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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

losen Berichte, Vorträge und Gutachten, mit denen ich zu jener Zeit so viele
Bogen anfüllen mußte. Und dennoch wurde von den meisten in der letztern
Seite meiner Thätigkeit allein eine würdige Lebensaufgabe erblickt, während sie
die andre eine Thorheit nannten." Beim Vergleiche seiner vorübergehenden
äußern mit den selbstgewählten innern Lebensaufgaben mag sich für Graf Schack
die Hochhaltung des Bleibenden im Völker- wie im Einzelleben, die große Wahr¬
heit verstärkt und vertieft haben, daß die Schöpfungen der Kunst die dauerndsten
aller irdischen Herrlichkeiten sind. Daneben besteht freilich eine andre ebenso
unbestreitbare Wahrheit: daß Wert und Wirkungskraft und Dauer der Kunst¬
schöpfungen doch von der Wärme, der überzeugenden Wahrheit, von jenem
Hauche abhängen, der nur aus der Hingebung des Dichters und Künst¬
lers an die Welt, seine Welt, seine Zeit, seine Gegenwart, an die Unmittel¬
barkeit des Lebens, in Dichtungen und Bilder, ja in die scheinbar unabhängigen
großen Werke der Musik überströmt. Der Philosoph, der Geschichtschreiber
mag bei seinen Leistungen an das Jahr 2000 und 3000 denken, der Dichter, der
Bildner wird immer dann am glücklichsten sein, wenn er für das lebende Geschlecht
schaffen oder höchstens vom Heute sich an das Morgen wenden kann. Und
insofern bedauern wir, daß Graf Schack dem Augenblicke, den ihn ein günstiges
Geschick von Grund aus genießen ließ, so wenig Gewicht beilegt. Bei Ge¬
legenheit seiner Jugenderlebnisse bemerkt er: "Es könnte niemand interessiren,
wenn ich hier der jungen Männer gedenken wollte, an die ich mich in Freund¬
schaft anschloß, oder der jungen Damen, für die wohl eine flüchtige Neigung
in mir erwachte, oder der edeln Frauen, denen ich mich nähern durfte. Sie
alle sind nun gealtert oder schon dahingegangen, ohne in weitern Kreisen eine
Erinnerung auf Erden zurückzulassen. Zwar bin ich der Meinung, daß manche
durch den Segen, den sie um sich verbreiten, durch die Wohlthaten, die sie
andern erweisen, durch die würdigen Gesinnungen, die sie solchen mitteilen, sich
größere Verdienste um die Menschheit erwerben, als andre, welche auf dem
lauten Markte eine sehr wenig verdiente Berühmtheit erlangen." Jeder Mensch
bon gesundem Empfinden wird gewiß diese Meinung des Grafen teilen, aber
warum die knappe Zurückhaltung, warum die fast ausschließliche Erwähnung von
Politikern, Gelehrten oderWünstlern?^ Der Dichter ist berufen, uns die wahren
Maßstäbe für menschlichen Wert und menschliche Vortrefflichkeit beständig zu
erneuern, und warum soll er, wenn er nicht dichtet, sondern Erinnerungen
schreibt, auf diese seine Eigenschaft als Dichter ganz verzichten? Wir zweifeln
ja nicht, daß das Blut jenes Lebens, dessen Graf Schack nicht gedenkt, die
Adern seiner Dichtung erfüllt, aber die "Erinnerungen" würden nicht darunter
gelitten haben, wenn auch in ihnen etwas von unberühmter Wirklichkeit zu
finden wäre.

Indes auch so. wie sie sind, verdienen Schacks Aufzeichnungen das leben¬
digste Interesse. Einen guten Teil des Buches nehmen neben den Neiseschildc-


Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

losen Berichte, Vorträge und Gutachten, mit denen ich zu jener Zeit so viele
Bogen anfüllen mußte. Und dennoch wurde von den meisten in der letztern
Seite meiner Thätigkeit allein eine würdige Lebensaufgabe erblickt, während sie
die andre eine Thorheit nannten." Beim Vergleiche seiner vorübergehenden
äußern mit den selbstgewählten innern Lebensaufgaben mag sich für Graf Schack
die Hochhaltung des Bleibenden im Völker- wie im Einzelleben, die große Wahr¬
heit verstärkt und vertieft haben, daß die Schöpfungen der Kunst die dauerndsten
aller irdischen Herrlichkeiten sind. Daneben besteht freilich eine andre ebenso
unbestreitbare Wahrheit: daß Wert und Wirkungskraft und Dauer der Kunst¬
schöpfungen doch von der Wärme, der überzeugenden Wahrheit, von jenem
Hauche abhängen, der nur aus der Hingebung des Dichters und Künst¬
lers an die Welt, seine Welt, seine Zeit, seine Gegenwart, an die Unmittel¬
barkeit des Lebens, in Dichtungen und Bilder, ja in die scheinbar unabhängigen
großen Werke der Musik überströmt. Der Philosoph, der Geschichtschreiber
mag bei seinen Leistungen an das Jahr 2000 und 3000 denken, der Dichter, der
Bildner wird immer dann am glücklichsten sein, wenn er für das lebende Geschlecht
schaffen oder höchstens vom Heute sich an das Morgen wenden kann. Und
insofern bedauern wir, daß Graf Schack dem Augenblicke, den ihn ein günstiges
Geschick von Grund aus genießen ließ, so wenig Gewicht beilegt. Bei Ge¬
legenheit seiner Jugenderlebnisse bemerkt er: „Es könnte niemand interessiren,
wenn ich hier der jungen Männer gedenken wollte, an die ich mich in Freund¬
schaft anschloß, oder der jungen Damen, für die wohl eine flüchtige Neigung
in mir erwachte, oder der edeln Frauen, denen ich mich nähern durfte. Sie
alle sind nun gealtert oder schon dahingegangen, ohne in weitern Kreisen eine
Erinnerung auf Erden zurückzulassen. Zwar bin ich der Meinung, daß manche
durch den Segen, den sie um sich verbreiten, durch die Wohlthaten, die sie
andern erweisen, durch die würdigen Gesinnungen, die sie solchen mitteilen, sich
größere Verdienste um die Menschheit erwerben, als andre, welche auf dem
lauten Markte eine sehr wenig verdiente Berühmtheit erlangen." Jeder Mensch
bon gesundem Empfinden wird gewiß diese Meinung des Grafen teilen, aber
warum die knappe Zurückhaltung, warum die fast ausschließliche Erwähnung von
Politikern, Gelehrten oderWünstlern?^ Der Dichter ist berufen, uns die wahren
Maßstäbe für menschlichen Wert und menschliche Vortrefflichkeit beständig zu
erneuern, und warum soll er, wenn er nicht dichtet, sondern Erinnerungen
schreibt, auf diese seine Eigenschaft als Dichter ganz verzichten? Wir zweifeln
ja nicht, daß das Blut jenes Lebens, dessen Graf Schack nicht gedenkt, die
Adern seiner Dichtung erfüllt, aber die „Erinnerungen" würden nicht darunter
gelitten haben, wenn auch in ihnen etwas von unberühmter Wirklichkeit zu
finden wäre.

Indes auch so. wie sie sind, verdienen Schacks Aufzeichnungen das leben¬
digste Interesse. Einen guten Teil des Buches nehmen neben den Neiseschildc-


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[0605] Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack. losen Berichte, Vorträge und Gutachten, mit denen ich zu jener Zeit so viele Bogen anfüllen mußte. Und dennoch wurde von den meisten in der letztern Seite meiner Thätigkeit allein eine würdige Lebensaufgabe erblickt, während sie die andre eine Thorheit nannten." Beim Vergleiche seiner vorübergehenden äußern mit den selbstgewählten innern Lebensaufgaben mag sich für Graf Schack die Hochhaltung des Bleibenden im Völker- wie im Einzelleben, die große Wahr¬ heit verstärkt und vertieft haben, daß die Schöpfungen der Kunst die dauerndsten aller irdischen Herrlichkeiten sind. Daneben besteht freilich eine andre ebenso unbestreitbare Wahrheit: daß Wert und Wirkungskraft und Dauer der Kunst¬ schöpfungen doch von der Wärme, der überzeugenden Wahrheit, von jenem Hauche abhängen, der nur aus der Hingebung des Dichters und Künst¬ lers an die Welt, seine Welt, seine Zeit, seine Gegenwart, an die Unmittel¬ barkeit des Lebens, in Dichtungen und Bilder, ja in die scheinbar unabhängigen großen Werke der Musik überströmt. Der Philosoph, der Geschichtschreiber mag bei seinen Leistungen an das Jahr 2000 und 3000 denken, der Dichter, der Bildner wird immer dann am glücklichsten sein, wenn er für das lebende Geschlecht schaffen oder höchstens vom Heute sich an das Morgen wenden kann. Und insofern bedauern wir, daß Graf Schack dem Augenblicke, den ihn ein günstiges Geschick von Grund aus genießen ließ, so wenig Gewicht beilegt. Bei Ge¬ legenheit seiner Jugenderlebnisse bemerkt er: „Es könnte niemand interessiren, wenn ich hier der jungen Männer gedenken wollte, an die ich mich in Freund¬ schaft anschloß, oder der jungen Damen, für die wohl eine flüchtige Neigung in mir erwachte, oder der edeln Frauen, denen ich mich nähern durfte. Sie alle sind nun gealtert oder schon dahingegangen, ohne in weitern Kreisen eine Erinnerung auf Erden zurückzulassen. Zwar bin ich der Meinung, daß manche durch den Segen, den sie um sich verbreiten, durch die Wohlthaten, die sie andern erweisen, durch die würdigen Gesinnungen, die sie solchen mitteilen, sich größere Verdienste um die Menschheit erwerben, als andre, welche auf dem lauten Markte eine sehr wenig verdiente Berühmtheit erlangen." Jeder Mensch bon gesundem Empfinden wird gewiß diese Meinung des Grafen teilen, aber warum die knappe Zurückhaltung, warum die fast ausschließliche Erwähnung von Politikern, Gelehrten oderWünstlern?^ Der Dichter ist berufen, uns die wahren Maßstäbe für menschlichen Wert und menschliche Vortrefflichkeit beständig zu erneuern, und warum soll er, wenn er nicht dichtet, sondern Erinnerungen schreibt, auf diese seine Eigenschaft als Dichter ganz verzichten? Wir zweifeln ja nicht, daß das Blut jenes Lebens, dessen Graf Schack nicht gedenkt, die Adern seiner Dichtung erfüllt, aber die „Erinnerungen" würden nicht darunter gelitten haben, wenn auch in ihnen etwas von unberühmter Wirklichkeit zu finden wäre. Indes auch so. wie sie sind, verdienen Schacks Aufzeichnungen das leben¬ digste Interesse. Einen guten Teil des Buches nehmen neben den Neiseschildc-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/605>, abgerufen am 21.06.2024.