Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack. begnüge. Der Schriftsteller vergißt, daß es wesentlich nur auf sein eignes Graf Schack ist seit seinen Jugendtagen von der großen und unwiderlegbaren Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack. begnüge. Der Schriftsteller vergißt, daß es wesentlich nur auf sein eignes Graf Schack ist seit seinen Jugendtagen von der großen und unwiderlegbaren <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0604" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202703"/> <fw type="header" place="top"> Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2175" prev="#ID_2174"> begnüge. Der Schriftsteller vergißt, daß es wesentlich nur auf sein eignes<lb/> Interesse an den Dingen, seine Art der Darstellung ankäme, um die ent¬<lb/> schwundene Teilnahme neu anzuregen. Was kümmern uns innerhalb der heu¬<lb/> tigen Welt die Tagesvorgänge, die Zeremonien und Feste, die Intrigue» und<lb/> Leidenschaften der Zeit und des Hofes Ludwigs des Vierzehnten, wie unendlich<lb/> weniger wollen sie für unsre Tage bedeuten als die Ereignisse und Zustände<lb/> der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre — und doch, wer 'entzieht sich,<lb/> sobald er Samt Simons Denkwürdigkeiten zur Hand nimmt, dem lebendigsten<lb/> Anteil selbst an Nichtigkeiten, wer fühlt nicht, daß aus diesen Blättern eine längst<lb/> begrabene Welt mit ihrer Ehre und Schmach, ihrem Glanz und Flitter, ihrem<lb/> Lieben und Hassen tausendgestaltig aufsteigt? Gewiß nicht so deutlich, nicht<lb/> so unser eignes Leben ergreifend, als aus den Schöpfungen großer Dichter und<lb/> Künstler, aber doch erkennbar und fesselnd, den Blick über die eigne Umgebung,<lb/> die gewohnten Zustände und Sitten hinaus erweiternd. Wer so viel und so<lb/> mannichfaltiges erlebt hat, wie Graf Schack, dem dürften wir immerhin wünschen,<lb/> daß es ihm annähernd so wichtig erschiene, als dem Herzog von Samt Simon<lb/> das Getriebe im Osil vozuk und in der OÄsrik as« Zlae-hö. Wenn der<lb/> ritterlichen, poetisch angelegten und hochgebildeten Natur des Verfassers dieser<lb/> Erinnerungen etwas fehlt, wenn in einem Mangel dieser Erinnerungen nicht<lb/> sowohl ein Mangel der dichterischen Natur Schocks als die Schranke derselben<lb/> zu Tage tritt, so ist es, mit einem Goethischen Worte, das Fehlen jener Art<lb/> Beschränktheit, die ins Reale verliebt ist. Der Verfasser der Erinnerungen,<lb/> welcher gewissen Erlebnissen im Vergleich mit dem Größten, das er schauen<lb/> und fassen durfte, so geringen Wert beilegt, giebt an mehr als einer Stelle<lb/> seines Werkes und in den Urteilen, welche er über eine ganze Reihe hervor¬<lb/> ragender Schriftsteller und Werke ausspricht, auch den Schlüssel zu seinem<lb/> eignen poetischen Wesen und vielen seiner Schöpfungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2176" next="#ID_2177"> Graf Schack ist seit seinen Jugendtagen von der großen und unwiderlegbaren<lb/> Wahrheit tief erfüllt, daß vom Leben der Völker endlich nichts bleibend sei, als<lb/> die Ergebnisse ihrer geistigen Kultur, die größten unvergänglichsten Werke der<lb/> Litteratur und der Kunst. Seine so umfassende als tiefreichende Bildung hat<lb/> ihn in den Stand gesetzt, sich in dieser Wahrheit zu befestigen. Seine Erfah¬<lb/> rungen sind außerdem nicht derart gewesen, ihn sehr duldsam gegen die Not-<lb/> Wendigkeiten und Aufgaben des Tages zu stimmen. „Es stimmt mich zur<lb/> Melancholie — sagt er bei Erwähnung seiner Thätigkeit im Verwaltungsrate<lb/> der preußisch-deutschen Union von 1850 —wenn ich daran denke, welche un¬<lb/> geheuern Massen von Papier ich damals vollgeschrieben habe, ohne daß die Re¬<lb/> sultate irgend meinen Anstrengungen entsprochen hätten. Um mich darüber zu<lb/> trösten, will ich annehmen, daß meine Bemühungen vielleicht im Schoße der<lb/> Ewigkeit Früchte getragen haben, die auf Erden nicht sichtbar sind. Nach meinem<lb/> Dafürhalten ist eine einzige Seite meines Firdusi mehr wert, als alle die zahl-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0604]
Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.
begnüge. Der Schriftsteller vergißt, daß es wesentlich nur auf sein eignes
Interesse an den Dingen, seine Art der Darstellung ankäme, um die ent¬
schwundene Teilnahme neu anzuregen. Was kümmern uns innerhalb der heu¬
tigen Welt die Tagesvorgänge, die Zeremonien und Feste, die Intrigue» und
Leidenschaften der Zeit und des Hofes Ludwigs des Vierzehnten, wie unendlich
weniger wollen sie für unsre Tage bedeuten als die Ereignisse und Zustände
der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre — und doch, wer 'entzieht sich,
sobald er Samt Simons Denkwürdigkeiten zur Hand nimmt, dem lebendigsten
Anteil selbst an Nichtigkeiten, wer fühlt nicht, daß aus diesen Blättern eine längst
begrabene Welt mit ihrer Ehre und Schmach, ihrem Glanz und Flitter, ihrem
Lieben und Hassen tausendgestaltig aufsteigt? Gewiß nicht so deutlich, nicht
so unser eignes Leben ergreifend, als aus den Schöpfungen großer Dichter und
Künstler, aber doch erkennbar und fesselnd, den Blick über die eigne Umgebung,
die gewohnten Zustände und Sitten hinaus erweiternd. Wer so viel und so
mannichfaltiges erlebt hat, wie Graf Schack, dem dürften wir immerhin wünschen,
daß es ihm annähernd so wichtig erschiene, als dem Herzog von Samt Simon
das Getriebe im Osil vozuk und in der OÄsrik as« Zlae-hö. Wenn der
ritterlichen, poetisch angelegten und hochgebildeten Natur des Verfassers dieser
Erinnerungen etwas fehlt, wenn in einem Mangel dieser Erinnerungen nicht
sowohl ein Mangel der dichterischen Natur Schocks als die Schranke derselben
zu Tage tritt, so ist es, mit einem Goethischen Worte, das Fehlen jener Art
Beschränktheit, die ins Reale verliebt ist. Der Verfasser der Erinnerungen,
welcher gewissen Erlebnissen im Vergleich mit dem Größten, das er schauen
und fassen durfte, so geringen Wert beilegt, giebt an mehr als einer Stelle
seines Werkes und in den Urteilen, welche er über eine ganze Reihe hervor¬
ragender Schriftsteller und Werke ausspricht, auch den Schlüssel zu seinem
eignen poetischen Wesen und vielen seiner Schöpfungen.
Graf Schack ist seit seinen Jugendtagen von der großen und unwiderlegbaren
Wahrheit tief erfüllt, daß vom Leben der Völker endlich nichts bleibend sei, als
die Ergebnisse ihrer geistigen Kultur, die größten unvergänglichsten Werke der
Litteratur und der Kunst. Seine so umfassende als tiefreichende Bildung hat
ihn in den Stand gesetzt, sich in dieser Wahrheit zu befestigen. Seine Erfah¬
rungen sind außerdem nicht derart gewesen, ihn sehr duldsam gegen die Not-
Wendigkeiten und Aufgaben des Tages zu stimmen. „Es stimmt mich zur
Melancholie — sagt er bei Erwähnung seiner Thätigkeit im Verwaltungsrate
der preußisch-deutschen Union von 1850 —wenn ich daran denke, welche un¬
geheuern Massen von Papier ich damals vollgeschrieben habe, ohne daß die Re¬
sultate irgend meinen Anstrengungen entsprochen hätten. Um mich darüber zu
trösten, will ich annehmen, daß meine Bemühungen vielleicht im Schoße der
Ewigkeit Früchte getragen haben, die auf Erden nicht sichtbar sind. Nach meinem
Dafürhalten ist eine einzige Seite meines Firdusi mehr wert, als alle die zahl-
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