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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Das Sozialistengesetz und die Rückkehr zum gemeinen Recht.

gedacht hatte. Die gegen das geheiligte Haupt unsers Kaisers gerichteten Schüsse
zweier Mordgesellen waren es, die die Sachlage erschreckend aufklärten. Es
war auch unmöglich, die Schandthaten dieser Bösewichter nur als vereinzelte
Erscheinungen anzusehen, da vielfach aus der Hefe des Volkes Stimmen auf¬
tauchten, welche laut beklagten, daß die Versuche nicht gelungen waren. Nun
konnte man keinen Zweifel mehr hegen, welche Verwilderung durch die wüste
Agitation der Sozialdemokratie in die Volksmassen hineingetragen sei. Dennoch
genügte der Schuß Hotels noch nicht, um die Mehrheit des Reichstages von
der Notwendigkeit eines nachdrücklichen Einschreitens zu überzeugen. Das Sozia¬
listengesetz in seiner ersten Vorlage (die freilich in ihren Einzelheiten übereilt
gearbeitet war) fand seine Gegner auch in der nationalliberalen Partei. Es
war die Zeit, wo soeben der Eintritt Bennigsens in das Ministerium gescheitert
war, und darnach glaubte man umso mehr, an den liberalen Grundsätzen fest¬
halten zu müssen. In seltsamem Gegensatz zu der zwei Jahre früher geübten
Bekämpfung des auf dem Wege des gemeinen Rechtes versuchten Vorschreitens
stellte man nun unter den Gründen der Bekämpfung den Satz ans: es dürfe
gegen die Sozialdemokratie nur in Form des gemeinen Rechts vorgeschritten
werden. Auch die große Rede, mit welcher am 23. Mai 1878 Herr von
Bennigsen, ganz vom liberalen Standpunkte aus, die Vorlage bekämpfte, war
von dieser Anschauung beherrscht. "Wir wollen auf dem Boden des gemeinen
Rechtes die Gefahr bekämpfe". Wir halten die Zustände in Deutschland noch
für gesund und kräftig genug, daß diese ein solches Gesetz zu ihrem Schutze
nicht brauchen." So lautete der Schluß seiner Rede. Die Vorlage wurde
wieder abgelehnt. Es bedürfte erst der neuen Unthat Nobilings, um die -- in¬
zwischen bei den Neuwahlen stark zusammengeschmolzenen -- Nationalliberalen
zu überzeugen, daß ein kräftigerer Schutz von nöten sei. Nun trat bei der
Beratung Herr Bamberger auf und begründete in seiner oft angeführten Rede
die Gefahren der Sozialdemokratie und die Notwendigkeit, mit außerordentlichen
Mitteln gegen sie vorzuschreiten. So kam das Sozialistengesetz zu stände, das
jetzt nach zehnjähriger Geltung zum fünften male verlängert worden ist.

Stellen wir nun einmal die Frage: War es wohlgethan, in gedachter
Weise mit einem gegen die Sozialdemokratie gerichteten Spezialgesetze vorzugehen?
so antworten wir darauf, nicht etwa vom reaktionären, sondern vom liberalen
Standpunkte, mit einem entschiedenen Ja. Auch bei dieser Gelegenheit wieder
hat sich der Reichskanzler als der praktische Mann, als der realistische Politiker
gezeigt. Das Gesetz ließ die durch Reichs- und Landesgesetzgebung begründeten
Freiheiten sür alle übrigen Parteien völlig unberührt. Nur da, wo die augen¬
scheinliche Gefahr für das Staatswohl drohte, griff es nachdrücklich ein. Damit
traf es den Nagel auf den Kopf. Hätte man Paragraphen cmsgeklügelt, die
auf dem Wege des gemeinen Rechtes Schutz hätten gewähren sollen, so würden
diese entweder zur wirksamen Unterdrückung der sozialdemokratischen Agitation


Das Sozialistengesetz und die Rückkehr zum gemeinen Recht.

gedacht hatte. Die gegen das geheiligte Haupt unsers Kaisers gerichteten Schüsse
zweier Mordgesellen waren es, die die Sachlage erschreckend aufklärten. Es
war auch unmöglich, die Schandthaten dieser Bösewichter nur als vereinzelte
Erscheinungen anzusehen, da vielfach aus der Hefe des Volkes Stimmen auf¬
tauchten, welche laut beklagten, daß die Versuche nicht gelungen waren. Nun
konnte man keinen Zweifel mehr hegen, welche Verwilderung durch die wüste
Agitation der Sozialdemokratie in die Volksmassen hineingetragen sei. Dennoch
genügte der Schuß Hotels noch nicht, um die Mehrheit des Reichstages von
der Notwendigkeit eines nachdrücklichen Einschreitens zu überzeugen. Das Sozia¬
listengesetz in seiner ersten Vorlage (die freilich in ihren Einzelheiten übereilt
gearbeitet war) fand seine Gegner auch in der nationalliberalen Partei. Es
war die Zeit, wo soeben der Eintritt Bennigsens in das Ministerium gescheitert
war, und darnach glaubte man umso mehr, an den liberalen Grundsätzen fest¬
halten zu müssen. In seltsamem Gegensatz zu der zwei Jahre früher geübten
Bekämpfung des auf dem Wege des gemeinen Rechtes versuchten Vorschreitens
stellte man nun unter den Gründen der Bekämpfung den Satz ans: es dürfe
gegen die Sozialdemokratie nur in Form des gemeinen Rechts vorgeschritten
werden. Auch die große Rede, mit welcher am 23. Mai 1878 Herr von
Bennigsen, ganz vom liberalen Standpunkte aus, die Vorlage bekämpfte, war
von dieser Anschauung beherrscht. „Wir wollen auf dem Boden des gemeinen
Rechtes die Gefahr bekämpfe». Wir halten die Zustände in Deutschland noch
für gesund und kräftig genug, daß diese ein solches Gesetz zu ihrem Schutze
nicht brauchen." So lautete der Schluß seiner Rede. Die Vorlage wurde
wieder abgelehnt. Es bedürfte erst der neuen Unthat Nobilings, um die — in¬
zwischen bei den Neuwahlen stark zusammengeschmolzenen — Nationalliberalen
zu überzeugen, daß ein kräftigerer Schutz von nöten sei. Nun trat bei der
Beratung Herr Bamberger auf und begründete in seiner oft angeführten Rede
die Gefahren der Sozialdemokratie und die Notwendigkeit, mit außerordentlichen
Mitteln gegen sie vorzuschreiten. So kam das Sozialistengesetz zu stände, das
jetzt nach zehnjähriger Geltung zum fünften male verlängert worden ist.

Stellen wir nun einmal die Frage: War es wohlgethan, in gedachter
Weise mit einem gegen die Sozialdemokratie gerichteten Spezialgesetze vorzugehen?
so antworten wir darauf, nicht etwa vom reaktionären, sondern vom liberalen
Standpunkte, mit einem entschiedenen Ja. Auch bei dieser Gelegenheit wieder
hat sich der Reichskanzler als der praktische Mann, als der realistische Politiker
gezeigt. Das Gesetz ließ die durch Reichs- und Landesgesetzgebung begründeten
Freiheiten sür alle übrigen Parteien völlig unberührt. Nur da, wo die augen¬
scheinliche Gefahr für das Staatswohl drohte, griff es nachdrücklich ein. Damit
traf es den Nagel auf den Kopf. Hätte man Paragraphen cmsgeklügelt, die
auf dem Wege des gemeinen Rechtes Schutz hätten gewähren sollen, so würden
diese entweder zur wirksamen Unterdrückung der sozialdemokratischen Agitation


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/531>, abgerufen am 28.09.2024.