Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Verkehr mit jvcin,

Immerhin bleibt aber mich nach Annahme der Vorlage noch viel zu thun
übrig. Die wirtschaftliche Seite der Frage bleibt ganz ungelöst, insbesondre
wird nicht entschieden, ob im Sinne des Nahrungsmittelgesetzes wirklich, wie
durch die Rechtsprechung der Gerichte geschehen ist, eine rationelle, bei der ersten
Gährung vorgenommene Weiiwerbesserung, welche sich wesentlich und leicht er¬
kennbar von der Kunstweinfabrikation unterscheidet, mit der letztern auf gleiche
Linie vermittelst des Dcklarationszwcmges gestellt werden soll. Auch die Frage,
ob der sogenannte Kunstwein, d. h. das Fabrikat von Wein auf kaltem Wege
unter Verwendung von Säuren, Baryt, ganz zu verbieten sei oder nicht, wird
nicht gelöst. Während in der letztern Frage ziemlich Einstimmigkeit in der Rich¬
tung herrscht, daß die sogenannte Knnstweinfabrikation ganz zu verbieten sei,
gehen in der ersten Frage, wie schon mehrfach erwähnt, die Meinungen weit
auseinander. Namentlich die Konsumenten beharren bei der strengern Auf¬
fassung, wollen unter "Wein" nur reinen Naturwein ohne jeglichen Zusatz
verstanden wissen und verlangen, daß jedes andre Getränk, enthalte es auch
einen noch so unschädlichen Zusatz, mit einem unterscheidenden Namen belegt
werde. Dagegen sind bei weitem die meisten Weinbauer und Weinhändler andrer
Ansicht. Interessant sind in dieser Beziehung die Ausführungen eines Schriftchens
des Oberlandesgerichtspräsidenten Görz in Darmstadt, das kürzlich erschienen ist
und die Weiufrage, namentlich die Verbesserung des Weines durch Gallisireu
behandelt. Der Verfasser ist selbst Weingutsbesitzer und Produzent. Er glaubt
nicht, daß die Zulässigkeit der Verbesserung an sich einem Bedenken unterliegen
könne. Die Traube, so edel sie in den besten Jahren ausreife, erscheine in unserm
Klima in geringern Jahren als ein unreifes Produkt, dessen Genuß dem Gaumen
nicht besage und der Gesundheit schädlich sei; dasselbe gelte natürlich auch von dem
davon gewonnenen Weine, und es erscheine selbstverständlich, daß man ihm, um
ihn genießbar zu machen, die überschüssige Säure nehme und die fehlende Süße
ergänze. Er selbst habe bis zum Jahre 1884 darauf gehalten, seinen Abnehmern
nur reinen Naturwein anzubieten, habe aber solche Erfahrungen gemacht (nament¬
lich mit den Jahrgängen 1881 bis 1884), daß er, wollte er sich nicht namhaften
Verlusten aussetzen, sich sehr ungern zum Gallisiren entschlossen habe. Schon
der 1885er, an sich weit geringer als der 1884er, habe gallisirt den 1884er
an Wohlgeschmack, Feinheit und Blume übertroffen, ein gleiches könne er von
dem 1887er sagen, der durch die erste Währung gegangen sei. Der Verfasser
wendet sich dann gegen die, welche den, gallisirten Weine den Namen "Wein"
absprechen wollen. Es sei das nicht dem Sprachgebrauch gemäß, denn es ließe
sich in der That nicht absehen, wie man vernünftigerweise einem Produkt,
das in Geschmack und Wirkung dem Weine vollkommen gleich sei, das niemand
von dem Naturweine unterscheiden könne, diesen Namen versagen wollte. Schlie߬
lich faßt er seine Ansicht dahin zusammen, daß er sagt, es möchte gestattet
werden, Weine durch Zusatz von reinem Zucker und Wasser zu verbessern, ohne


Der Verkehr mit jvcin,

Immerhin bleibt aber mich nach Annahme der Vorlage noch viel zu thun
übrig. Die wirtschaftliche Seite der Frage bleibt ganz ungelöst, insbesondre
wird nicht entschieden, ob im Sinne des Nahrungsmittelgesetzes wirklich, wie
durch die Rechtsprechung der Gerichte geschehen ist, eine rationelle, bei der ersten
Gährung vorgenommene Weiiwerbesserung, welche sich wesentlich und leicht er¬
kennbar von der Kunstweinfabrikation unterscheidet, mit der letztern auf gleiche
Linie vermittelst des Dcklarationszwcmges gestellt werden soll. Auch die Frage,
ob der sogenannte Kunstwein, d. h. das Fabrikat von Wein auf kaltem Wege
unter Verwendung von Säuren, Baryt, ganz zu verbieten sei oder nicht, wird
nicht gelöst. Während in der letztern Frage ziemlich Einstimmigkeit in der Rich¬
tung herrscht, daß die sogenannte Knnstweinfabrikation ganz zu verbieten sei,
gehen in der ersten Frage, wie schon mehrfach erwähnt, die Meinungen weit
auseinander. Namentlich die Konsumenten beharren bei der strengern Auf¬
fassung, wollen unter „Wein" nur reinen Naturwein ohne jeglichen Zusatz
verstanden wissen und verlangen, daß jedes andre Getränk, enthalte es auch
einen noch so unschädlichen Zusatz, mit einem unterscheidenden Namen belegt
werde. Dagegen sind bei weitem die meisten Weinbauer und Weinhändler andrer
Ansicht. Interessant sind in dieser Beziehung die Ausführungen eines Schriftchens
des Oberlandesgerichtspräsidenten Görz in Darmstadt, das kürzlich erschienen ist
und die Weiufrage, namentlich die Verbesserung des Weines durch Gallisireu
behandelt. Der Verfasser ist selbst Weingutsbesitzer und Produzent. Er glaubt
nicht, daß die Zulässigkeit der Verbesserung an sich einem Bedenken unterliegen
könne. Die Traube, so edel sie in den besten Jahren ausreife, erscheine in unserm
Klima in geringern Jahren als ein unreifes Produkt, dessen Genuß dem Gaumen
nicht besage und der Gesundheit schädlich sei; dasselbe gelte natürlich auch von dem
davon gewonnenen Weine, und es erscheine selbstverständlich, daß man ihm, um
ihn genießbar zu machen, die überschüssige Säure nehme und die fehlende Süße
ergänze. Er selbst habe bis zum Jahre 1884 darauf gehalten, seinen Abnehmern
nur reinen Naturwein anzubieten, habe aber solche Erfahrungen gemacht (nament¬
lich mit den Jahrgängen 1881 bis 1884), daß er, wollte er sich nicht namhaften
Verlusten aussetzen, sich sehr ungern zum Gallisiren entschlossen habe. Schon
der 1885er, an sich weit geringer als der 1884er, habe gallisirt den 1884er
an Wohlgeschmack, Feinheit und Blume übertroffen, ein gleiches könne er von
dem 1887er sagen, der durch die erste Währung gegangen sei. Der Verfasser
wendet sich dann gegen die, welche den, gallisirten Weine den Namen „Wein"
absprechen wollen. Es sei das nicht dem Sprachgebrauch gemäß, denn es ließe
sich in der That nicht absehen, wie man vernünftigerweise einem Produkt,
das in Geschmack und Wirkung dem Weine vollkommen gleich sei, das niemand
von dem Naturweine unterscheiden könne, diesen Namen versagen wollte. Schlie߬
lich faßt er seine Ansicht dahin zusammen, daß er sagt, es möchte gestattet
werden, Weine durch Zusatz von reinem Zucker und Wasser zu verbessern, ohne


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0667" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202766"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Verkehr mit jvcin,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2325" next="#ID_2326"> Immerhin bleibt aber mich nach Annahme der Vorlage noch viel zu thun<lb/>
übrig.  Die wirtschaftliche Seite der Frage bleibt ganz ungelöst, insbesondre<lb/>
wird nicht entschieden, ob im Sinne des Nahrungsmittelgesetzes wirklich, wie<lb/>
durch die Rechtsprechung der Gerichte geschehen ist, eine rationelle, bei der ersten<lb/>
Gährung vorgenommene Weiiwerbesserung, welche sich wesentlich und leicht er¬<lb/>
kennbar von der Kunstweinfabrikation unterscheidet, mit der letztern auf gleiche<lb/>
Linie vermittelst des Dcklarationszwcmges gestellt werden soll. Auch die Frage,<lb/>
ob der sogenannte Kunstwein, d. h. das Fabrikat von Wein auf kaltem Wege<lb/>
unter Verwendung von Säuren, Baryt, ganz zu verbieten sei oder nicht, wird<lb/>
nicht gelöst. Während in der letztern Frage ziemlich Einstimmigkeit in der Rich¬<lb/>
tung herrscht, daß die sogenannte Knnstweinfabrikation ganz zu verbieten sei,<lb/>
gehen in der ersten Frage, wie schon mehrfach erwähnt, die Meinungen weit<lb/>
auseinander.  Namentlich die Konsumenten beharren bei der strengern Auf¬<lb/>
fassung, wollen unter &#x201E;Wein" nur reinen Naturwein ohne jeglichen Zusatz<lb/>
verstanden wissen und verlangen, daß jedes andre Getränk, enthalte es auch<lb/>
einen noch so unschädlichen Zusatz, mit einem unterscheidenden Namen belegt<lb/>
werde. Dagegen sind bei weitem die meisten Weinbauer und Weinhändler andrer<lb/>
Ansicht. Interessant sind in dieser Beziehung die Ausführungen eines Schriftchens<lb/>
des Oberlandesgerichtspräsidenten Görz in Darmstadt, das kürzlich erschienen ist<lb/>
und die Weiufrage, namentlich die Verbesserung des Weines durch Gallisireu<lb/>
behandelt. Der Verfasser ist selbst Weingutsbesitzer und Produzent. Er glaubt<lb/>
nicht, daß die Zulässigkeit der Verbesserung an sich einem Bedenken unterliegen<lb/>
könne. Die Traube, so edel sie in den besten Jahren ausreife, erscheine in unserm<lb/>
Klima in geringern Jahren als ein unreifes Produkt, dessen Genuß dem Gaumen<lb/>
nicht besage und der Gesundheit schädlich sei; dasselbe gelte natürlich auch von dem<lb/>
davon gewonnenen Weine, und es erscheine selbstverständlich, daß man ihm, um<lb/>
ihn genießbar zu machen, die überschüssige Säure nehme und die fehlende Süße<lb/>
ergänze. Er selbst habe bis zum Jahre 1884 darauf gehalten, seinen Abnehmern<lb/>
nur reinen Naturwein anzubieten, habe aber solche Erfahrungen gemacht (nament¬<lb/>
lich mit den Jahrgängen 1881 bis 1884), daß er, wollte er sich nicht namhaften<lb/>
Verlusten aussetzen, sich sehr ungern zum Gallisiren entschlossen habe. Schon<lb/>
der 1885er, an sich weit geringer als der 1884er, habe gallisirt den 1884er<lb/>
an Wohlgeschmack, Feinheit und Blume übertroffen, ein gleiches könne er von<lb/>
dem 1887er sagen, der durch die erste Währung gegangen sei.  Der Verfasser<lb/>
wendet sich dann gegen die, welche den, gallisirten Weine den Namen &#x201E;Wein"<lb/>
absprechen wollen. Es sei das nicht dem Sprachgebrauch gemäß, denn es ließe<lb/>
sich in der That nicht absehen, wie man vernünftigerweise einem Produkt,<lb/>
das in Geschmack und Wirkung dem Weine vollkommen gleich sei, das niemand<lb/>
von dem Naturweine unterscheiden könne, diesen Namen versagen wollte. Schlie߬<lb/>
lich faßt er seine Ansicht dahin zusammen, daß er sagt, es möchte gestattet<lb/>
werden, Weine durch Zusatz von reinem Zucker und Wasser zu verbessern, ohne</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0667] Der Verkehr mit jvcin, Immerhin bleibt aber mich nach Annahme der Vorlage noch viel zu thun übrig. Die wirtschaftliche Seite der Frage bleibt ganz ungelöst, insbesondre wird nicht entschieden, ob im Sinne des Nahrungsmittelgesetzes wirklich, wie durch die Rechtsprechung der Gerichte geschehen ist, eine rationelle, bei der ersten Gährung vorgenommene Weiiwerbesserung, welche sich wesentlich und leicht er¬ kennbar von der Kunstweinfabrikation unterscheidet, mit der letztern auf gleiche Linie vermittelst des Dcklarationszwcmges gestellt werden soll. Auch die Frage, ob der sogenannte Kunstwein, d. h. das Fabrikat von Wein auf kaltem Wege unter Verwendung von Säuren, Baryt, ganz zu verbieten sei oder nicht, wird nicht gelöst. Während in der letztern Frage ziemlich Einstimmigkeit in der Rich¬ tung herrscht, daß die sogenannte Knnstweinfabrikation ganz zu verbieten sei, gehen in der ersten Frage, wie schon mehrfach erwähnt, die Meinungen weit auseinander. Namentlich die Konsumenten beharren bei der strengern Auf¬ fassung, wollen unter „Wein" nur reinen Naturwein ohne jeglichen Zusatz verstanden wissen und verlangen, daß jedes andre Getränk, enthalte es auch einen noch so unschädlichen Zusatz, mit einem unterscheidenden Namen belegt werde. Dagegen sind bei weitem die meisten Weinbauer und Weinhändler andrer Ansicht. Interessant sind in dieser Beziehung die Ausführungen eines Schriftchens des Oberlandesgerichtspräsidenten Görz in Darmstadt, das kürzlich erschienen ist und die Weiufrage, namentlich die Verbesserung des Weines durch Gallisireu behandelt. Der Verfasser ist selbst Weingutsbesitzer und Produzent. Er glaubt nicht, daß die Zulässigkeit der Verbesserung an sich einem Bedenken unterliegen könne. Die Traube, so edel sie in den besten Jahren ausreife, erscheine in unserm Klima in geringern Jahren als ein unreifes Produkt, dessen Genuß dem Gaumen nicht besage und der Gesundheit schädlich sei; dasselbe gelte natürlich auch von dem davon gewonnenen Weine, und es erscheine selbstverständlich, daß man ihm, um ihn genießbar zu machen, die überschüssige Säure nehme und die fehlende Süße ergänze. Er selbst habe bis zum Jahre 1884 darauf gehalten, seinen Abnehmern nur reinen Naturwein anzubieten, habe aber solche Erfahrungen gemacht (nament¬ lich mit den Jahrgängen 1881 bis 1884), daß er, wollte er sich nicht namhaften Verlusten aussetzen, sich sehr ungern zum Gallisiren entschlossen habe. Schon der 1885er, an sich weit geringer als der 1884er, habe gallisirt den 1884er an Wohlgeschmack, Feinheit und Blume übertroffen, ein gleiches könne er von dem 1887er sagen, der durch die erste Währung gegangen sei. Der Verfasser wendet sich dann gegen die, welche den, gallisirten Weine den Namen „Wein" absprechen wollen. Es sei das nicht dem Sprachgebrauch gemäß, denn es ließe sich in der That nicht absehen, wie man vernünftigerweise einem Produkt, das in Geschmack und Wirkung dem Weine vollkommen gleich sei, das niemand von dem Naturweine unterscheiden könne, diesen Namen versagen wollte. Schlie߬ lich faßt er seine Ansicht dahin zusammen, daß er sagt, es möchte gestattet werden, Weine durch Zusatz von reinem Zucker und Wasser zu verbessern, ohne

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/667
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/667>, abgerufen am 27.06.2024.