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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Sie blickte sich vorsichtig um, ob sie auch ganz allein seien, während Rebekka
ihre Augen nicht abwendete und kaum zu atmen wagte. Dein Sohn lebt!

Rebekka erbleichte und schwankte.

Jeschka umfaßte sie, und indem sie sich langsam mit ihr niederließ, legte
sie ihren Kopf an ihre Brust und hielt sie fest. Nach und nach kehrte die Farbe
in Rebekkcis Antlitz zurück, sie richtete sich auf.

Spottest du der Verzweiflung einer Mutter?

Ich rede wahr, so wahr der Ewige mich hört!

Mit einem durchdringenden Schrei fiel Rebekka auf ihre Kniee.

So möge der Herr Zebaoth meine Worte hören! Möge sich jedes Wort
des Fluches, den ich einst auf das Haupt meines Sohnes David herab gerufen
habe, gegen mich wenden, wenn ich es nicht jetzt, hier widerrufe. Die geringste
Speise, der schlechteste Trank mögen seinen Leib nähren und erhalten, der Thau
des Himmels, die Strahlen der Sonne mögen ihn erquicken und Wärmen wie
eine Pflanze, Glück und Gedeihen möge unter seinen Schritten sprießen, und
was er beginnt, zum Segen ausschlagen! Möge ihm Freude auf allen Wegen
erblühen, und er Ruhe finden, wo immer seine Füße einkehren, und möge er
geehrt und hoch dastehen unter den Menschen!

Dann erhob sie sich wieder und streckte die Arme gen Himmel. -

Allmächtiger Gott! Wende deinen Zorn! Neige dein Antlitz gnädig zu
uns! Laß deine Strafen nicht mehr auf uns ruhen, sondern laß dein Antlitz
über uns leuchten! Wo ist mein Sohn, mein David? Führe mich hin zu
ihm, ich bin stark und kräftig, und mein Herz sehnt sich nach seinem Anblick.
Nach diesen Worten wendete sie sich dann zu Jeschka, welche ehrfurchtsvoll,
mit thränenden Augen, in einiger Entfernung gestanden hatte.

Er ist weit von hier. Ich bin viele, viele Stunden gefahren und gewandert,
um dir die Nachricht seines Lebens zu bringen, und will nun wieder zurück,
um ihm zu sagen, daß du ihn segnest, auf daß er Ruhe finde. Denn seine
Füße haben ihn ruhelos umhergetragen, seine Gebeine haben gezittert und gezagt
unter der Last deines Fluches, und Elend und Not haben sich an seine Fersen
geheftet.

Möge der Sohn meines Leibes mir verzeihen, was ich ihm zu leide ge¬
than, sagte Rebekka, ihr Haupt demütig beugend. Komm mit in mein Haus!
Keine andern Hände als die meinen sollen dir dein Lager bereiten. Mein
Mund soll dich willkommen heißen in den Mauern meines Hauses, denn du
bist zu mir gekommen als eine Botin des Friedens und der Freude für mein
zerschlagenes Herz. Das Haus der Beronski ist dein, und Rebekka wird dir
die Hände unter deine Füße legen, auf daß du weich gehest.

Deine Freude und die Gewißheit von deines Sohnes Glück und Ruhe
sind mein Lohn, entgegnete Jeschka abwehrend. Auch deine Enkelin Rahel lebt
und ist gesund.


David Beronski.

Sie blickte sich vorsichtig um, ob sie auch ganz allein seien, während Rebekka
ihre Augen nicht abwendete und kaum zu atmen wagte. Dein Sohn lebt!

Rebekka erbleichte und schwankte.

Jeschka umfaßte sie, und indem sie sich langsam mit ihr niederließ, legte
sie ihren Kopf an ihre Brust und hielt sie fest. Nach und nach kehrte die Farbe
in Rebekkcis Antlitz zurück, sie richtete sich auf.

Spottest du der Verzweiflung einer Mutter?

Ich rede wahr, so wahr der Ewige mich hört!

Mit einem durchdringenden Schrei fiel Rebekka auf ihre Kniee.

So möge der Herr Zebaoth meine Worte hören! Möge sich jedes Wort
des Fluches, den ich einst auf das Haupt meines Sohnes David herab gerufen
habe, gegen mich wenden, wenn ich es nicht jetzt, hier widerrufe. Die geringste
Speise, der schlechteste Trank mögen seinen Leib nähren und erhalten, der Thau
des Himmels, die Strahlen der Sonne mögen ihn erquicken und Wärmen wie
eine Pflanze, Glück und Gedeihen möge unter seinen Schritten sprießen, und
was er beginnt, zum Segen ausschlagen! Möge ihm Freude auf allen Wegen
erblühen, und er Ruhe finden, wo immer seine Füße einkehren, und möge er
geehrt und hoch dastehen unter den Menschen!

Dann erhob sie sich wieder und streckte die Arme gen Himmel. -

Allmächtiger Gott! Wende deinen Zorn! Neige dein Antlitz gnädig zu
uns! Laß deine Strafen nicht mehr auf uns ruhen, sondern laß dein Antlitz
über uns leuchten! Wo ist mein Sohn, mein David? Führe mich hin zu
ihm, ich bin stark und kräftig, und mein Herz sehnt sich nach seinem Anblick.
Nach diesen Worten wendete sie sich dann zu Jeschka, welche ehrfurchtsvoll,
mit thränenden Augen, in einiger Entfernung gestanden hatte.

Er ist weit von hier. Ich bin viele, viele Stunden gefahren und gewandert,
um dir die Nachricht seines Lebens zu bringen, und will nun wieder zurück,
um ihm zu sagen, daß du ihn segnest, auf daß er Ruhe finde. Denn seine
Füße haben ihn ruhelos umhergetragen, seine Gebeine haben gezittert und gezagt
unter der Last deines Fluches, und Elend und Not haben sich an seine Fersen
geheftet.

Möge der Sohn meines Leibes mir verzeihen, was ich ihm zu leide ge¬
than, sagte Rebekka, ihr Haupt demütig beugend. Komm mit in mein Haus!
Keine andern Hände als die meinen sollen dir dein Lager bereiten. Mein
Mund soll dich willkommen heißen in den Mauern meines Hauses, denn du
bist zu mir gekommen als eine Botin des Friedens und der Freude für mein
zerschlagenes Herz. Das Haus der Beronski ist dein, und Rebekka wird dir
die Hände unter deine Füße legen, auf daß du weich gehest.

Deine Freude und die Gewißheit von deines Sohnes Glück und Ruhe
sind mein Lohn, entgegnete Jeschka abwehrend. Auch deine Enkelin Rahel lebt
und ist gesund.


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[0470] David Beronski. Sie blickte sich vorsichtig um, ob sie auch ganz allein seien, während Rebekka ihre Augen nicht abwendete und kaum zu atmen wagte. Dein Sohn lebt! Rebekka erbleichte und schwankte. Jeschka umfaßte sie, und indem sie sich langsam mit ihr niederließ, legte sie ihren Kopf an ihre Brust und hielt sie fest. Nach und nach kehrte die Farbe in Rebekkcis Antlitz zurück, sie richtete sich auf. Spottest du der Verzweiflung einer Mutter? Ich rede wahr, so wahr der Ewige mich hört! Mit einem durchdringenden Schrei fiel Rebekka auf ihre Kniee. So möge der Herr Zebaoth meine Worte hören! Möge sich jedes Wort des Fluches, den ich einst auf das Haupt meines Sohnes David herab gerufen habe, gegen mich wenden, wenn ich es nicht jetzt, hier widerrufe. Die geringste Speise, der schlechteste Trank mögen seinen Leib nähren und erhalten, der Thau des Himmels, die Strahlen der Sonne mögen ihn erquicken und Wärmen wie eine Pflanze, Glück und Gedeihen möge unter seinen Schritten sprießen, und was er beginnt, zum Segen ausschlagen! Möge ihm Freude auf allen Wegen erblühen, und er Ruhe finden, wo immer seine Füße einkehren, und möge er geehrt und hoch dastehen unter den Menschen! Dann erhob sie sich wieder und streckte die Arme gen Himmel. - Allmächtiger Gott! Wende deinen Zorn! Neige dein Antlitz gnädig zu uns! Laß deine Strafen nicht mehr auf uns ruhen, sondern laß dein Antlitz über uns leuchten! Wo ist mein Sohn, mein David? Führe mich hin zu ihm, ich bin stark und kräftig, und mein Herz sehnt sich nach seinem Anblick. Nach diesen Worten wendete sie sich dann zu Jeschka, welche ehrfurchtsvoll, mit thränenden Augen, in einiger Entfernung gestanden hatte. Er ist weit von hier. Ich bin viele, viele Stunden gefahren und gewandert, um dir die Nachricht seines Lebens zu bringen, und will nun wieder zurück, um ihm zu sagen, daß du ihn segnest, auf daß er Ruhe finde. Denn seine Füße haben ihn ruhelos umhergetragen, seine Gebeine haben gezittert und gezagt unter der Last deines Fluches, und Elend und Not haben sich an seine Fersen geheftet. Möge der Sohn meines Leibes mir verzeihen, was ich ihm zu leide ge¬ than, sagte Rebekka, ihr Haupt demütig beugend. Komm mit in mein Haus! Keine andern Hände als die meinen sollen dir dein Lager bereiten. Mein Mund soll dich willkommen heißen in den Mauern meines Hauses, denn du bist zu mir gekommen als eine Botin des Friedens und der Freude für mein zerschlagenes Herz. Das Haus der Beronski ist dein, und Rebekka wird dir die Hände unter deine Füße legen, auf daß du weich gehest. Deine Freude und die Gewißheit von deines Sohnes Glück und Ruhe sind mein Lohn, entgegnete Jeschka abwehrend. Auch deine Enkelin Rahel lebt und ist gesund.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/470>, abgerufen am 28.09.2024.