Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Der Boulangerismus in j)aris. seinem Namen unterzeichnen sollte, wobei beabsichtigt war, den Band, nachdem Der Boulangerismus in j)aris. seinem Namen unterzeichnen sollte, wobei beabsichtigt war, den Band, nachdem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202787"/> <fw type="header" place="top"> Der Boulangerismus in j)aris.</fw><lb/> <p xml:id="ID_4" prev="#ID_3"> seinem Namen unterzeichnen sollte, wobei beabsichtigt war, den Band, nachdem<lb/> er vollgckritzelt wäre, dem General überreichen zu lassen. Über dem Tische mit<lb/> der Liste befand sich auf einer Konsole die Bronzestatuette des Idols der Partei,<lb/> die wie ein Heiligenbild segnend auf die Unterzeichner herunterblickte. Außen<lb/> am Hause entzündeten ungeheure weiße Plakate mit den Worten LorüxmAor est<lb/> rvvoquv. Vivs Loul-mgör! die Begeisterung des „Volkes," welches man im<lb/> Auge hatte. Und siehe da, das Volk entsprach dem Rufe in Masse. Den<lb/> ganzen Tag strömte es herzu, bis die Rue Montmartre, wo die voog-räh und<lb/> andre Blätter der äußersten radikalen Opposition erscheinen, wie ein Jahrmarkt<lb/> gedrängt voll von Menschen war. Anständig gekleidete fanden sich zwar darunter<lb/> nur wenige, desto mehr aber Verwandte der „Vassermannschen Gestalten" von<lb/> 1843, besonders junges Volk. Ungekannte und ungewaschne „Mamelucken"<lb/> von Montmartre und ähnlichen Quartieren des Pöbels, der den General an<lb/> dem denkwürdigen Abende johlend begleitete, an dem er vom Lyoner Bahnhofe<lb/> auf einer Lokomotive abdampfte, umwimmelten den bronzenen Abgott und<lb/> unterschrieben tapfer den Protest, während andre draußen warteten und in<lb/> ihren Lumpen noch tapferer der Kälte Trotz boten, bis endlich die Reihe an<lb/> sie kam. Stolz erhobenen Hauptes ging jeder darauf von dannen, erfüllt mit<lb/> dem Bewußtsein, seiner Pflicht als Mensch, Bürger und Patriot genügt zu<lb/> haben. Gleich energische Anstrengungen, die Ansteckung des Boulangerfiebers<lb/> zu verbreiten, wurden von den Verkäufern der (üoem-as auf den Boulevards<lb/> gemacht, wo diese Herolde des Ruhmes und Wertes des Nationalheroen mit<lb/> Aufbietung aller ihrer Lungenkraft stundenlang LoulWAsr ü. schrieen und<lb/> dabei kleine Porträts des Generals in voller Uniform feilboten, die in ihrer<lb/> länglich runden Gestalt den Etiketten von Porterflaschen glichen. Auch viele<lb/> Buch- und Papierhandlungen hatten ihre Schaufenster mit dem Konterfei des<lb/> Tageshelden geschmückt. In einem derselben stand die Gipsbüste von „Georges<lb/> Ernest Jean Marie Boulanger," umgeben von kolorirten Darstellungen seiner<lb/> Großthaten, z. B. der famosen Revue von Longchamps mit dem damals viel¬<lb/> bewunderten Rapphengst und der weltgeschichtlichen beschleunigten Abfahrt nach<lb/> Clermont-Ferrand. Aber die Arbeit wollte doch nicht recht flecken. Die Leute<lb/> der Partei wogen nicht viel, und es gelang nicht, einen Ausbruch zu stände zu<lb/> bringen. Ein Mensch, der in einer Generalversammlung der Patriotenliga<lb/> Boulanger leben ließ, blieb mit seinem Rufe auffallenderweise unbeachtet. Ein<lb/> Haufe von Gassenjungen, der auf einem Boulevard rsvsnMt as 1a, re-vus<lb/> anstimmte, wurde von der Polizei verjagt. Der Anarchist Morphy, dem Namen<lb/> nach von hibernischer Herkunft, wurde eingesteckt, als er mit fünf andern Burschen<lb/> seines Handwerks auf der Place de la Republique seinen Gefühlen Luft machte.<lb/> Als im Eldorado einige Stimmen mit Ungestüm den Gassenhauer I^Sö ?iouxious<lb/> ä'^uvA-WiZ verlangten, wurde es ihnen vom Pächter rund abgeschlagen. Die<lb/> innern Viertel der Stadt wurden von der künstlichen Aufregung kaum berührt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Der Boulangerismus in j)aris.
seinem Namen unterzeichnen sollte, wobei beabsichtigt war, den Band, nachdem
er vollgckritzelt wäre, dem General überreichen zu lassen. Über dem Tische mit
der Liste befand sich auf einer Konsole die Bronzestatuette des Idols der Partei,
die wie ein Heiligenbild segnend auf die Unterzeichner herunterblickte. Außen
am Hause entzündeten ungeheure weiße Plakate mit den Worten LorüxmAor est
rvvoquv. Vivs Loul-mgör! die Begeisterung des „Volkes," welches man im
Auge hatte. Und siehe da, das Volk entsprach dem Rufe in Masse. Den
ganzen Tag strömte es herzu, bis die Rue Montmartre, wo die voog-räh und
andre Blätter der äußersten radikalen Opposition erscheinen, wie ein Jahrmarkt
gedrängt voll von Menschen war. Anständig gekleidete fanden sich zwar darunter
nur wenige, desto mehr aber Verwandte der „Vassermannschen Gestalten" von
1843, besonders junges Volk. Ungekannte und ungewaschne „Mamelucken"
von Montmartre und ähnlichen Quartieren des Pöbels, der den General an
dem denkwürdigen Abende johlend begleitete, an dem er vom Lyoner Bahnhofe
auf einer Lokomotive abdampfte, umwimmelten den bronzenen Abgott und
unterschrieben tapfer den Protest, während andre draußen warteten und in
ihren Lumpen noch tapferer der Kälte Trotz boten, bis endlich die Reihe an
sie kam. Stolz erhobenen Hauptes ging jeder darauf von dannen, erfüllt mit
dem Bewußtsein, seiner Pflicht als Mensch, Bürger und Patriot genügt zu
haben. Gleich energische Anstrengungen, die Ansteckung des Boulangerfiebers
zu verbreiten, wurden von den Verkäufern der (üoem-as auf den Boulevards
gemacht, wo diese Herolde des Ruhmes und Wertes des Nationalheroen mit
Aufbietung aller ihrer Lungenkraft stundenlang LoulWAsr ü. schrieen und
dabei kleine Porträts des Generals in voller Uniform feilboten, die in ihrer
länglich runden Gestalt den Etiketten von Porterflaschen glichen. Auch viele
Buch- und Papierhandlungen hatten ihre Schaufenster mit dem Konterfei des
Tageshelden geschmückt. In einem derselben stand die Gipsbüste von „Georges
Ernest Jean Marie Boulanger," umgeben von kolorirten Darstellungen seiner
Großthaten, z. B. der famosen Revue von Longchamps mit dem damals viel¬
bewunderten Rapphengst und der weltgeschichtlichen beschleunigten Abfahrt nach
Clermont-Ferrand. Aber die Arbeit wollte doch nicht recht flecken. Die Leute
der Partei wogen nicht viel, und es gelang nicht, einen Ausbruch zu stände zu
bringen. Ein Mensch, der in einer Generalversammlung der Patriotenliga
Boulanger leben ließ, blieb mit seinem Rufe auffallenderweise unbeachtet. Ein
Haufe von Gassenjungen, der auf einem Boulevard rsvsnMt as 1a, re-vus
anstimmte, wurde von der Polizei verjagt. Der Anarchist Morphy, dem Namen
nach von hibernischer Herkunft, wurde eingesteckt, als er mit fünf andern Burschen
seines Handwerks auf der Place de la Republique seinen Gefühlen Luft machte.
Als im Eldorado einige Stimmen mit Ungestüm den Gassenhauer I^Sö ?iouxious
ä'^uvA-WiZ verlangten, wurde es ihnen vom Pächter rund abgeschlagen. Die
innern Viertel der Stadt wurden von der künstlichen Aufregung kaum berührt.
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