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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Im Mondschein mit Goethe.

er leistet sie willig, unbekümmert darum, daß man oft auch sehr ungerechte
Forderungen an ihn stellt -- denn was kann er dafür, wenn finstre Wolken¬
massen sich zwischen ihn und uns schieben, und die hohe Obrigkeit sich gleichwohl
auf seine Hilfe hartnäckig steift?


Der Mond soll im Kalender stehn,
Doch auf den Straßen ist er nicht zu sehn , (Zahme Xenien, V.) Warum darauf die Polizei nicht achtet!

Aber daran ist ja nur dem Philister gelegen, der da schimpft, wenn er
das himmlische Nachtlicht nicht sieht, aber gleichwohl zu danken vergißt, wenn
es ihm von der Stammkneipe heimleuchtet, als

gedrechselte Laterne
Überleuchtct alle Sterne
,
(Triumph der Empfindsamkeit, zweiter Akt)

und das kann ihm gleichgiltig sein, unserm lieben Freund am Himmel.

Wir aber, die wir keine Philister sind, wir fühlen ganz andre Regungen
in unsrer Brust bei seinem Anblick, bei seinem wechselnden Wachsen und Schwinden,
Glühen und Dämmern, Aufstrahlen in reiner Luft und Begrabenwerden in
Wetterwolken.

Die Sonne, deren vernichtenden Blick wir ungestraft gar nicht begegnen
dürfen, umgießt uns alle mit jener fürchterlichen Helle, die uns rücksichtslos
die Gegenwart enthüllt mit allen ihren Schönheiten und -- häßlichen Fratzen!
In ihrem Lichte müssen wir schaffen und ringen, es stellt unser kleines Ich
-- für uns so groß, für Viele alles -- unbarmherzig den Blicken der ganzen Welt
bloß; da müssen wir sinnen und sorgen, daß wir nicht selber zur Fratze werden
vor all den Augen, die auf uns gerichtet sind mit tausenderlei Hoffnungen und
Befürchtungen, Erwartungen und Ansprüchen, in Liebe und Haß, Vertrauen
und Hinterlist.

Säule die Sonne, ohne daß ein Mond im Wechselreihen mit ihr zeitweilig
die folgende Nacht regierte, unser Dasein fiele aus blendendem Tagesglanz voll
rauschender Lebensarbeit immer nur zurück in tiefes, naturgemäß lediglich durch
deu Schlaf überwindliches Dunkel, und so wiederum und wiederum, fort und fort,
bis unsre letzte Nacht an das ewige Dunkel der Grabkammer sich anschlösse.

Diese Schroffheit gleicht er aufs freundlichste ans, unser kleiner Nacht¬
regent !


Es säuselt der Abend,
Es sinket die Sonne
Erquickend und labend
In Thau und in Wonne;
In Nebel und Flor
schwankt Luna hervor. . . .

Im Mondschein mit Goethe.

er leistet sie willig, unbekümmert darum, daß man oft auch sehr ungerechte
Forderungen an ihn stellt — denn was kann er dafür, wenn finstre Wolken¬
massen sich zwischen ihn und uns schieben, und die hohe Obrigkeit sich gleichwohl
auf seine Hilfe hartnäckig steift?


Der Mond soll im Kalender stehn,
Doch auf den Straßen ist er nicht zu sehn , (Zahme Xenien, V.) Warum darauf die Polizei nicht achtet!

Aber daran ist ja nur dem Philister gelegen, der da schimpft, wenn er
das himmlische Nachtlicht nicht sieht, aber gleichwohl zu danken vergißt, wenn
es ihm von der Stammkneipe heimleuchtet, als

gedrechselte Laterne
Überleuchtct alle Sterne
,
(Triumph der Empfindsamkeit, zweiter Akt)

und das kann ihm gleichgiltig sein, unserm lieben Freund am Himmel.

Wir aber, die wir keine Philister sind, wir fühlen ganz andre Regungen
in unsrer Brust bei seinem Anblick, bei seinem wechselnden Wachsen und Schwinden,
Glühen und Dämmern, Aufstrahlen in reiner Luft und Begrabenwerden in
Wetterwolken.

Die Sonne, deren vernichtenden Blick wir ungestraft gar nicht begegnen
dürfen, umgießt uns alle mit jener fürchterlichen Helle, die uns rücksichtslos
die Gegenwart enthüllt mit allen ihren Schönheiten und — häßlichen Fratzen!
In ihrem Lichte müssen wir schaffen und ringen, es stellt unser kleines Ich
— für uns so groß, für Viele alles — unbarmherzig den Blicken der ganzen Welt
bloß; da müssen wir sinnen und sorgen, daß wir nicht selber zur Fratze werden
vor all den Augen, die auf uns gerichtet sind mit tausenderlei Hoffnungen und
Befürchtungen, Erwartungen und Ansprüchen, in Liebe und Haß, Vertrauen
und Hinterlist.

Säule die Sonne, ohne daß ein Mond im Wechselreihen mit ihr zeitweilig
die folgende Nacht regierte, unser Dasein fiele aus blendendem Tagesglanz voll
rauschender Lebensarbeit immer nur zurück in tiefes, naturgemäß lediglich durch
deu Schlaf überwindliches Dunkel, und so wiederum und wiederum, fort und fort,
bis unsre letzte Nacht an das ewige Dunkel der Grabkammer sich anschlösse.

Diese Schroffheit gleicht er aufs freundlichste ans, unser kleiner Nacht¬
regent !


Es säuselt der Abend,
Es sinket die Sonne
Erquickend und labend
In Thau und in Wonne;
In Nebel und Flor
schwankt Luna hervor. . . .

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[0514] Im Mondschein mit Goethe. er leistet sie willig, unbekümmert darum, daß man oft auch sehr ungerechte Forderungen an ihn stellt — denn was kann er dafür, wenn finstre Wolken¬ massen sich zwischen ihn und uns schieben, und die hohe Obrigkeit sich gleichwohl auf seine Hilfe hartnäckig steift? Der Mond soll im Kalender stehn, Doch auf den Straßen ist er nicht zu sehn , (Zahme Xenien, V.) Warum darauf die Polizei nicht achtet! Aber daran ist ja nur dem Philister gelegen, der da schimpft, wenn er das himmlische Nachtlicht nicht sieht, aber gleichwohl zu danken vergißt, wenn es ihm von der Stammkneipe heimleuchtet, als gedrechselte Laterne Überleuchtct alle Sterne , (Triumph der Empfindsamkeit, zweiter Akt) und das kann ihm gleichgiltig sein, unserm lieben Freund am Himmel. Wir aber, die wir keine Philister sind, wir fühlen ganz andre Regungen in unsrer Brust bei seinem Anblick, bei seinem wechselnden Wachsen und Schwinden, Glühen und Dämmern, Aufstrahlen in reiner Luft und Begrabenwerden in Wetterwolken. Die Sonne, deren vernichtenden Blick wir ungestraft gar nicht begegnen dürfen, umgießt uns alle mit jener fürchterlichen Helle, die uns rücksichtslos die Gegenwart enthüllt mit allen ihren Schönheiten und — häßlichen Fratzen! In ihrem Lichte müssen wir schaffen und ringen, es stellt unser kleines Ich — für uns so groß, für Viele alles — unbarmherzig den Blicken der ganzen Welt bloß; da müssen wir sinnen und sorgen, daß wir nicht selber zur Fratze werden vor all den Augen, die auf uns gerichtet sind mit tausenderlei Hoffnungen und Befürchtungen, Erwartungen und Ansprüchen, in Liebe und Haß, Vertrauen und Hinterlist. Säule die Sonne, ohne daß ein Mond im Wechselreihen mit ihr zeitweilig die folgende Nacht regierte, unser Dasein fiele aus blendendem Tagesglanz voll rauschender Lebensarbeit immer nur zurück in tiefes, naturgemäß lediglich durch deu Schlaf überwindliches Dunkel, und so wiederum und wiederum, fort und fort, bis unsre letzte Nacht an das ewige Dunkel der Grabkammer sich anschlösse. Diese Schroffheit gleicht er aufs freundlichste ans, unser kleiner Nacht¬ regent ! Es säuselt der Abend, Es sinket die Sonne Erquickend und labend In Thau und in Wonne; In Nebel und Flor schwankt Luna hervor. . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/514>, abgerufen am 28.09.2024.