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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zum Andenken Gustav Theodor Fechners.

sagten die Männer: das ist ja gar keine Seele. Aber was ist denn eine Seele?
Fechner hat doch wenigstens versucht, darüber etwas zu sagen, was sich ver¬
stehen läßt, und wen" es genügt, Empfindung zu haben, um zum Reiche der
Beseelten gezählt zu werden, so dürfte es schwer halten, die Pflanzenseele aus
der Welt zu schaffen.

Aber freilich, wenn die Seele nur die eine Ansicht des Wesens ist, was
anderseits nach außen als Körper erscheint, so hat der Mann, der auf den
ästhetischen Beweisgrund der Frau nicht achtet, aus anderm Gesichtspunkte Recht,
wenn er sagt: das ist ja gar keine Seele. Denn wenn Fechners Pflanzenseele
eine Seele wäre, so endete ihr Leben mit dem Leben der Pflanze; unter der
Seele des Menschen versteht man doch allgemein ein geistiges Wesen, das nicht
mit dem Leibe stirbt, und somit ist die Pflanzenseele doch nicht im mindesten
eine Seele.

Fechner selbst ist natürlich diese Schlußfolgerung nicht verborgen geblieben.
Das "Büchlein vom Leben nach dem Tode" stellt aber schon vorbereitend, der
"Zend-Avesta, oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Stand-
Punkte der Naturbetrachtung" (1851) abschließend eine Lehre dar, welche das
Entweder-Oder in eine Einheit zusammenfaßt.

Der Tod trennt nicht Seele und Leib; er vereinigt die Seele mit einer
Seele höherer Art, den Leib mit einem umfassenderen Leibe, welcher dieser
höhern Seele Leib ist. Nach dem Tode gehört der Leib wie vor dem Tode
dem Leibe der Erde an, der Geist ist nach dein Tode wie vorher ein Teil des
Geistes der Erde, der alles Empfinden, Fühlen, Denken, Wollen aller irdischen
Geschöpfe zusammenfaßt. "Das Auge des Meuschen hört nicht, was das Ohr,
das Ohr des Menschen sieht nicht, was das Auge, ein jedes schließt sich für
sich ab in seiner Sphäre und tritt dem andern selbständig gegenüber; keins weiß
etwas vom andern, keins vom ganzen Geist des Menschen." Der Menschengeist
schwebt über den niedern Sinnen, und so schwebt der Geist der Erde über
Mcnschengeistern, der Geist Gottes über den Geistern aller Gestirne. Und
Gottes Leib ist die Natur.

Es ist ein himmelanstrcbcndcr Bau, zu dem Fechner die Steine herbei¬
getragen hat. Der Gedanke dazu ist ernsthaft und groß. "Wie prachtvoll stuft
die Geisterwelt sich ab, wie hoch erhöht sich ihr Bau, wie weit erweitert sich
ihr Horizont, wie wächst der Reichtum, wächst die Fülle!... Ich sah das alles
so hell und klar, und alle sollten alles mit mir sehen; ich faßte die Leute an die
Hände, Röcke, wollte sie mit mir ziehen, riefs ihnen in die Ohren, was sie sehen
sollten, Sargs ihnen vor, suchte mit Gewalt die Angen aufzuthun, häufte Bilder
auf Bilder, that alles, was in meinen Kräften war; that über meine Kräfte.
Und der Erfolg?"

Doch wozu die Betrachtung über Erfolg oder Mißerfolg? Fechner selbst
hat sie nur angestellt in einer Stunde der Entmutigung, als ihn Schleidcns


Zum Andenken Gustav Theodor Fechners.

sagten die Männer: das ist ja gar keine Seele. Aber was ist denn eine Seele?
Fechner hat doch wenigstens versucht, darüber etwas zu sagen, was sich ver¬
stehen läßt, und wen» es genügt, Empfindung zu haben, um zum Reiche der
Beseelten gezählt zu werden, so dürfte es schwer halten, die Pflanzenseele aus
der Welt zu schaffen.

Aber freilich, wenn die Seele nur die eine Ansicht des Wesens ist, was
anderseits nach außen als Körper erscheint, so hat der Mann, der auf den
ästhetischen Beweisgrund der Frau nicht achtet, aus anderm Gesichtspunkte Recht,
wenn er sagt: das ist ja gar keine Seele. Denn wenn Fechners Pflanzenseele
eine Seele wäre, so endete ihr Leben mit dem Leben der Pflanze; unter der
Seele des Menschen versteht man doch allgemein ein geistiges Wesen, das nicht
mit dem Leibe stirbt, und somit ist die Pflanzenseele doch nicht im mindesten
eine Seele.

Fechner selbst ist natürlich diese Schlußfolgerung nicht verborgen geblieben.
Das „Büchlein vom Leben nach dem Tode" stellt aber schon vorbereitend, der
„Zend-Avesta, oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Stand-
Punkte der Naturbetrachtung" (1851) abschließend eine Lehre dar, welche das
Entweder-Oder in eine Einheit zusammenfaßt.

Der Tod trennt nicht Seele und Leib; er vereinigt die Seele mit einer
Seele höherer Art, den Leib mit einem umfassenderen Leibe, welcher dieser
höhern Seele Leib ist. Nach dem Tode gehört der Leib wie vor dem Tode
dem Leibe der Erde an, der Geist ist nach dein Tode wie vorher ein Teil des
Geistes der Erde, der alles Empfinden, Fühlen, Denken, Wollen aller irdischen
Geschöpfe zusammenfaßt. „Das Auge des Meuschen hört nicht, was das Ohr,
das Ohr des Menschen sieht nicht, was das Auge, ein jedes schließt sich für
sich ab in seiner Sphäre und tritt dem andern selbständig gegenüber; keins weiß
etwas vom andern, keins vom ganzen Geist des Menschen." Der Menschengeist
schwebt über den niedern Sinnen, und so schwebt der Geist der Erde über
Mcnschengeistern, der Geist Gottes über den Geistern aller Gestirne. Und
Gottes Leib ist die Natur.

Es ist ein himmelanstrcbcndcr Bau, zu dem Fechner die Steine herbei¬
getragen hat. Der Gedanke dazu ist ernsthaft und groß. „Wie prachtvoll stuft
die Geisterwelt sich ab, wie hoch erhöht sich ihr Bau, wie weit erweitert sich
ihr Horizont, wie wächst der Reichtum, wächst die Fülle!... Ich sah das alles
so hell und klar, und alle sollten alles mit mir sehen; ich faßte die Leute an die
Hände, Röcke, wollte sie mit mir ziehen, riefs ihnen in die Ohren, was sie sehen
sollten, Sargs ihnen vor, suchte mit Gewalt die Angen aufzuthun, häufte Bilder
auf Bilder, that alles, was in meinen Kräften war; that über meine Kräfte.
Und der Erfolg?"

Doch wozu die Betrachtung über Erfolg oder Mißerfolg? Fechner selbst
hat sie nur angestellt in einer Stunde der Entmutigung, als ihn Schleidcns


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[0131] Zum Andenken Gustav Theodor Fechners. sagten die Männer: das ist ja gar keine Seele. Aber was ist denn eine Seele? Fechner hat doch wenigstens versucht, darüber etwas zu sagen, was sich ver¬ stehen läßt, und wen» es genügt, Empfindung zu haben, um zum Reiche der Beseelten gezählt zu werden, so dürfte es schwer halten, die Pflanzenseele aus der Welt zu schaffen. Aber freilich, wenn die Seele nur die eine Ansicht des Wesens ist, was anderseits nach außen als Körper erscheint, so hat der Mann, der auf den ästhetischen Beweisgrund der Frau nicht achtet, aus anderm Gesichtspunkte Recht, wenn er sagt: das ist ja gar keine Seele. Denn wenn Fechners Pflanzenseele eine Seele wäre, so endete ihr Leben mit dem Leben der Pflanze; unter der Seele des Menschen versteht man doch allgemein ein geistiges Wesen, das nicht mit dem Leibe stirbt, und somit ist die Pflanzenseele doch nicht im mindesten eine Seele. Fechner selbst ist natürlich diese Schlußfolgerung nicht verborgen geblieben. Das „Büchlein vom Leben nach dem Tode" stellt aber schon vorbereitend, der „Zend-Avesta, oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits vom Stand- Punkte der Naturbetrachtung" (1851) abschließend eine Lehre dar, welche das Entweder-Oder in eine Einheit zusammenfaßt. Der Tod trennt nicht Seele und Leib; er vereinigt die Seele mit einer Seele höherer Art, den Leib mit einem umfassenderen Leibe, welcher dieser höhern Seele Leib ist. Nach dem Tode gehört der Leib wie vor dem Tode dem Leibe der Erde an, der Geist ist nach dein Tode wie vorher ein Teil des Geistes der Erde, der alles Empfinden, Fühlen, Denken, Wollen aller irdischen Geschöpfe zusammenfaßt. „Das Auge des Meuschen hört nicht, was das Ohr, das Ohr des Menschen sieht nicht, was das Auge, ein jedes schließt sich für sich ab in seiner Sphäre und tritt dem andern selbständig gegenüber; keins weiß etwas vom andern, keins vom ganzen Geist des Menschen." Der Menschengeist schwebt über den niedern Sinnen, und so schwebt der Geist der Erde über Mcnschengeistern, der Geist Gottes über den Geistern aller Gestirne. Und Gottes Leib ist die Natur. Es ist ein himmelanstrcbcndcr Bau, zu dem Fechner die Steine herbei¬ getragen hat. Der Gedanke dazu ist ernsthaft und groß. „Wie prachtvoll stuft die Geisterwelt sich ab, wie hoch erhöht sich ihr Bau, wie weit erweitert sich ihr Horizont, wie wächst der Reichtum, wächst die Fülle!... Ich sah das alles so hell und klar, und alle sollten alles mit mir sehen; ich faßte die Leute an die Hände, Röcke, wollte sie mit mir ziehen, riefs ihnen in die Ohren, was sie sehen sollten, Sargs ihnen vor, suchte mit Gewalt die Angen aufzuthun, häufte Bilder auf Bilder, that alles, was in meinen Kräften war; that über meine Kräfte. Und der Erfolg?" Doch wozu die Betrachtung über Erfolg oder Mißerfolg? Fechner selbst hat sie nur angestellt in einer Stunde der Entmutigung, als ihn Schleidcns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/131>, abgerufen am 27.07.2024.