gewachsen zeigen, daß sein radikaler Anhang in der
Deputirtenkammer in Wirklichkeit schwächer als nach der bisherigen Vermutung
sein und daß der verständigere Teil derer, welche in den Zeitungen die offene-


Der Bonlangerismus in Paris.

der in diesem Stile schwadronirt, weil dreiste Behauptungen denen, für die man
sich mit solchem Phrasentamtam abmüht, besser imponiren als verständige Be¬
trachtung. Die große Mehrzahl der übrigen französischen Preßorgane führt
eine andre Sprache über den Fall des „Tingeltangelgenerals" der Rede Ferrys,
und wir dürfen hoffen, daß ihr Publikum wie sie denkt und nicht entfernt den
Wunsch hegt, daß die Pläne Boulangers von Erfolg begleitet werden. Es
wäre auch wunderlich, wenn sichs anders verhielte. Siebzehn Jahre Republik,
ebenso lange Kampf gegen die Reaktion, Siege über den Klerikalismus, die Er¬
rungenschaft der republikanischen Volksschule, die Vereitelung der Umtriebe von
allerhand Prätendenten, die ganze große Arbeit der Befestigung und Ausnutzung
der neuen immer seliger machenden Staatsform sollte einem Manne geopfert
werden, der nur das Verdienst aufzuweisen hat, geschickt getrommelt und mit
dem Säbel gerasselt zu haben!

Soviel für die ehrlichen und maßvollen französischen Republikaner, für die
wir nichts andres thun können, als gute Hoffnungen für sie auszusprechen,
was uns umso leichter fällt, als es auch gute Hoffnungen für uns und den
Frieden der Welt sind, und als verschiedne Vorkommnisse der letzten Woche
unsrer Erwartung eines wünschenswerten Ausganges des Boulanger-Schwindels
wesentlich zu verstärken geeignet sind. Die neue Kampagne des strebsamen Ge¬
nerals hatte trotz der vielfach lächerlichen Seiten, die sie zeigte, trotz der blauen
Brille und des hinkenden Ganges ihres Helden bei seinen verstohlenen Besuchen
in Paris, trotz der Gassenjungen, die ihm die Pferde ausspannen wollten, der
Lobhudelei seiner Kreaturen in der Presse, der komischen Natur seiner Freunde
in der Kammer auch ernste Züge. Die parlamentarische Maschinerie der Republik
hat in der letzten Zeit schlechter als je vorher gearbeitet, sie drohte, alle moralischen
Kräfte des Landes aufzureiben, Skandalgeschichten wie die Wilsonsche zeigten, daß
es im Staate bis in die höchsten Kreise hinauf faul war. Ministerkrisen ohne
Zahl, zuletzt auch ein kläglicher Rücktritt des Präsidenten vor dem Drängen der
Kammerparteien und die Unmöglichkeit, ihm in Ferry den rechten Nachfolger zu
geben, kamen hinzu, und nun statt hinreichend langer Ruhe zur Erholung und
Sammlung neue Störung und Aufregung durch das Wiedererscheinen eines mili¬
tärischen Strebers mit theatralischen Manieren, die nun einmal auf die Fran¬
zosen wirken, weil sie ihrer Natur entsprechen, und mit Velleitäten im Munde,
wenn nicht im Herzen, die ebenfalls des Beifalls vieler sicher waren, neue
Zwietracht, neue Lähmung der Regierung, neue Blamage vor dem Auslande —
in der That, es war mindestens wieder eine verdrießliche Episode im Leben
Frankreichs, und man konnte nur wünschen, daß der Präsident und sein Ka¬
binet die nötige Entschlossenheit besitzen und sich den Übeln Absichten des Ge¬
nerals und seines Schweifes gewachsen zeigen, daß sein radikaler Anhang in der
Deputirtenkammer in Wirklichkeit schwächer als nach der bisherigen Vermutung
sein und daß der verständigere Teil derer, welche in den Zeitungen die offene-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/15>, abgerufen am 27.07.2024.