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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Zu Mondschein mit Goethe.

Bist du denn wirklich tot, v Mond? Nach irdischen Begriffen ja! Wo
aber wären sie denn hin, die Millionen einzelner Funken des Weltgeistes, die
vormals auch auf dir blitzend und erkennend sich offenbarten? Sind sie spurlos
versprüht? Verflüchtigt er sich ins Nichts, der Weltengeist, mit dem Verfall
der Weltenkörper, in denen er sich regte? Und können sie ins Nichts zerfallen,
diese Welten? Ist alles nur eine Durchgangsentwicklung zum großen Nirwan?
Nein! Die Menschen, die einst ans dir wandelten und dachten, als du noch
keine ausgebrannte Schlacke warst, haben jedenfalls so gut erkannt wie wir, daß
du aus denselben Urstoffen zusammengesetzt bist wie der Weltenball, den der
bewegliche Käfig unsers Geistes täglich mit Füßen tritt, aus denselben Elementen
wie Großmutter Sonne, wie alle Weltenkörper überhaupt, und daß kein Körnchen
dieser Stoffe jemals verloren gehen kann, daß im All nicht Untergang -- wohin
mich? -- und Leere das letzte ist, sondern nnr Wechsel herrscht und Umgestaltung,
daß es folglich überhaupt kein letztes giebt, sondern nur eine Ewigkeit. Mögen deine
Trümmer, o Mond, sich dereinst zerstreuen, wohin immer, jedes Atom wird sich
wieder einfügen in irgend ein Gebilde, in welchem der Weltgeist wieder eine Wohn¬
stätte finden muß. Jetzt bist du noch körperlich. Bist du nicht mehr, ist anch
die Erde nicht mehr, da werden deine zersetzten Atome in Millionen andrer
Körper den Augen andrer Weltenbewohner wieder entgegenflimmern. Deß sind
wir, zu dir aufschauend, gewiß! Das kündet uns der wimmelnde Sternenhimmel,
mit seinen fallenden Schnuppen, dein eignes Bild.


Sternenglanz, ein liebereich Beteuern,
Mondenschimmer, liebevoll Vertrau'"!

(Pandora, erster Auszug.)

Vertrauen! Und damit zieht schon das beseligende Vollgefühl der Gewi߬
heit künftigen Lebens in unser Gemüt ein, wenn wir in ernster Stimmung zum
Monde aufschauen. Wir begreifen, daß auch wir als das, was wir jetzt siud,
dereinst zur Ruhe kommen, d. h. uns auflösen müssen, wie auch er sich einst
gänzlich auflösen wird. Aber wir fühlen zugleich, daß der Tod nur den Über¬
gang zu andern Daseinsformen bedeutet, die wir zwar nicht zu erkennen ver¬
mögen, aber dennoch ahnen und vertrauensvoll voraussetzen, nach denen wir
hinstreben, wenn das Leben, das wir jetzt leben, mit dem Verfall der Hülle des
uns beseelenden Geistesfunkens oder infolge uns bedrängender irdischer Qualen
seinen Reiz verliert. Das ist die Stimmung Fausts in dem Augenblick, wo er
die "einzige Phiole" mit dem braunen Wundersaft aus ihrem alten Futterale
löst, es ist die Grundstimmung seines Gemütes schon bei seinen frühern Worten:


O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letzten mal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An meinem Pult hcrangewacht!
Dann über Büchern und Papier,
Trübsal'gar Freund, erschienst du mir!

Zu Mondschein mit Goethe.

Bist du denn wirklich tot, v Mond? Nach irdischen Begriffen ja! Wo
aber wären sie denn hin, die Millionen einzelner Funken des Weltgeistes, die
vormals auch auf dir blitzend und erkennend sich offenbarten? Sind sie spurlos
versprüht? Verflüchtigt er sich ins Nichts, der Weltengeist, mit dem Verfall
der Weltenkörper, in denen er sich regte? Und können sie ins Nichts zerfallen,
diese Welten? Ist alles nur eine Durchgangsentwicklung zum großen Nirwan?
Nein! Die Menschen, die einst ans dir wandelten und dachten, als du noch
keine ausgebrannte Schlacke warst, haben jedenfalls so gut erkannt wie wir, daß
du aus denselben Urstoffen zusammengesetzt bist wie der Weltenball, den der
bewegliche Käfig unsers Geistes täglich mit Füßen tritt, aus denselben Elementen
wie Großmutter Sonne, wie alle Weltenkörper überhaupt, und daß kein Körnchen
dieser Stoffe jemals verloren gehen kann, daß im All nicht Untergang — wohin
mich? — und Leere das letzte ist, sondern nnr Wechsel herrscht und Umgestaltung,
daß es folglich überhaupt kein letztes giebt, sondern nur eine Ewigkeit. Mögen deine
Trümmer, o Mond, sich dereinst zerstreuen, wohin immer, jedes Atom wird sich
wieder einfügen in irgend ein Gebilde, in welchem der Weltgeist wieder eine Wohn¬
stätte finden muß. Jetzt bist du noch körperlich. Bist du nicht mehr, ist anch
die Erde nicht mehr, da werden deine zersetzten Atome in Millionen andrer
Körper den Augen andrer Weltenbewohner wieder entgegenflimmern. Deß sind
wir, zu dir aufschauend, gewiß! Das kündet uns der wimmelnde Sternenhimmel,
mit seinen fallenden Schnuppen, dein eignes Bild.


Sternenglanz, ein liebereich Beteuern,
Mondenschimmer, liebevoll Vertrau'»!

(Pandora, erster Auszug.)

Vertrauen! Und damit zieht schon das beseligende Vollgefühl der Gewi߬
heit künftigen Lebens in unser Gemüt ein, wenn wir in ernster Stimmung zum
Monde aufschauen. Wir begreifen, daß auch wir als das, was wir jetzt siud,
dereinst zur Ruhe kommen, d. h. uns auflösen müssen, wie auch er sich einst
gänzlich auflösen wird. Aber wir fühlen zugleich, daß der Tod nur den Über¬
gang zu andern Daseinsformen bedeutet, die wir zwar nicht zu erkennen ver¬
mögen, aber dennoch ahnen und vertrauensvoll voraussetzen, nach denen wir
hinstreben, wenn das Leben, das wir jetzt leben, mit dem Verfall der Hülle des
uns beseelenden Geistesfunkens oder infolge uns bedrängender irdischer Qualen
seinen Reiz verliert. Das ist die Stimmung Fausts in dem Augenblick, wo er
die „einzige Phiole" mit dem braunen Wundersaft aus ihrem alten Futterale
löst, es ist die Grundstimmung seines Gemütes schon bei seinen frühern Worten:


O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letzten mal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An meinem Pult hcrangewacht!
Dann über Büchern und Papier,
Trübsal'gar Freund, erschienst du mir!

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[0522] Zu Mondschein mit Goethe. Bist du denn wirklich tot, v Mond? Nach irdischen Begriffen ja! Wo aber wären sie denn hin, die Millionen einzelner Funken des Weltgeistes, die vormals auch auf dir blitzend und erkennend sich offenbarten? Sind sie spurlos versprüht? Verflüchtigt er sich ins Nichts, der Weltengeist, mit dem Verfall der Weltenkörper, in denen er sich regte? Und können sie ins Nichts zerfallen, diese Welten? Ist alles nur eine Durchgangsentwicklung zum großen Nirwan? Nein! Die Menschen, die einst ans dir wandelten und dachten, als du noch keine ausgebrannte Schlacke warst, haben jedenfalls so gut erkannt wie wir, daß du aus denselben Urstoffen zusammengesetzt bist wie der Weltenball, den der bewegliche Käfig unsers Geistes täglich mit Füßen tritt, aus denselben Elementen wie Großmutter Sonne, wie alle Weltenkörper überhaupt, und daß kein Körnchen dieser Stoffe jemals verloren gehen kann, daß im All nicht Untergang — wohin mich? — und Leere das letzte ist, sondern nnr Wechsel herrscht und Umgestaltung, daß es folglich überhaupt kein letztes giebt, sondern nur eine Ewigkeit. Mögen deine Trümmer, o Mond, sich dereinst zerstreuen, wohin immer, jedes Atom wird sich wieder einfügen in irgend ein Gebilde, in welchem der Weltgeist wieder eine Wohn¬ stätte finden muß. Jetzt bist du noch körperlich. Bist du nicht mehr, ist anch die Erde nicht mehr, da werden deine zersetzten Atome in Millionen andrer Körper den Augen andrer Weltenbewohner wieder entgegenflimmern. Deß sind wir, zu dir aufschauend, gewiß! Das kündet uns der wimmelnde Sternenhimmel, mit seinen fallenden Schnuppen, dein eignes Bild. Sternenglanz, ein liebereich Beteuern, Mondenschimmer, liebevoll Vertrau'»! (Pandora, erster Auszug.) Vertrauen! Und damit zieht schon das beseligende Vollgefühl der Gewi߬ heit künftigen Lebens in unser Gemüt ein, wenn wir in ernster Stimmung zum Monde aufschauen. Wir begreifen, daß auch wir als das, was wir jetzt siud, dereinst zur Ruhe kommen, d. h. uns auflösen müssen, wie auch er sich einst gänzlich auflösen wird. Aber wir fühlen zugleich, daß der Tod nur den Über¬ gang zu andern Daseinsformen bedeutet, die wir zwar nicht zu erkennen ver¬ mögen, aber dennoch ahnen und vertrauensvoll voraussetzen, nach denen wir hinstreben, wenn das Leben, das wir jetzt leben, mit dem Verfall der Hülle des uns beseelenden Geistesfunkens oder infolge uns bedrängender irdischer Qualen seinen Reiz verliert. Das ist die Stimmung Fausts in dem Augenblick, wo er die „einzige Phiole" mit dem braunen Wundersaft aus ihrem alten Futterale löst, es ist die Grundstimmung seines Gemütes schon bei seinen frühern Worten: O sähst du, voller Mondenschein, Zum letzten mal auf meine Pein, Den ich so manche Mitternacht An meinem Pult hcrangewacht! Dann über Büchern und Papier, Trübsal'gar Freund, erschienst du mir!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/522>, abgerufen am 27.06.2024.