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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

die Vorstellung einer enormen, mauerartigen Aufrichtung von Erdschichten, eine
Vorstellung, die bis tief in die Wissenschaft hinein sich als die unnatürliche
Steilheit der Pyrenäen, Alpen n. s. w., ja sogar in die bildende Kunst als Vor¬
liebe für uicht vorhandene Schnee- und gletscherverhüllte Zuckerhttte erstreckte.
Die Theorien der Gebirgsbildung, aus deren Gährungszustande wir noch nicht
heraus sind, haben sich nicht immer von übertriebenen Vorstellungen über die
Höhenverhältnisse freigehalten. Man fasse auf diesem Profil die durch Schraf-
firung ausgezeichneten Erhebungen in ihrem Verhältnisse zu dem zur Darstel¬
lung gelangten^ Bogenstück der Erde auf und ziehe das Gebirgspanorama
mit herzu, welches einige der beträchtlichsten Erhebungen Amerikas und Asiens
noch heranbringt. Man werfe dann einen Blick auf die verschiednen Grade von
Seichtigkeit der Meere, welche in das Profil fallen, der Tiefe der tiefsten Schächte
und Bohrlöcher, welche an passender Stelle eingetragen ist, und erinnere sich
an die Gedankenspiele mit erdumwälzenden Wasser- und Feuerfinken, welche
Jahrzehnte der Entwicklung der geologischen Wissenschaft erfüllten. Man wird
von diesem Bilde mit dem Eindrucke zurückkehren, daß eine höchst maßvolle Auf¬
fassung der Beziehungen aller Teile der Erdrinde zu einander eine notwendige
Folge jeder Betrachtung ist, welche diese Teile im Vergleich mit dem Erd¬
ganzen würdigt.

Zum Schluß sei noch ein großer, wenn auch nicht an der Oberfläche lie¬
gender Vorzug des Linggschen Erdprofils hervorgehoben: er beruht in der weiten
geistigen Perspektive. Vom Erdkern wandern unsre Gedanken bis tief in die
Sternenwelt, und indem sie zur Erdoberfläche zurückkehren, lehren sie uns, daß
die Erkenntnis der Wahrheit über die Stellung des Menschen und der Erde
im Weltraume eine besonders wohlthuende da ist, wo sie als Frucht der Be¬
schäftigung mit den großen Raumverhältnissen des Planeten und seinen kos¬
mischen Beziehungen zur Ernte kommt.




Die Lebenserinnerungen des Grafen von 5>chant.

le Zahl der autobiographischen Aufzeichnungen innerhalb der
deutschen Litteratur ist bekanntlich nicht gering und hat sich
namentlich im letzten Jahrzehnte außerordentlich vermehrt. Irgend
ein Kritiker hat einmal den Ausspruch gethan, jeder Mann, der
etwas Wesentliches erlebt habe, solle nach seinem funfzigsten Jahre
gehalten sein, seine Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Der Ausspruch scheint


Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

die Vorstellung einer enormen, mauerartigen Aufrichtung von Erdschichten, eine
Vorstellung, die bis tief in die Wissenschaft hinein sich als die unnatürliche
Steilheit der Pyrenäen, Alpen n. s. w., ja sogar in die bildende Kunst als Vor¬
liebe für uicht vorhandene Schnee- und gletscherverhüllte Zuckerhttte erstreckte.
Die Theorien der Gebirgsbildung, aus deren Gährungszustande wir noch nicht
heraus sind, haben sich nicht immer von übertriebenen Vorstellungen über die
Höhenverhältnisse freigehalten. Man fasse auf diesem Profil die durch Schraf-
firung ausgezeichneten Erhebungen in ihrem Verhältnisse zu dem zur Darstel¬
lung gelangten^ Bogenstück der Erde auf und ziehe das Gebirgspanorama
mit herzu, welches einige der beträchtlichsten Erhebungen Amerikas und Asiens
noch heranbringt. Man werfe dann einen Blick auf die verschiednen Grade von
Seichtigkeit der Meere, welche in das Profil fallen, der Tiefe der tiefsten Schächte
und Bohrlöcher, welche an passender Stelle eingetragen ist, und erinnere sich
an die Gedankenspiele mit erdumwälzenden Wasser- und Feuerfinken, welche
Jahrzehnte der Entwicklung der geologischen Wissenschaft erfüllten. Man wird
von diesem Bilde mit dem Eindrucke zurückkehren, daß eine höchst maßvolle Auf¬
fassung der Beziehungen aller Teile der Erdrinde zu einander eine notwendige
Folge jeder Betrachtung ist, welche diese Teile im Vergleich mit dem Erd¬
ganzen würdigt.

Zum Schluß sei noch ein großer, wenn auch nicht an der Oberfläche lie¬
gender Vorzug des Linggschen Erdprofils hervorgehoben: er beruht in der weiten
geistigen Perspektive. Vom Erdkern wandern unsre Gedanken bis tief in die
Sternenwelt, und indem sie zur Erdoberfläche zurückkehren, lehren sie uns, daß
die Erkenntnis der Wahrheit über die Stellung des Menschen und der Erde
im Weltraume eine besonders wohlthuende da ist, wo sie als Frucht der Be¬
schäftigung mit den großen Raumverhältnissen des Planeten und seinen kos¬
mischen Beziehungen zur Ernte kommt.




Die Lebenserinnerungen des Grafen von 5>chant.

le Zahl der autobiographischen Aufzeichnungen innerhalb der
deutschen Litteratur ist bekanntlich nicht gering und hat sich
namentlich im letzten Jahrzehnte außerordentlich vermehrt. Irgend
ein Kritiker hat einmal den Ausspruch gethan, jeder Mann, der
etwas Wesentliches erlebt habe, solle nach seinem funfzigsten Jahre
gehalten sein, seine Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Der Ausspruch scheint


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[0599] Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack. die Vorstellung einer enormen, mauerartigen Aufrichtung von Erdschichten, eine Vorstellung, die bis tief in die Wissenschaft hinein sich als die unnatürliche Steilheit der Pyrenäen, Alpen n. s. w., ja sogar in die bildende Kunst als Vor¬ liebe für uicht vorhandene Schnee- und gletscherverhüllte Zuckerhttte erstreckte. Die Theorien der Gebirgsbildung, aus deren Gährungszustande wir noch nicht heraus sind, haben sich nicht immer von übertriebenen Vorstellungen über die Höhenverhältnisse freigehalten. Man fasse auf diesem Profil die durch Schraf- firung ausgezeichneten Erhebungen in ihrem Verhältnisse zu dem zur Darstel¬ lung gelangten^ Bogenstück der Erde auf und ziehe das Gebirgspanorama mit herzu, welches einige der beträchtlichsten Erhebungen Amerikas und Asiens noch heranbringt. Man werfe dann einen Blick auf die verschiednen Grade von Seichtigkeit der Meere, welche in das Profil fallen, der Tiefe der tiefsten Schächte und Bohrlöcher, welche an passender Stelle eingetragen ist, und erinnere sich an die Gedankenspiele mit erdumwälzenden Wasser- und Feuerfinken, welche Jahrzehnte der Entwicklung der geologischen Wissenschaft erfüllten. Man wird von diesem Bilde mit dem Eindrucke zurückkehren, daß eine höchst maßvolle Auf¬ fassung der Beziehungen aller Teile der Erdrinde zu einander eine notwendige Folge jeder Betrachtung ist, welche diese Teile im Vergleich mit dem Erd¬ ganzen würdigt. Zum Schluß sei noch ein großer, wenn auch nicht an der Oberfläche lie¬ gender Vorzug des Linggschen Erdprofils hervorgehoben: er beruht in der weiten geistigen Perspektive. Vom Erdkern wandern unsre Gedanken bis tief in die Sternenwelt, und indem sie zur Erdoberfläche zurückkehren, lehren sie uns, daß die Erkenntnis der Wahrheit über die Stellung des Menschen und der Erde im Weltraume eine besonders wohlthuende da ist, wo sie als Frucht der Be¬ schäftigung mit den großen Raumverhältnissen des Planeten und seinen kos¬ mischen Beziehungen zur Ernte kommt. Die Lebenserinnerungen des Grafen von 5>chant. le Zahl der autobiographischen Aufzeichnungen innerhalb der deutschen Litteratur ist bekanntlich nicht gering und hat sich namentlich im letzten Jahrzehnte außerordentlich vermehrt. Irgend ein Kritiker hat einmal den Ausspruch gethan, jeder Mann, der etwas Wesentliches erlebt habe, solle nach seinem funfzigsten Jahre gehalten sein, seine Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Der Ausspruch scheint

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/599>, abgerufen am 28.09.2024.