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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Airche.

damit untergraben, daß Luther das Recht der Gemeinde, d. h. auf dem Gebiete
des Glaubens, das Recht der freien christlichen Persönlichkeit zur Geltung
brachte. Gegenüber der christlich gläubigen und in solchem Glauben freien Per¬
sönlichkeit fallen alle Rechte der Hierarchie und diese selbst. Wie der Glaube
allein vor Gott rechtfertigt, so hat auch nur die Kirche des Glaubens, die Ge¬
meinde der Gläubigen, ein Recht zu bestehen. Und dieses Recht zur Geltung
zu bringen, d. h. die Kirche zu regieren, was um der Ordnung willen geschehen
muß, das ist Sache der weltlichen Obrigkeit, die die Ordnung auf Erden zu
wahren hat. Das lehrt das Buch "An den christlichen Adel deutscher Nation
von des christlichen Standes Besserung" auf jeder Seite. Luther redet da von
den drei Mauern der Romanisten; zum ersten hätten sie gesetzt und gesagt:
weltliche Gewalt habe nicht Recht über sie und geistliche sei über die weltliche;
"nun helf' uns Gott und geb' uns der Posaunen eine, damit die Mauern
Jerichos wurden umgeworfen, daß wir diese strohernen und papiernen Mauern
auch umblasen." Und nun greift er die erste Mauer an: "Man hat erfunden,
daß Papst, Bischöfe, Priester, Klostervolk werden der geistliche Stand genannt,
Fürsten, Herren, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand, welches eine
gar feine, gleißnerische Erdichtung ist; doch soll niemand dadurch sich ein¬
schüchtern lassen, und das aus dem Grunde: denn alle Christen sind wahrhaft
geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied, denn des Amtes halben
allein." Wenn es keinen besondern geistlichen Stand giebt, so hat, "was wider
Gott ist und den Menschen schädlich an Leib und Seele, nicht allein eine jeg¬
liche Gemeinde, Rat oder Obrigkeit Gewalt abzuthun und zu wehren, ohne
Wissen und Willen des Papstes oder Bischofs, sondern ist auch schuldig, bei
seiner Seelen Seligkeit dasselbe zu wehren, ob es gleich Papst oder Bischof
nicht wollte." Man kann gar nicht stärker die Abhängigkeit aller kirchlichen
Einrichtungen von dem öffentlichen weltlichen Wesen aussprechen, als es hier
geschieht. Wenn dabei auch Luther sagt, daß Papst und Bischöfe hätten die
ersten sein sollen, die dem Schaden wehreten, so war dasselbe in Luthers Augen
eben nur ihre Schuldigkeit um des geistlichen Amtes willen, das ihnen aufge¬
tragen war, uicht weil dieses Amt etwas von Staat und Gemeinde Unab¬
hängiges und Selbständiges wäre. Dagegen wehrt sich Luther vielmehr mit
aller Kraft, und weil er weiß, daß der Papst sich nie auf diesen Standpunkt
stellen wird, so verzichtet er auf jeden Vertrag mit Rom: "Es ist noch nie
Gutes und wird nimmer mehr aus dem Papsttum und seinen Gesetzen kommen."

Hier liegt das Grundsätzliche in Luthers Reform gegenüber der versuchten
Reform der drei großen Konzile in dem Jahrhundert vor ihm. Er machte
damit der Rechtsanschauung des Mittelalters, dem Dualismus, ein Ende und
steht darum an der Spitze der neuen Zeit. "Drum sollte ein Priesterstand
nichts andres sein in der Christenheit, denn als ein Amtmann ^staatlicher Dieners
dieweil ^so lange) er im Amte ist, geht er vor, wird er aber abgesetzt, ist er


Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Airche.

damit untergraben, daß Luther das Recht der Gemeinde, d. h. auf dem Gebiete
des Glaubens, das Recht der freien christlichen Persönlichkeit zur Geltung
brachte. Gegenüber der christlich gläubigen und in solchem Glauben freien Per¬
sönlichkeit fallen alle Rechte der Hierarchie und diese selbst. Wie der Glaube
allein vor Gott rechtfertigt, so hat auch nur die Kirche des Glaubens, die Ge¬
meinde der Gläubigen, ein Recht zu bestehen. Und dieses Recht zur Geltung
zu bringen, d. h. die Kirche zu regieren, was um der Ordnung willen geschehen
muß, das ist Sache der weltlichen Obrigkeit, die die Ordnung auf Erden zu
wahren hat. Das lehrt das Buch „An den christlichen Adel deutscher Nation
von des christlichen Standes Besserung" auf jeder Seite. Luther redet da von
den drei Mauern der Romanisten; zum ersten hätten sie gesetzt und gesagt:
weltliche Gewalt habe nicht Recht über sie und geistliche sei über die weltliche;
„nun helf' uns Gott und geb' uns der Posaunen eine, damit die Mauern
Jerichos wurden umgeworfen, daß wir diese strohernen und papiernen Mauern
auch umblasen." Und nun greift er die erste Mauer an: „Man hat erfunden,
daß Papst, Bischöfe, Priester, Klostervolk werden der geistliche Stand genannt,
Fürsten, Herren, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand, welches eine
gar feine, gleißnerische Erdichtung ist; doch soll niemand dadurch sich ein¬
schüchtern lassen, und das aus dem Grunde: denn alle Christen sind wahrhaft
geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied, denn des Amtes halben
allein." Wenn es keinen besondern geistlichen Stand giebt, so hat, „was wider
Gott ist und den Menschen schädlich an Leib und Seele, nicht allein eine jeg¬
liche Gemeinde, Rat oder Obrigkeit Gewalt abzuthun und zu wehren, ohne
Wissen und Willen des Papstes oder Bischofs, sondern ist auch schuldig, bei
seiner Seelen Seligkeit dasselbe zu wehren, ob es gleich Papst oder Bischof
nicht wollte." Man kann gar nicht stärker die Abhängigkeit aller kirchlichen
Einrichtungen von dem öffentlichen weltlichen Wesen aussprechen, als es hier
geschieht. Wenn dabei auch Luther sagt, daß Papst und Bischöfe hätten die
ersten sein sollen, die dem Schaden wehreten, so war dasselbe in Luthers Augen
eben nur ihre Schuldigkeit um des geistlichen Amtes willen, das ihnen aufge¬
tragen war, uicht weil dieses Amt etwas von Staat und Gemeinde Unab¬
hängiges und Selbständiges wäre. Dagegen wehrt sich Luther vielmehr mit
aller Kraft, und weil er weiß, daß der Papst sich nie auf diesen Standpunkt
stellen wird, so verzichtet er auf jeden Vertrag mit Rom: „Es ist noch nie
Gutes und wird nimmer mehr aus dem Papsttum und seinen Gesetzen kommen."

Hier liegt das Grundsätzliche in Luthers Reform gegenüber der versuchten
Reform der drei großen Konzile in dem Jahrhundert vor ihm. Er machte
damit der Rechtsanschauung des Mittelalters, dem Dualismus, ein Ende und
steht darum an der Spitze der neuen Zeit. „Drum sollte ein Priesterstand
nichts andres sein in der Christenheit, denn als ein Amtmann ^staatlicher Dieners
dieweil ^so lange) er im Amte ist, geht er vor, wird er aber abgesetzt, ist er


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[0072] Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Airche. damit untergraben, daß Luther das Recht der Gemeinde, d. h. auf dem Gebiete des Glaubens, das Recht der freien christlichen Persönlichkeit zur Geltung brachte. Gegenüber der christlich gläubigen und in solchem Glauben freien Per¬ sönlichkeit fallen alle Rechte der Hierarchie und diese selbst. Wie der Glaube allein vor Gott rechtfertigt, so hat auch nur die Kirche des Glaubens, die Ge¬ meinde der Gläubigen, ein Recht zu bestehen. Und dieses Recht zur Geltung zu bringen, d. h. die Kirche zu regieren, was um der Ordnung willen geschehen muß, das ist Sache der weltlichen Obrigkeit, die die Ordnung auf Erden zu wahren hat. Das lehrt das Buch „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung" auf jeder Seite. Luther redet da von den drei Mauern der Romanisten; zum ersten hätten sie gesetzt und gesagt: weltliche Gewalt habe nicht Recht über sie und geistliche sei über die weltliche; „nun helf' uns Gott und geb' uns der Posaunen eine, damit die Mauern Jerichos wurden umgeworfen, daß wir diese strohernen und papiernen Mauern auch umblasen." Und nun greift er die erste Mauer an: „Man hat erfunden, daß Papst, Bischöfe, Priester, Klostervolk werden der geistliche Stand genannt, Fürsten, Herren, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand, welches eine gar feine, gleißnerische Erdichtung ist; doch soll niemand dadurch sich ein¬ schüchtern lassen, und das aus dem Grunde: denn alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied, denn des Amtes halben allein." Wenn es keinen besondern geistlichen Stand giebt, so hat, „was wider Gott ist und den Menschen schädlich an Leib und Seele, nicht allein eine jeg¬ liche Gemeinde, Rat oder Obrigkeit Gewalt abzuthun und zu wehren, ohne Wissen und Willen des Papstes oder Bischofs, sondern ist auch schuldig, bei seiner Seelen Seligkeit dasselbe zu wehren, ob es gleich Papst oder Bischof nicht wollte." Man kann gar nicht stärker die Abhängigkeit aller kirchlichen Einrichtungen von dem öffentlichen weltlichen Wesen aussprechen, als es hier geschieht. Wenn dabei auch Luther sagt, daß Papst und Bischöfe hätten die ersten sein sollen, die dem Schaden wehreten, so war dasselbe in Luthers Augen eben nur ihre Schuldigkeit um des geistlichen Amtes willen, das ihnen aufge¬ tragen war, uicht weil dieses Amt etwas von Staat und Gemeinde Unab¬ hängiges und Selbständiges wäre. Dagegen wehrt sich Luther vielmehr mit aller Kraft, und weil er weiß, daß der Papst sich nie auf diesen Standpunkt stellen wird, so verzichtet er auf jeden Vertrag mit Rom: „Es ist noch nie Gutes und wird nimmer mehr aus dem Papsttum und seinen Gesetzen kommen." Hier liegt das Grundsätzliche in Luthers Reform gegenüber der versuchten Reform der drei großen Konzile in dem Jahrhundert vor ihm. Er machte damit der Rechtsanschauung des Mittelalters, dem Dualismus, ein Ende und steht darum an der Spitze der neuen Zeit. „Drum sollte ein Priesterstand nichts andres sein in der Christenheit, denn als ein Amtmann ^staatlicher Dieners dieweil ^so lange) er im Amte ist, geht er vor, wird er aber abgesetzt, ist er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/72>, abgerufen am 28.09.2024.