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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokrcitie und die Schweiz,

Er vergißt freilich dabei, daß ohne die Thätigkeit dieser von ihm mit Vergnügen
angefeindeten Polizei er seinen Kaffee nicht mit Ruhe trinken und seine Zigarre
nicht mit Behagen würde rauchen können. Es schadet nichts; die deutsche Polizei
hat immer Unrecht und die Schweizer Polizei schon deshalb Recht, weil sie eine
ausländische ist.

Die Enthüllungen der sozialdemokratischen Abgeordneten sind gewiß wertvoll
gewesen, aber freilich in einem andern als dem beabsichtigten Sinne. Was bisher
nur in kleinern Kreisen bekannt gewesen ist, das wurde durch die Herren Bebel
und Singer nunmehr dem ganzen deutschen Volke offenbar: daß die deutsche
Revolution in der Schweiz ihren Nährboden hat.

Das Asylrecht der Staaten ist gewiß eine heilige Einrichtung, und es soll
nichts dagegen eingewendet werden, daß dem politischen Flüchtling, den seine
Politischen Meinungen aus der Heimat verjagt haben, eine Zuflucht gewährt
wird. Damit erschöpft sich aber auch das Asylrccht. Wenn die Revolutionäre
andrer Länder nach der Schweiz fliehen, so wird niemand etwas dagegen haben,
daß sie dort leben und unangefochten ihrem Erwerb nachgehen. Aber etwas
andres ist es, wenn sie von der Schweiz aus ihre revolutionären Umtriebe gegen
den Heimatsstaat fortsetzen und das ihnen gewährte Asylrccht dazu mißbrauchen,
daß sie unbehelligt ihre verbrecherische Thätigkeit gegen ihr Vaterland weiter
betreiben und in ihrem Handeln noch die Unterstützung der Behörden des Zu-
flnchtsstaates finden. Die deutschen Sozialdemokraten und Anarchisten erreiche"
die sehr bequem gelegene Schweiz leicht; sie finden dort nicht nur Gesinnungsge¬
nossen, sondern auch Vereine, in denen sie Unterstützung und Hilfe für ihre revolu¬
tionären Pläne erhalten. Denn der freie Schweizer zieht zwar im Sommer als
Hotelwirt und ähnlicher Erwerbsgenosse von den in seine Berge reisenden fremden
Fürstenknechtcn nach Kräften Nutzen, in den andern neun Monaten aber sinnt
er darauf, wie er die übrige Welt von den Tyrannen befreie. Wir brauchen
nur daran zu erinnern, daß eine Reihe der jüngsten anarchistischen Verbrechen in
der Schweiz geplant worden ist und von der Schweiz aus Unterstützung er¬
halten hat. Fast alle die anarchistischen Verbrecher, welche von dem Reichs¬
gericht verurteilt wurden, haben in der Schweiz die hohe Schule der über¬
nationalen Revolution durchgemacht. Erst wenn die Sache sehr arg wurde und
von allen Nachbarstaaten her sich Klagen über Klagen häuften, hat der Schweizer
Bundesrat sich veranlaßt gesehen, einige der schlimmsten Anarchisten und Nihilisten
auszuweisen. In der Sache selbst wurde dadurch nicht viel geändert. In der
Schweiz hält die Sozialdemokratie ihre Vereinstage ab, wo -- wie im ver¬
flossenen Herbst bei Se. Gallen -- die Häupter zusammentreten, um über die
Plane zum Umsturz der bestehenden Ordnung in Deutschland zu beraten. In
der Schweiz erscheint das amtliche Blatt der deutschen Sozialdemokratie, der
..Sozialdemokrat," welcher die Revolution in Deutschland predigt, zu Verbrechen
aufreizt und sich in Schmähungen gegen alles überbietet, was dem deutschen


Die Sozialdemokrcitie und die Schweiz,

Er vergißt freilich dabei, daß ohne die Thätigkeit dieser von ihm mit Vergnügen
angefeindeten Polizei er seinen Kaffee nicht mit Ruhe trinken und seine Zigarre
nicht mit Behagen würde rauchen können. Es schadet nichts; die deutsche Polizei
hat immer Unrecht und die Schweizer Polizei schon deshalb Recht, weil sie eine
ausländische ist.

Die Enthüllungen der sozialdemokratischen Abgeordneten sind gewiß wertvoll
gewesen, aber freilich in einem andern als dem beabsichtigten Sinne. Was bisher
nur in kleinern Kreisen bekannt gewesen ist, das wurde durch die Herren Bebel
und Singer nunmehr dem ganzen deutschen Volke offenbar: daß die deutsche
Revolution in der Schweiz ihren Nährboden hat.

Das Asylrecht der Staaten ist gewiß eine heilige Einrichtung, und es soll
nichts dagegen eingewendet werden, daß dem politischen Flüchtling, den seine
Politischen Meinungen aus der Heimat verjagt haben, eine Zuflucht gewährt
wird. Damit erschöpft sich aber auch das Asylrccht. Wenn die Revolutionäre
andrer Länder nach der Schweiz fliehen, so wird niemand etwas dagegen haben,
daß sie dort leben und unangefochten ihrem Erwerb nachgehen. Aber etwas
andres ist es, wenn sie von der Schweiz aus ihre revolutionären Umtriebe gegen
den Heimatsstaat fortsetzen und das ihnen gewährte Asylrccht dazu mißbrauchen,
daß sie unbehelligt ihre verbrecherische Thätigkeit gegen ihr Vaterland weiter
betreiben und in ihrem Handeln noch die Unterstützung der Behörden des Zu-
flnchtsstaates finden. Die deutschen Sozialdemokraten und Anarchisten erreiche»
die sehr bequem gelegene Schweiz leicht; sie finden dort nicht nur Gesinnungsge¬
nossen, sondern auch Vereine, in denen sie Unterstützung und Hilfe für ihre revolu¬
tionären Pläne erhalten. Denn der freie Schweizer zieht zwar im Sommer als
Hotelwirt und ähnlicher Erwerbsgenosse von den in seine Berge reisenden fremden
Fürstenknechtcn nach Kräften Nutzen, in den andern neun Monaten aber sinnt
er darauf, wie er die übrige Welt von den Tyrannen befreie. Wir brauchen
nur daran zu erinnern, daß eine Reihe der jüngsten anarchistischen Verbrechen in
der Schweiz geplant worden ist und von der Schweiz aus Unterstützung er¬
halten hat. Fast alle die anarchistischen Verbrecher, welche von dem Reichs¬
gericht verurteilt wurden, haben in der Schweiz die hohe Schule der über¬
nationalen Revolution durchgemacht. Erst wenn die Sache sehr arg wurde und
von allen Nachbarstaaten her sich Klagen über Klagen häuften, hat der Schweizer
Bundesrat sich veranlaßt gesehen, einige der schlimmsten Anarchisten und Nihilisten
auszuweisen. In der Sache selbst wurde dadurch nicht viel geändert. In der
Schweiz hält die Sozialdemokratie ihre Vereinstage ab, wo — wie im ver¬
flossenen Herbst bei Se. Gallen — die Häupter zusammentreten, um über die
Plane zum Umsturz der bestehenden Ordnung in Deutschland zu beraten. In
der Schweiz erscheint das amtliche Blatt der deutschen Sozialdemokratie, der
..Sozialdemokrat," welcher die Revolution in Deutschland predigt, zu Verbrechen
aufreizt und sich in Schmähungen gegen alles überbietet, was dem deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/483>, abgerufen am 28.09.2024.