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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Ideen von ^739-

müßten -- Friedrich Wilhelm I. und sein großer Sohn hatten dies in Preußen
längst verwirklicht. Der große Zuchtmeister auf dem preußischen Throne gönnte
sich keine Ruhe, aber wahrlich seinem Adel auch nicht. Und wenn man die
Helden zählte, die unter Friedrich im Kampfe für das Bestehen des Staates ihr
Blut vergossen hatten, so ergab sich handgreiflich, daß die brandenburgischen und
pommerschen Adelsgeschlechter kein bequemes Schmarotzerdasein führten. Die
Bevorrechteten des hohen Adels aber, die geistlichen Fürsten, die reichsunmittel¬
baren Herren von Ländern in Duodez- und Sedezformat, sowie die Reichs¬
ritterschaft reizten viel mehr die Begehrlichkeit der größern Territvrialherren
als den Haß ihrer entweder sittlich entnervten oder gemütlich mit ihnen zu¬
sammenhausenden Unterthanen. Am Taubenschlage des heiligen römischen Reiches
lauerte der fürstliche Marder. Die deutschen Zustünde führten folgerichtig zu¬
nächst zu einer Fürstenrevolution. Als sie vollzogen ward, fragten Napoleon
und seine rheinbündischen Genossen wenig nach "Pufendorf und Feder."
Sie wußten: im Leben gilt der Stärke Recht. Und wenn das Vorgehen gegen
die Neichsrepubliken Aalen und Bopfingen, gegen lcmdrcgierende Pröbste, Äbte
und Ritterorden auch seine politisch und sittlich sehr berechtigte Seite hatte, so
war dem gewaltthätigen Friedrich von Württemberg an dieser sittlichen Be¬
gründung ebenso wenig gelegen als dem Bruder seines lustigen Tochtermanns
in Kassel. .

Einen unmittelbaren und bedeutenden Einfluß übten die revolutionären
Gedanken von 1789, die inzwischen ihre von allzu demokratischen Schlacken
geläuterte Ausbildung zur konstitutionellen Doktrin erfahren hatten, auf die
Anfänge des parlamentarischen Lebens in den Einzelstaaten des deutschen Bundes.
Bei näherer Betrachtung wird man aber auch hier finden, daß die den parla¬
mentarischen Bestrebungen wirklich zu Grunde liegende Denkweise keineswegs ans
Frankreich, sondern unmittelbar aus den heimischen Verhältnissen stammte und
daß es vorwiegend eben die Doktrin war, welche von der ausgebildetem der
Franzosen Nutzen zu ziehen suchte, nicht immer zu ihrem wirklichen Vorteil. Die
in der ersten Periode der Revolution herrschende Auffassungsweise vom Staat
hatte ihren bündigsten Ausdruck in drei Sätzen. Erstens: Der Staat ist
das Meisterstück der reflektirenden Vernunft. Diese Formulirung rührt von
Schopenhauer her, aber Montesquieu hatte gesagt: un dem gouvernöinsut est
1v eust' et'ceuvrö as l'esprit lmruain und meinte dasselbe. SietM aber macht
die Sache ganz deutlich durch die Vergleichung des Staates mit einer Maschine,
indem er sagt: "Niemals wird man den gesellschaftlichen Mechanismus begreifen,
wenn man sich nicht entschließt, eine bürgerliche Gesellschaft wie eine gewöhnliche
Maschine auseinander zu legen, jeden Teil davon einzeln zu betrachten und sie
hernach alle nacheinander im Verstände zusammenzufügen, um die Übereinstim-
mung davon zu fassen und die allgemeine Harmonie, welche daraus entstehen
soll, wahrzunehmen." Die mechanische Vorstellung von der Entstehung des


Die Ideen von ^739-

müßten — Friedrich Wilhelm I. und sein großer Sohn hatten dies in Preußen
längst verwirklicht. Der große Zuchtmeister auf dem preußischen Throne gönnte
sich keine Ruhe, aber wahrlich seinem Adel auch nicht. Und wenn man die
Helden zählte, die unter Friedrich im Kampfe für das Bestehen des Staates ihr
Blut vergossen hatten, so ergab sich handgreiflich, daß die brandenburgischen und
pommerschen Adelsgeschlechter kein bequemes Schmarotzerdasein führten. Die
Bevorrechteten des hohen Adels aber, die geistlichen Fürsten, die reichsunmittel¬
baren Herren von Ländern in Duodez- und Sedezformat, sowie die Reichs¬
ritterschaft reizten viel mehr die Begehrlichkeit der größern Territvrialherren
als den Haß ihrer entweder sittlich entnervten oder gemütlich mit ihnen zu¬
sammenhausenden Unterthanen. Am Taubenschlage des heiligen römischen Reiches
lauerte der fürstliche Marder. Die deutschen Zustünde führten folgerichtig zu¬
nächst zu einer Fürstenrevolution. Als sie vollzogen ward, fragten Napoleon
und seine rheinbündischen Genossen wenig nach „Pufendorf und Feder."
Sie wußten: im Leben gilt der Stärke Recht. Und wenn das Vorgehen gegen
die Neichsrepubliken Aalen und Bopfingen, gegen lcmdrcgierende Pröbste, Äbte
und Ritterorden auch seine politisch und sittlich sehr berechtigte Seite hatte, so
war dem gewaltthätigen Friedrich von Württemberg an dieser sittlichen Be¬
gründung ebenso wenig gelegen als dem Bruder seines lustigen Tochtermanns
in Kassel. .

Einen unmittelbaren und bedeutenden Einfluß übten die revolutionären
Gedanken von 1789, die inzwischen ihre von allzu demokratischen Schlacken
geläuterte Ausbildung zur konstitutionellen Doktrin erfahren hatten, auf die
Anfänge des parlamentarischen Lebens in den Einzelstaaten des deutschen Bundes.
Bei näherer Betrachtung wird man aber auch hier finden, daß die den parla¬
mentarischen Bestrebungen wirklich zu Grunde liegende Denkweise keineswegs ans
Frankreich, sondern unmittelbar aus den heimischen Verhältnissen stammte und
daß es vorwiegend eben die Doktrin war, welche von der ausgebildetem der
Franzosen Nutzen zu ziehen suchte, nicht immer zu ihrem wirklichen Vorteil. Die
in der ersten Periode der Revolution herrschende Auffassungsweise vom Staat
hatte ihren bündigsten Ausdruck in drei Sätzen. Erstens: Der Staat ist
das Meisterstück der reflektirenden Vernunft. Diese Formulirung rührt von
Schopenhauer her, aber Montesquieu hatte gesagt: un dem gouvernöinsut est
1v eust' et'ceuvrö as l'esprit lmruain und meinte dasselbe. SietM aber macht
die Sache ganz deutlich durch die Vergleichung des Staates mit einer Maschine,
indem er sagt: „Niemals wird man den gesellschaftlichen Mechanismus begreifen,
wenn man sich nicht entschließt, eine bürgerliche Gesellschaft wie eine gewöhnliche
Maschine auseinander zu legen, jeden Teil davon einzeln zu betrachten und sie
hernach alle nacheinander im Verstände zusammenzufügen, um die Übereinstim-
mung davon zu fassen und die allgemeine Harmonie, welche daraus entstehen
soll, wahrzunehmen." Die mechanische Vorstellung von der Entstehung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/639>, abgerufen am 28.09.2024.