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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Lin bösor Geist im houtigöii England.

Weil es eine Republik ist, und uns gegen eine Militärmonarchie kalt zu ver¬
halten, weil sie notwendig eine ist, sollten wir, sollten unsre Radikalen beim
Blicke nach auswärts politische Klugheit lernen. Dann würden sie sehen, wie
die größte Republik die herzlichsten Beziehungen zu dem größten militärischen
Despotismus herzustellen und zu pflegen sucht. Sie würden bemerken, daß der
von ihnen so sehr bewunderte Gambetta seinen Haß gegen die katholische Priester¬
schaft nicht über die Grenzen Frankreichs ausdehnte, sondern fortwährend die
Bedeutung Frankreichs als katholischer Hauptmacht in der Levante und im
fernen Osten betonte. Es wäre gut, wenn solche Lektionen in der Politik von
unsern Radikalen beachtet und befolgt würden. Es würde etwas Beachtenswertes
sein, wenn man sähe, wie eine Gruppe von Männern, die auf alle Fälle ehrliche
Leute sind, einen Begriff von internationaler Politik zeigte, der etwas mehr Weit¬
blick verriete als der Geist, der durchschnittlich in Stadtverordnetenversammlungen
waltet. Denn wenn sie klar in, Kopfe sind und folgerichtig denken, so gehört
ihnen die Zukunft auch in der Richtung unsrer auswärtigen Angelegenheiten,
wie sie ihnen schon mehr oder weniger bei der Gestaltung unsrer innern Thätig¬
keit gehört. Die andern liberalen Parteien sind nur Wetterhähne ohne die Ent¬
schuldigung des Wetterhahns auf dem Turme, daß es fein Amt ist, sich mit
dem Winde zu drehen. Wir klagen über die Gleichgiltigkeit Europas gegen
unsre Interessen und über die Doppelzüngigkeit Rußlands, dieses unablässig von
unsern Journalisten gerittene Steckenpferd. Aber wenn die Russen lügen, so
reden und schreiben wir Cent, und das ist das ärgere von beiden; denn die
Lüge wird leichter entdeckt und vereitelt. ^Logischer wäre es in diesem Zu¬
sammenhange gewesen, zu sagen: denn Cent ist gefährliche Selbsttäuschung.)
Die Russen lügen, deshalb ist unsre Aktionslinie klar: trauen wir ihnen nicht
mehr, vertraue" wir auf uns selbst. Da unsre Kenntnis durch unsern Carl
und unsre Unfähigkeit, internationale Dinge unbefangen, nicht in herkömmlicher
Beleuchtung zu sehen, beschränkt ist, so bedürfen wir wenigstens die einzige Ent¬
schuldigung für naturwidrige Schwärmerei: Glauben -- Glauben an uus selber
Aber die Klaffen, die den Carl Pflegen, haben eben keinen Glauben. Während
gestern noch die ^ime-z der Welt versicherte, wir brauchten keine Bundesgenossen,
nur das Wohlwollen aller Mächte, blickt unser Carl heute uach Berlin, und
wir fragen uns selbst und andre, wie Bismarck so blind für seine und Deutsch¬
lands Interessen sein kann, Rußland seine Spielchen an der Donau und am
Balkan machen zu lassen. Fürwahr, seine Interessen! ^Natürlich meint man
damit Englands Interessen, dem Bismarck schon vor dem letzten russisch-türkischen
Kriege und bald nach dem Frieden von San Stefano die Kastanien aus dem
Feuer holen sollte, was er aber als Politiker, der den Carl durchschaute, unter¬
ließ und so lange unterlassen wird, als die englische Politik im Banne des
Carl verbleibt.) Der alte, echt blau gefärbte Tory ist über solche Kniffe und
Possen erhaben; sie waren immer die Spezialität der plntvkratischen, frömmelnden


Lin bösor Geist im houtigöii England.

Weil es eine Republik ist, und uns gegen eine Militärmonarchie kalt zu ver¬
halten, weil sie notwendig eine ist, sollten wir, sollten unsre Radikalen beim
Blicke nach auswärts politische Klugheit lernen. Dann würden sie sehen, wie
die größte Republik die herzlichsten Beziehungen zu dem größten militärischen
Despotismus herzustellen und zu pflegen sucht. Sie würden bemerken, daß der
von ihnen so sehr bewunderte Gambetta seinen Haß gegen die katholische Priester¬
schaft nicht über die Grenzen Frankreichs ausdehnte, sondern fortwährend die
Bedeutung Frankreichs als katholischer Hauptmacht in der Levante und im
fernen Osten betonte. Es wäre gut, wenn solche Lektionen in der Politik von
unsern Radikalen beachtet und befolgt würden. Es würde etwas Beachtenswertes
sein, wenn man sähe, wie eine Gruppe von Männern, die auf alle Fälle ehrliche
Leute sind, einen Begriff von internationaler Politik zeigte, der etwas mehr Weit¬
blick verriete als der Geist, der durchschnittlich in Stadtverordnetenversammlungen
waltet. Denn wenn sie klar in, Kopfe sind und folgerichtig denken, so gehört
ihnen die Zukunft auch in der Richtung unsrer auswärtigen Angelegenheiten,
wie sie ihnen schon mehr oder weniger bei der Gestaltung unsrer innern Thätig¬
keit gehört. Die andern liberalen Parteien sind nur Wetterhähne ohne die Ent¬
schuldigung des Wetterhahns auf dem Turme, daß es fein Amt ist, sich mit
dem Winde zu drehen. Wir klagen über die Gleichgiltigkeit Europas gegen
unsre Interessen und über die Doppelzüngigkeit Rußlands, dieses unablässig von
unsern Journalisten gerittene Steckenpferd. Aber wenn die Russen lügen, so
reden und schreiben wir Cent, und das ist das ärgere von beiden; denn die
Lüge wird leichter entdeckt und vereitelt. ^Logischer wäre es in diesem Zu¬
sammenhange gewesen, zu sagen: denn Cent ist gefährliche Selbsttäuschung.)
Die Russen lügen, deshalb ist unsre Aktionslinie klar: trauen wir ihnen nicht
mehr, vertraue« wir auf uns selbst. Da unsre Kenntnis durch unsern Carl
und unsre Unfähigkeit, internationale Dinge unbefangen, nicht in herkömmlicher
Beleuchtung zu sehen, beschränkt ist, so bedürfen wir wenigstens die einzige Ent¬
schuldigung für naturwidrige Schwärmerei: Glauben — Glauben an uus selber
Aber die Klaffen, die den Carl Pflegen, haben eben keinen Glauben. Während
gestern noch die ^ime-z der Welt versicherte, wir brauchten keine Bundesgenossen,
nur das Wohlwollen aller Mächte, blickt unser Carl heute uach Berlin, und
wir fragen uns selbst und andre, wie Bismarck so blind für seine und Deutsch¬
lands Interessen sein kann, Rußland seine Spielchen an der Donau und am
Balkan machen zu lassen. Fürwahr, seine Interessen! ^Natürlich meint man
damit Englands Interessen, dem Bismarck schon vor dem letzten russisch-türkischen
Kriege und bald nach dem Frieden von San Stefano die Kastanien aus dem
Feuer holen sollte, was er aber als Politiker, der den Carl durchschaute, unter¬
ließ und so lange unterlassen wird, als die englische Politik im Banne des
Carl verbleibt.) Der alte, echt blau gefärbte Tory ist über solche Kniffe und
Possen erhaben; sie waren immer die Spezialität der plntvkratischen, frömmelnden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/551>, abgerufen am 28.09.2024.