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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Alexei starrte ihn erst wortlos an, dann lachte er auf: Deine Kinder!

Die mich reichlich für alles entschädigen, was meinem Leben vielleicht
fehlt, entgegnete David mit einem plötzlichen Freimute, der dem Freunde
Schweigen auferlegte. Erst nach einer Weile fragte Alexci leise und zögernd:
Und jene Frau?

Alexei! Jedes Wort gegen die Mutter meiner Kiuder wäre für mich,
was jener Schlag des Stanislaus für Levi war. Ich würde die Schmach
fühlen, aber ich würde sie hinnehmen und nicht wieder schlagen, weil ich dich
lieb habe -- denke daran!

Diese mit ruhiger Würde gesprochenen Worte ließen Alexei abermals
verstummen.

Konnte dein Herz oder dein Verstand sich so verirren? fragte er endlich
halblaut, als David die Kinder auf die Erde setzte, wo sie, durch die Gegenwart
des fremden Mannes eingeschüchtert, ruhig sitzen blieben und ihn nur mit ihren
großen, blauen Augen verfolgten.

Es wäre mir lieber, wir sprächen nicht mehr darüber, Alexei!

War es deine freie Wahl, David? Dann habe ich nichts weiter zu sagen,
aber das -- das sage mir noch.

Ist es denn unmöglich, die Vergangenheit ruhen zu lassen? rief David
erregt und unruhig. Ich hoffte, ich glaubte gewiß, wir würden unser Leben
weiter führen, wo wir damals aufhörten. Warum alles besprechen und erklären
wollen? Er ging einige male im Zimmer auf und ab. Sei es drum! Ich
sehe dir an, daß du nicht eher befriedigt sein wirst, als bis du die Brücke
gefunden hast, die das Einst und das Jetzt verbindet. Er legte die Hand über
die Augen und seufzte tief. In unserm Volke, Alexei, werden die Kinder früh¬
zeitig verheiratet, und die Eltern wählen und bestimmen.

Und war es wirklich jene Frau, die ich vorhin gesehen habe, welche deine
Eltern für dich wählten? Für dich --

David hob abwehrend die Hand, doch Alexei fuhr fort: Für dich, den
Jüngling mit dem hochstrebenden Geiste, dessen Sehnen und Trachten --

Stille, Freund! Laß alte, vergessene Traume ruhen und wecke die Schla¬
fenden nicht! Die Mutter meiner Kinder ist die Tochter von meines Vaters
ältestem Freunde, Moses, dem reichen Gctreidcmakler.

Und so hast du dein Leben einem falsch verstandenen Pflichtgefühle zum
Opfer gebracht? rief Alexei entsetzt. Das ist ein Unrecht gegen dich selbst,
gegen dein besseres Wissen. Oder ist es möglich, daß du trotz deiner andern
Erziehung noch so unter dem Einflüsse der Anschauungen deines Volkes stehst,
daß du dich willenlos fügtest? Ist es so? O David, das betrübt mich! Das
hätte ich nie von dir erwartet.

David senkte unter Alexeis vorwurfsvollen Worten das Haupt und blickte
unschlüssig zu Boden. Dann zog er Alexei aus der Nähe des offnen Fensters


David Beronski.

Alexei starrte ihn erst wortlos an, dann lachte er auf: Deine Kinder!

Die mich reichlich für alles entschädigen, was meinem Leben vielleicht
fehlt, entgegnete David mit einem plötzlichen Freimute, der dem Freunde
Schweigen auferlegte. Erst nach einer Weile fragte Alexci leise und zögernd:
Und jene Frau?

Alexei! Jedes Wort gegen die Mutter meiner Kiuder wäre für mich,
was jener Schlag des Stanislaus für Levi war. Ich würde die Schmach
fühlen, aber ich würde sie hinnehmen und nicht wieder schlagen, weil ich dich
lieb habe — denke daran!

Diese mit ruhiger Würde gesprochenen Worte ließen Alexei abermals
verstummen.

Konnte dein Herz oder dein Verstand sich so verirren? fragte er endlich
halblaut, als David die Kinder auf die Erde setzte, wo sie, durch die Gegenwart
des fremden Mannes eingeschüchtert, ruhig sitzen blieben und ihn nur mit ihren
großen, blauen Augen verfolgten.

Es wäre mir lieber, wir sprächen nicht mehr darüber, Alexei!

War es deine freie Wahl, David? Dann habe ich nichts weiter zu sagen,
aber das — das sage mir noch.

Ist es denn unmöglich, die Vergangenheit ruhen zu lassen? rief David
erregt und unruhig. Ich hoffte, ich glaubte gewiß, wir würden unser Leben
weiter führen, wo wir damals aufhörten. Warum alles besprechen und erklären
wollen? Er ging einige male im Zimmer auf und ab. Sei es drum! Ich
sehe dir an, daß du nicht eher befriedigt sein wirst, als bis du die Brücke
gefunden hast, die das Einst und das Jetzt verbindet. Er legte die Hand über
die Augen und seufzte tief. In unserm Volke, Alexei, werden die Kinder früh¬
zeitig verheiratet, und die Eltern wählen und bestimmen.

Und war es wirklich jene Frau, die ich vorhin gesehen habe, welche deine
Eltern für dich wählten? Für dich —

David hob abwehrend die Hand, doch Alexei fuhr fort: Für dich, den
Jüngling mit dem hochstrebenden Geiste, dessen Sehnen und Trachten —

Stille, Freund! Laß alte, vergessene Traume ruhen und wecke die Schla¬
fenden nicht! Die Mutter meiner Kinder ist die Tochter von meines Vaters
ältestem Freunde, Moses, dem reichen Gctreidcmakler.

Und so hast du dein Leben einem falsch verstandenen Pflichtgefühle zum
Opfer gebracht? rief Alexei entsetzt. Das ist ein Unrecht gegen dich selbst,
gegen dein besseres Wissen. Oder ist es möglich, daß du trotz deiner andern
Erziehung noch so unter dem Einflüsse der Anschauungen deines Volkes stehst,
daß du dich willenlos fügtest? Ist es so? O David, das betrübt mich! Das
hätte ich nie von dir erwartet.

David senkte unter Alexeis vorwurfsvollen Worten das Haupt und blickte
unschlüssig zu Boden. Dann zog er Alexei aus der Nähe des offnen Fensters


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[0059] David Beronski. Alexei starrte ihn erst wortlos an, dann lachte er auf: Deine Kinder! Die mich reichlich für alles entschädigen, was meinem Leben vielleicht fehlt, entgegnete David mit einem plötzlichen Freimute, der dem Freunde Schweigen auferlegte. Erst nach einer Weile fragte Alexci leise und zögernd: Und jene Frau? Alexei! Jedes Wort gegen die Mutter meiner Kiuder wäre für mich, was jener Schlag des Stanislaus für Levi war. Ich würde die Schmach fühlen, aber ich würde sie hinnehmen und nicht wieder schlagen, weil ich dich lieb habe — denke daran! Diese mit ruhiger Würde gesprochenen Worte ließen Alexei abermals verstummen. Konnte dein Herz oder dein Verstand sich so verirren? fragte er endlich halblaut, als David die Kinder auf die Erde setzte, wo sie, durch die Gegenwart des fremden Mannes eingeschüchtert, ruhig sitzen blieben und ihn nur mit ihren großen, blauen Augen verfolgten. Es wäre mir lieber, wir sprächen nicht mehr darüber, Alexei! War es deine freie Wahl, David? Dann habe ich nichts weiter zu sagen, aber das — das sage mir noch. Ist es denn unmöglich, die Vergangenheit ruhen zu lassen? rief David erregt und unruhig. Ich hoffte, ich glaubte gewiß, wir würden unser Leben weiter führen, wo wir damals aufhörten. Warum alles besprechen und erklären wollen? Er ging einige male im Zimmer auf und ab. Sei es drum! Ich sehe dir an, daß du nicht eher befriedigt sein wirst, als bis du die Brücke gefunden hast, die das Einst und das Jetzt verbindet. Er legte die Hand über die Augen und seufzte tief. In unserm Volke, Alexei, werden die Kinder früh¬ zeitig verheiratet, und die Eltern wählen und bestimmen. Und war es wirklich jene Frau, die ich vorhin gesehen habe, welche deine Eltern für dich wählten? Für dich — David hob abwehrend die Hand, doch Alexei fuhr fort: Für dich, den Jüngling mit dem hochstrebenden Geiste, dessen Sehnen und Trachten — Stille, Freund! Laß alte, vergessene Traume ruhen und wecke die Schla¬ fenden nicht! Die Mutter meiner Kinder ist die Tochter von meines Vaters ältestem Freunde, Moses, dem reichen Gctreidcmakler. Und so hast du dein Leben einem falsch verstandenen Pflichtgefühle zum Opfer gebracht? rief Alexei entsetzt. Das ist ein Unrecht gegen dich selbst, gegen dein besseres Wissen. Oder ist es möglich, daß du trotz deiner andern Erziehung noch so unter dem Einflüsse der Anschauungen deines Volkes stehst, daß du dich willenlos fügtest? Ist es so? O David, das betrübt mich! Das hätte ich nie von dir erwartet. David senkte unter Alexeis vorwurfsvollen Worten das Haupt und blickte unschlüssig zu Boden. Dann zog er Alexei aus der Nähe des offnen Fensters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/59>, abgerufen am 28.09.2024.