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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

Erst 1871 schloß er mit einer (gemeinsam mit dem Großherzig von Mecklenburg
unternommenen) großen Reise nach Ägypten. Palästina, Damaskus, den Libanon
und Griechenland die Weltfahrten, was ihn jedoch nicht hinderte, im Jahre 1878
noch Dänemark, Schweden und Norwegen kennen zu lernen. Er erfuhr hier
am Abend seiner Tage, daß er vielleicht von zu einseitiger Vorliebe für den
Süden befangen gewesen war, dennoch wurde er seiner Gewohnheit, jeden Winter
im Süden zuzubringen nicht untreu, lenkte nach wie vor, "jedesmal ehe in
Deutschland die ersten Schneeflocken fielen," den Schritt über die Alpen. Gewiß
ist es ein seltenes Glück, Winter für Winter in Venedig, Rom, Florenz, Palermo,
Hyöres oder Granada in stiller, selbstgewählter geistiger Arbeit zuzubringen,
und mit Recht darf der Verfasser sagen, daß das Leben ein hohes Geschenk
für den sei, der es gut anzuwenden weiß. "In der Einsamkeit -- ruft er am
Schlüsse der eigentlichen Erinnerungen aus --, der Einsamkeit, in die ein schweres,
neuralgisches Leiden mich mehr und mehr zurückzuziehen mir gebietet, gewährt
mir die Erinnerung an die zurückgelegte Laufbahn Trost und Befriedigung.
Wie muß ich dem Geschicke danken für alle geistigen Genüsse, die es mir seit
meiner Jugend geboten hat, wie auch dafür, daß ich meine Seelennahrung nicht
bloß aus den Werken eines Volkes, sondern aus denen so vieler, die vor mir
gewesen, schöpfen konnte. Sie alle haben ihr Bestes vor mich hingebreitet.
Nicht nur Homer, Plato und Äschylos durfte ich in mich aufnehmen, souderu
anch die uralte Weisheit, die Indiens Brahmanen auf Palmenblätter geschrieben
haben. Ich sah die Sonne über dem Himalaya aufgehen, hörte die Hirten sie
mit den frommen Liedern der Veden begrüßen und habe dem Strom des
iranischen Heldengesanges gelauscht, wie er über die Felsklippen des Alberus
herabstürzt; in der romantischen Dichterwelt konnte ich mich heimisch machen,
die großen Schöpfungen der Kunst, welche seit dem sechzehnten Jahrhundert
entstanden, sind mir vertraut geworden. Und wie soll ich die Entzückungen
preisen, welche die Musik, welche erst im vorigen und in diesem Jahrhundert
ihren höchsten Flug genommen, mir geboten hat? Zu dem allen ist mir noch
vergönnt gewesen, einen unendlichen Horizont sich vor mir aufthun zu sehen,
von dein keiner der früher Lebenden eine Ahnung gehabt, und den Blick in eine
dämmerferne Vergangenheit zugleich, wie in eine hoffnungsreiche Zukunft der
Menschheit zu werfen. Ich kann mir daher sagen, daß ich ein so reiches Leben
gelebt habe, wie es in keiner der frühern Epochen möglich gewesen wäre."

Es ist Graf Schack vergönnt gewesen, was zu allen Zeiten nur wenigen
äußerlich so sehr als innerlich begünstigten Menschen gegeben ward: sein Leben
zu einem Kunstwerk auszugestalten. Die Bedingung, unter der das allein
möglich ist, wahre, ernste, auf hohe Ziele gerichtete, dem allgemeinen zu gute
kommende Thätigkeit, hat er von früh auf erkannt und erfüllt, und wenn er
unsrer Litteratur auch nur seine poetische Übertragung des Firdusi geschenkt
hätte, so würde niemand sagen können, daß sein Leben nur für den Dichter


Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

Erst 1871 schloß er mit einer (gemeinsam mit dem Großherzig von Mecklenburg
unternommenen) großen Reise nach Ägypten. Palästina, Damaskus, den Libanon
und Griechenland die Weltfahrten, was ihn jedoch nicht hinderte, im Jahre 1878
noch Dänemark, Schweden und Norwegen kennen zu lernen. Er erfuhr hier
am Abend seiner Tage, daß er vielleicht von zu einseitiger Vorliebe für den
Süden befangen gewesen war, dennoch wurde er seiner Gewohnheit, jeden Winter
im Süden zuzubringen nicht untreu, lenkte nach wie vor, „jedesmal ehe in
Deutschland die ersten Schneeflocken fielen," den Schritt über die Alpen. Gewiß
ist es ein seltenes Glück, Winter für Winter in Venedig, Rom, Florenz, Palermo,
Hyöres oder Granada in stiller, selbstgewählter geistiger Arbeit zuzubringen,
und mit Recht darf der Verfasser sagen, daß das Leben ein hohes Geschenk
für den sei, der es gut anzuwenden weiß. „In der Einsamkeit — ruft er am
Schlüsse der eigentlichen Erinnerungen aus —, der Einsamkeit, in die ein schweres,
neuralgisches Leiden mich mehr und mehr zurückzuziehen mir gebietet, gewährt
mir die Erinnerung an die zurückgelegte Laufbahn Trost und Befriedigung.
Wie muß ich dem Geschicke danken für alle geistigen Genüsse, die es mir seit
meiner Jugend geboten hat, wie auch dafür, daß ich meine Seelennahrung nicht
bloß aus den Werken eines Volkes, sondern aus denen so vieler, die vor mir
gewesen, schöpfen konnte. Sie alle haben ihr Bestes vor mich hingebreitet.
Nicht nur Homer, Plato und Äschylos durfte ich in mich aufnehmen, souderu
anch die uralte Weisheit, die Indiens Brahmanen auf Palmenblätter geschrieben
haben. Ich sah die Sonne über dem Himalaya aufgehen, hörte die Hirten sie
mit den frommen Liedern der Veden begrüßen und habe dem Strom des
iranischen Heldengesanges gelauscht, wie er über die Felsklippen des Alberus
herabstürzt; in der romantischen Dichterwelt konnte ich mich heimisch machen,
die großen Schöpfungen der Kunst, welche seit dem sechzehnten Jahrhundert
entstanden, sind mir vertraut geworden. Und wie soll ich die Entzückungen
preisen, welche die Musik, welche erst im vorigen und in diesem Jahrhundert
ihren höchsten Flug genommen, mir geboten hat? Zu dem allen ist mir noch
vergönnt gewesen, einen unendlichen Horizont sich vor mir aufthun zu sehen,
von dein keiner der früher Lebenden eine Ahnung gehabt, und den Blick in eine
dämmerferne Vergangenheit zugleich, wie in eine hoffnungsreiche Zukunft der
Menschheit zu werfen. Ich kann mir daher sagen, daß ich ein so reiches Leben
gelebt habe, wie es in keiner der frühern Epochen möglich gewesen wäre."

Es ist Graf Schack vergönnt gewesen, was zu allen Zeiten nur wenigen
äußerlich so sehr als innerlich begünstigten Menschen gegeben ward: sein Leben
zu einem Kunstwerk auszugestalten. Die Bedingung, unter der das allein
möglich ist, wahre, ernste, auf hohe Ziele gerichtete, dem allgemeinen zu gute
kommende Thätigkeit, hat er von früh auf erkannt und erfüllt, und wenn er
unsrer Litteratur auch nur seine poetische Übertragung des Firdusi geschenkt
hätte, so würde niemand sagen können, daß sein Leben nur für den Dichter


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[0602] Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack. Erst 1871 schloß er mit einer (gemeinsam mit dem Großherzig von Mecklenburg unternommenen) großen Reise nach Ägypten. Palästina, Damaskus, den Libanon und Griechenland die Weltfahrten, was ihn jedoch nicht hinderte, im Jahre 1878 noch Dänemark, Schweden und Norwegen kennen zu lernen. Er erfuhr hier am Abend seiner Tage, daß er vielleicht von zu einseitiger Vorliebe für den Süden befangen gewesen war, dennoch wurde er seiner Gewohnheit, jeden Winter im Süden zuzubringen nicht untreu, lenkte nach wie vor, „jedesmal ehe in Deutschland die ersten Schneeflocken fielen," den Schritt über die Alpen. Gewiß ist es ein seltenes Glück, Winter für Winter in Venedig, Rom, Florenz, Palermo, Hyöres oder Granada in stiller, selbstgewählter geistiger Arbeit zuzubringen, und mit Recht darf der Verfasser sagen, daß das Leben ein hohes Geschenk für den sei, der es gut anzuwenden weiß. „In der Einsamkeit — ruft er am Schlüsse der eigentlichen Erinnerungen aus —, der Einsamkeit, in die ein schweres, neuralgisches Leiden mich mehr und mehr zurückzuziehen mir gebietet, gewährt mir die Erinnerung an die zurückgelegte Laufbahn Trost und Befriedigung. Wie muß ich dem Geschicke danken für alle geistigen Genüsse, die es mir seit meiner Jugend geboten hat, wie auch dafür, daß ich meine Seelennahrung nicht bloß aus den Werken eines Volkes, sondern aus denen so vieler, die vor mir gewesen, schöpfen konnte. Sie alle haben ihr Bestes vor mich hingebreitet. Nicht nur Homer, Plato und Äschylos durfte ich in mich aufnehmen, souderu anch die uralte Weisheit, die Indiens Brahmanen auf Palmenblätter geschrieben haben. Ich sah die Sonne über dem Himalaya aufgehen, hörte die Hirten sie mit den frommen Liedern der Veden begrüßen und habe dem Strom des iranischen Heldengesanges gelauscht, wie er über die Felsklippen des Alberus herabstürzt; in der romantischen Dichterwelt konnte ich mich heimisch machen, die großen Schöpfungen der Kunst, welche seit dem sechzehnten Jahrhundert entstanden, sind mir vertraut geworden. Und wie soll ich die Entzückungen preisen, welche die Musik, welche erst im vorigen und in diesem Jahrhundert ihren höchsten Flug genommen, mir geboten hat? Zu dem allen ist mir noch vergönnt gewesen, einen unendlichen Horizont sich vor mir aufthun zu sehen, von dein keiner der früher Lebenden eine Ahnung gehabt, und den Blick in eine dämmerferne Vergangenheit zugleich, wie in eine hoffnungsreiche Zukunft der Menschheit zu werfen. Ich kann mir daher sagen, daß ich ein so reiches Leben gelebt habe, wie es in keiner der frühern Epochen möglich gewesen wäre." Es ist Graf Schack vergönnt gewesen, was zu allen Zeiten nur wenigen äußerlich so sehr als innerlich begünstigten Menschen gegeben ward: sein Leben zu einem Kunstwerk auszugestalten. Die Bedingung, unter der das allein möglich ist, wahre, ernste, auf hohe Ziele gerichtete, dem allgemeinen zu gute kommende Thätigkeit, hat er von früh auf erkannt und erfüllt, und wenn er unsrer Litteratur auch nur seine poetische Übertragung des Firdusi geschenkt hätte, so würde niemand sagen können, daß sein Leben nur für den Dichter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/602>, abgerufen am 28.09.2024.