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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Prinz Ferdinand zweiter Akt, zweiter Auftritt.

allein. Es kann nicht überraschen, daß die Geschäftswelt in Mitteleuropa sich
infolge derartiger Nachrichten beklemmt fühlt, und daß der russische Papierrubcl
deshalb unaufhörlich im Werte sinkt. Man befürchtet, daß der Zar, der Unter¬
stützung Deutschlands und Frankreichs sicher, von der Pforte nach dem Erfolge
seines ersten Antrages mehr, die förmliche Absetzung des Koburgers, verlangen
werde, wodurch ein großer Aufstand der russischen Partei in Bulgarien ermutigt
werden würde. Käme es dabei zu anarchischen Zuständen, indem die Parteien
sich ungefähr die Wage hielten, oder würde von Stambuloff und Genossen, wie
sie gedroht haben, die Republik erklärt, so könnte Rußland sicher auf eine still¬
schweigende Duldung einer Besetzung des Fürstentums durch russische Truppen,
wo nicht auf ausdrückliche Gutheißung dieser Maßregel rechnen. So fürchtet
man auf der einen, so hofft man auf der andern Seite, und nicht ohne allen
Grund. Denn wenn kein solcher Zweck und Vorsatz hinter dem Verlangen
Nelidoffs sich verbirgt, so sieht man die Notwendigkeit des letztern schwer ein,
da, wie gesagt, die Ungesetzlichkeit der Stellung des Koburger Prätendenten von
allen Seiten zugegeben wird. Keine Macht hat einen diplomatischen Vertreter
bei ihm beglaubigt oder irgendwie auch nur angedeutet, daß sie ihn als Fürsten
von Bulgarien anerkenne. Er steht in dieser Beziehung ganz und gar in der
Luft. Anderseits aber ist nicht wohl in Abrede zu stellen, daß er regiert, daß
in seinem Namen die Ordnung aufrecht erhalten und das Gesetz gehandhabt
wird, und daß sein Suzerän weniger Ursache hat, sich über ihn zu beklagen, als
über seinen Vorgänger auf dem Fürstenstuhle und dessen russische Minister;
denn er ist der erste Herrscher Bulgariens, der den ausgemachten Tribut des
Landes in die Kassen der Pforte abgeführt hat. Über die erste Antwort der
Türkei auf das russische Ansinnen giebt es verschiedne Berichte. Nach dem
einen wäre anzunehmen, daß die rechte Hand des Sultans beim politischen
Spiele ihre alte Gewandtheit noch nicht eingebüßt habe. Der Großherr soll
sich nämlich erboten haben, den Koburger abzusetzen, falls alle Unterzeichner des
Friedensvertrages einmütig dies verlangten, oder dies auch ohne diese Ein¬
stimmigkeit zu vollziehen, wofern Rußland ihm die Zurückerstattung des ost-
rumelischen Gebietes an die Pforte, das ungesetzlich mit Bulgarien vereinigt
wurde, verbürge. Die in der ersten Bedingung geforderte Einmütigkeit wird
vielleicht zu beschaffen sein, aber wahrscheinlich nicht leicht und bald. Die zweite
Bedingung wird Nußland in ein Dilemma versetzen. Das beliebteste Argument
der geheimen Agenten des Panslawismus richtet sich an die Hoffnungen der¬
jenigen Bulgaren, welche die Bestimmungen des Friedens von San Stefano
wieder in Kraft treten zu sehen wünschen. Jene russischen Sendlinge sagen ihnen
immer von neuem: "Wenn ihr euch den Wünschen des Zaren fügt, so kann und
wird er die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien zu einer dauernden machen
und außerdem zu bewirken wissen, daß auch Mazedonien ein Glied des Bulgaren¬
staates wird." Derartige Versprechungen ließen sich natürlich nicht mehr zur


Prinz Ferdinand zweiter Akt, zweiter Auftritt.

allein. Es kann nicht überraschen, daß die Geschäftswelt in Mitteleuropa sich
infolge derartiger Nachrichten beklemmt fühlt, und daß der russische Papierrubcl
deshalb unaufhörlich im Werte sinkt. Man befürchtet, daß der Zar, der Unter¬
stützung Deutschlands und Frankreichs sicher, von der Pforte nach dem Erfolge
seines ersten Antrages mehr, die förmliche Absetzung des Koburgers, verlangen
werde, wodurch ein großer Aufstand der russischen Partei in Bulgarien ermutigt
werden würde. Käme es dabei zu anarchischen Zuständen, indem die Parteien
sich ungefähr die Wage hielten, oder würde von Stambuloff und Genossen, wie
sie gedroht haben, die Republik erklärt, so könnte Rußland sicher auf eine still¬
schweigende Duldung einer Besetzung des Fürstentums durch russische Truppen,
wo nicht auf ausdrückliche Gutheißung dieser Maßregel rechnen. So fürchtet
man auf der einen, so hofft man auf der andern Seite, und nicht ohne allen
Grund. Denn wenn kein solcher Zweck und Vorsatz hinter dem Verlangen
Nelidoffs sich verbirgt, so sieht man die Notwendigkeit des letztern schwer ein,
da, wie gesagt, die Ungesetzlichkeit der Stellung des Koburger Prätendenten von
allen Seiten zugegeben wird. Keine Macht hat einen diplomatischen Vertreter
bei ihm beglaubigt oder irgendwie auch nur angedeutet, daß sie ihn als Fürsten
von Bulgarien anerkenne. Er steht in dieser Beziehung ganz und gar in der
Luft. Anderseits aber ist nicht wohl in Abrede zu stellen, daß er regiert, daß
in seinem Namen die Ordnung aufrecht erhalten und das Gesetz gehandhabt
wird, und daß sein Suzerän weniger Ursache hat, sich über ihn zu beklagen, als
über seinen Vorgänger auf dem Fürstenstuhle und dessen russische Minister;
denn er ist der erste Herrscher Bulgariens, der den ausgemachten Tribut des
Landes in die Kassen der Pforte abgeführt hat. Über die erste Antwort der
Türkei auf das russische Ansinnen giebt es verschiedne Berichte. Nach dem
einen wäre anzunehmen, daß die rechte Hand des Sultans beim politischen
Spiele ihre alte Gewandtheit noch nicht eingebüßt habe. Der Großherr soll
sich nämlich erboten haben, den Koburger abzusetzen, falls alle Unterzeichner des
Friedensvertrages einmütig dies verlangten, oder dies auch ohne diese Ein¬
stimmigkeit zu vollziehen, wofern Rußland ihm die Zurückerstattung des ost-
rumelischen Gebietes an die Pforte, das ungesetzlich mit Bulgarien vereinigt
wurde, verbürge. Die in der ersten Bedingung geforderte Einmütigkeit wird
vielleicht zu beschaffen sein, aber wahrscheinlich nicht leicht und bald. Die zweite
Bedingung wird Nußland in ein Dilemma versetzen. Das beliebteste Argument
der geheimen Agenten des Panslawismus richtet sich an die Hoffnungen der¬
jenigen Bulgaren, welche die Bestimmungen des Friedens von San Stefano
wieder in Kraft treten zu sehen wünschen. Jene russischen Sendlinge sagen ihnen
immer von neuem: „Wenn ihr euch den Wünschen des Zaren fügt, so kann und
wird er die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien zu einer dauernden machen
und außerdem zu bewirken wissen, daß auch Mazedonien ein Glied des Bulgaren¬
staates wird." Derartige Versprechungen ließen sich natürlich nicht mehr zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/589>, abgerufen am 27.06.2024.