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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Von diesem Gesichtspunkte geleitet, veröffentlichte schon Winckelmann seine
Nonumcmti inväiti al ÄntiotridÄ, ein reich, mit mehr als zweihundert Kupfer¬
stichen, ausgestattetes Werk. Die Zahl der Werke, die von dem gleichen Be¬
streben ausgingen, bei einer übersichtlichen Gruppirung des Stoffes eine möglichst
große Vollständigkeit der charakteristischsten kunstgeschichtlichen und typischen Werke
zu verfolgen, ist nicht gering, wenn sie auch in ihrer Bedeutung, wie wir sie heute
beurteilen, nicht mehr berechtigten Anforderungen geniigen. Denn bei allen, selbst
bei der vorzüglichen Sammlung, die Clarac in seinem Nusvo as svulpturs ver¬
anstaltete, empfindet man denselben Mangel, dieselbe Unzulänglichkeit: es ist die
Art und Weise des Vervietfältignngsverfahrens. Einmal in der Kleinheit der
abgebildeten Bildwerke und in der fast durchgehends beobachteten Wiedergabe in
Umrißzeichnungen, die wohl im großen und ganzen das Kunstwerk in seiner Er¬
scheinung dem Beobachter vor Angen rücken können, niemals aber ein Ver¬
ständnis und eine Würdigung der Formen, der kleinen Einzelheiten, welche der
Künstler in beabsichtigter, weil den Charakter des Werkes näher bestimmender
Durchführung erstrebt hat.

Das zweite, wie uns dünkt, schwerere Bedenken knüpft sich an die Verviel¬
fältigung durch Kttnstlerhand. Früher empfand man das nicht, weil man aus¬
schließlich auf die Hilfe des Zeichners, des Künstlers angewiesen war, weil man
Kunstwerke nur in Schnitten und Stichen zu vervielfältigen wußte. Aber gerade
der beste Künstler ist am meisten der Gefahr ausgesetzt, subjektiv zu werden,
seine eigne Sprache zu reden, anstatt die, welche das Kunstwerk spricht. Und
selbst unter dem Beirate des wissenschaftlichen Forschers, der ihn auf die haupt¬
sächlich zu beobachtenden stilistischen Gesichtspunkte hinweist, wird er nur
allenfalls der Anforderung des Einzelnen, nur dem jeweiligen Standpunkte der
wissenschaftlichen Betrachtung genügen. Da bedeutet denn die Erfindung der
Photographie und der von ihr abhängigen und mit ihr verwandten Verviel-
fältignngsarten für die Kunstwissenschaft einen entscheidenden Wendepunkt.
Durch sie ist die Wiedergabe von Bildwerken von aller subjektiven Empfindung
der Formen losgelöst und nur auf die mechanische Arbeit des Apparates be¬
schränkt.

Eine Sammlung der verschiednen Denkmälerklassen der alten Kunst in ab¬
geschlossenen Sonderpublikatiouen ist das Ziel der jetzigen wissenschaftlichen
Arbeit. Wandgemälde, Vasenbilder, Spiegel, Terrakotten und Sarkophage sind
oder werden in mustergiltiger Weise veröffentlicht. Nur der Mangel eines den
modernen Anforderungen entsprechenden Oorxus stawarunr, in weiterer Um¬
grenzung einer Sammlung der Werke der griechischen und römischen Plastik
wird schmerzlich vermißt. Für eine derartige, für die Anschauung sowohl wie
für das historische Studium der Bildwerke bestimmte Sammlung die gesamten
Fortschritte der Technik zu verwerten, war, sobald die Leitung des Unternehmens
in einer wissenschaftlich bewährten Hand ruhte, eine überaus dankbare Aufgabe.


Von diesem Gesichtspunkte geleitet, veröffentlichte schon Winckelmann seine
Nonumcmti inväiti al ÄntiotridÄ, ein reich, mit mehr als zweihundert Kupfer¬
stichen, ausgestattetes Werk. Die Zahl der Werke, die von dem gleichen Be¬
streben ausgingen, bei einer übersichtlichen Gruppirung des Stoffes eine möglichst
große Vollständigkeit der charakteristischsten kunstgeschichtlichen und typischen Werke
zu verfolgen, ist nicht gering, wenn sie auch in ihrer Bedeutung, wie wir sie heute
beurteilen, nicht mehr berechtigten Anforderungen geniigen. Denn bei allen, selbst
bei der vorzüglichen Sammlung, die Clarac in seinem Nusvo as svulpturs ver¬
anstaltete, empfindet man denselben Mangel, dieselbe Unzulänglichkeit: es ist die
Art und Weise des Vervietfältignngsverfahrens. Einmal in der Kleinheit der
abgebildeten Bildwerke und in der fast durchgehends beobachteten Wiedergabe in
Umrißzeichnungen, die wohl im großen und ganzen das Kunstwerk in seiner Er¬
scheinung dem Beobachter vor Angen rücken können, niemals aber ein Ver¬
ständnis und eine Würdigung der Formen, der kleinen Einzelheiten, welche der
Künstler in beabsichtigter, weil den Charakter des Werkes näher bestimmender
Durchführung erstrebt hat.

Das zweite, wie uns dünkt, schwerere Bedenken knüpft sich an die Verviel¬
fältigung durch Kttnstlerhand. Früher empfand man das nicht, weil man aus¬
schließlich auf die Hilfe des Zeichners, des Künstlers angewiesen war, weil man
Kunstwerke nur in Schnitten und Stichen zu vervielfältigen wußte. Aber gerade
der beste Künstler ist am meisten der Gefahr ausgesetzt, subjektiv zu werden,
seine eigne Sprache zu reden, anstatt die, welche das Kunstwerk spricht. Und
selbst unter dem Beirate des wissenschaftlichen Forschers, der ihn auf die haupt¬
sächlich zu beobachtenden stilistischen Gesichtspunkte hinweist, wird er nur
allenfalls der Anforderung des Einzelnen, nur dem jeweiligen Standpunkte der
wissenschaftlichen Betrachtung genügen. Da bedeutet denn die Erfindung der
Photographie und der von ihr abhängigen und mit ihr verwandten Verviel-
fältignngsarten für die Kunstwissenschaft einen entscheidenden Wendepunkt.
Durch sie ist die Wiedergabe von Bildwerken von aller subjektiven Empfindung
der Formen losgelöst und nur auf die mechanische Arbeit des Apparates be¬
schränkt.

Eine Sammlung der verschiednen Denkmälerklassen der alten Kunst in ab¬
geschlossenen Sonderpublikatiouen ist das Ziel der jetzigen wissenschaftlichen
Arbeit. Wandgemälde, Vasenbilder, Spiegel, Terrakotten und Sarkophage sind
oder werden in mustergiltiger Weise veröffentlicht. Nur der Mangel eines den
modernen Anforderungen entsprechenden Oorxus stawarunr, in weiterer Um¬
grenzung einer Sammlung der Werke der griechischen und römischen Plastik
wird schmerzlich vermißt. Für eine derartige, für die Anschauung sowohl wie
für das historische Studium der Bildwerke bestimmte Sammlung die gesamten
Fortschritte der Technik zu verwerten, war, sobald die Leitung des Unternehmens
in einer wissenschaftlich bewährten Hand ruhte, eine überaus dankbare Aufgabe.


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[0656] Von diesem Gesichtspunkte geleitet, veröffentlichte schon Winckelmann seine Nonumcmti inväiti al ÄntiotridÄ, ein reich, mit mehr als zweihundert Kupfer¬ stichen, ausgestattetes Werk. Die Zahl der Werke, die von dem gleichen Be¬ streben ausgingen, bei einer übersichtlichen Gruppirung des Stoffes eine möglichst große Vollständigkeit der charakteristischsten kunstgeschichtlichen und typischen Werke zu verfolgen, ist nicht gering, wenn sie auch in ihrer Bedeutung, wie wir sie heute beurteilen, nicht mehr berechtigten Anforderungen geniigen. Denn bei allen, selbst bei der vorzüglichen Sammlung, die Clarac in seinem Nusvo as svulpturs ver¬ anstaltete, empfindet man denselben Mangel, dieselbe Unzulänglichkeit: es ist die Art und Weise des Vervietfältignngsverfahrens. Einmal in der Kleinheit der abgebildeten Bildwerke und in der fast durchgehends beobachteten Wiedergabe in Umrißzeichnungen, die wohl im großen und ganzen das Kunstwerk in seiner Er¬ scheinung dem Beobachter vor Angen rücken können, niemals aber ein Ver¬ ständnis und eine Würdigung der Formen, der kleinen Einzelheiten, welche der Künstler in beabsichtigter, weil den Charakter des Werkes näher bestimmender Durchführung erstrebt hat. Das zweite, wie uns dünkt, schwerere Bedenken knüpft sich an die Verviel¬ fältigung durch Kttnstlerhand. Früher empfand man das nicht, weil man aus¬ schließlich auf die Hilfe des Zeichners, des Künstlers angewiesen war, weil man Kunstwerke nur in Schnitten und Stichen zu vervielfältigen wußte. Aber gerade der beste Künstler ist am meisten der Gefahr ausgesetzt, subjektiv zu werden, seine eigne Sprache zu reden, anstatt die, welche das Kunstwerk spricht. Und selbst unter dem Beirate des wissenschaftlichen Forschers, der ihn auf die haupt¬ sächlich zu beobachtenden stilistischen Gesichtspunkte hinweist, wird er nur allenfalls der Anforderung des Einzelnen, nur dem jeweiligen Standpunkte der wissenschaftlichen Betrachtung genügen. Da bedeutet denn die Erfindung der Photographie und der von ihr abhängigen und mit ihr verwandten Verviel- fältignngsarten für die Kunstwissenschaft einen entscheidenden Wendepunkt. Durch sie ist die Wiedergabe von Bildwerken von aller subjektiven Empfindung der Formen losgelöst und nur auf die mechanische Arbeit des Apparates be¬ schränkt. Eine Sammlung der verschiednen Denkmälerklassen der alten Kunst in ab¬ geschlossenen Sonderpublikatiouen ist das Ziel der jetzigen wissenschaftlichen Arbeit. Wandgemälde, Vasenbilder, Spiegel, Terrakotten und Sarkophage sind oder werden in mustergiltiger Weise veröffentlicht. Nur der Mangel eines den modernen Anforderungen entsprechenden Oorxus stawarunr, in weiterer Um¬ grenzung einer Sammlung der Werke der griechischen und römischen Plastik wird schmerzlich vermißt. Für eine derartige, für die Anschauung sowohl wie für das historische Studium der Bildwerke bestimmte Sammlung die gesamten Fortschritte der Technik zu verwerten, war, sobald die Leitung des Unternehmens in einer wissenschaftlich bewährten Hand ruhte, eine überaus dankbare Aufgabe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/656>, abgerufen am 27.06.2024.