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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Freiherr von Gichendorff.

geißel zu schwingen, sein Bild vervollständigen helfen. Seine eingeborne Nei¬
gung richtete sich auf andres, auf Anmutiges wie auf Erhabenes, auf fröhlich
Heiteres wie auf Ernstgcsammeltes, auf den Zauber in der Natur wie auf den
Spender so vieler holder Gaben. Forderte aber die gebieterische Zeit einmal
scharfe Hiebe, so hielt er seine Klinge auch nicht ängstlich in der Scheide, wie
wenig Freude er. seiner ganzen Natur nach, daran haben mochte. Darum heißt
es in einem seiner Sprüchlein:


Der Sturm geht lärmend um das Haus,
Ich bin kein Narr und geh' hinaus,
Aber bin ich eben draußen,
Will ich mich wacker mit ihm zausen.

Zu seinem und zu unserm Glück ist es ihm erspart geblieben, die Periode
der Zentrumsmißwirtschaft zu erleben, wenn die letztere auch freilich ohne die
ihr voraufgegangene sogenannte katholische Abteilung nicht wohl denkbar ge¬
wesen wäre. Man hat gefragt: wäre er in seinem Eifer für die alleinselig¬
machende Kirche so weit gegangen, sich einem Führer wie dem Haupte der
Zentrumspartei zuzugefellen? Eher möchte man noch die Möglichkeit zugeben, daß
die ritterlichere Kampfweise eines Schorlemer-Alse seinem Wesen entsprochen
hätte. Aber wohl uns. daß diese Fragen keine Antwort heischen und daß kein
erkältender ultramontaner Schatten auf das lebenswarme und volkstümlich deutsche
Bild, welches der Name Eichendorff uns vor die Seele zaubert, zu fallen braucht.

Mit Unrecht sind daher, außer seinem unvergleichlichen "Taugenichts," die
Prosaschriften Eichcndorffs, aus denen seine Vielseitigkeit und seine universale
Bildung am meisten hervorleuchtet, bei dem lebenden Geschlechte fast ganz in
Vergessenheit geraten. Sein bereits 1811 in Wien entstandener Roman "Ahnung
und Gegenwart" ist sicher nur wenigen Leserinnen des heutigen Geschlechts zu
Gesichte gekommen, ebenso die farbenreichen Novellen "Schloß Durcmde" und
die "Entführung," die Trauerspiele "Ezelin von Romano" und der "Letzte Held
von Marienburg." das Lustspiel "Die Freier," welche Bühncnarbeiten allerdings
mehr romantisch eigenartig als bühnengerecht sind. Die erzählenden Dichtungen
"Julian" (1854). "Robert und Guiseard" (1855) und "Lucius" (aus Eichcndorffs
Todesjahr 1857) seien hier wenigstens genannt, wenn auch nur als Zeichen
für die lange Dauer seiner Schaffensfreudigkeit.

Will man sich vollständig mit seinem Wesen vertraut machen, so muß man
auch vor einem ernsten Eindringen in seine Litteraturgeschichte nicht zurückscheucn.
Obschon die Mehrzahl der dort gefällten Urteile, weil durchweg auf katholischen
Voraussetzungen beruhend, mit Fug und Recht starke Anfechtungen erfahren
hat, bleibt das Buch doch eine der geistvollsten Arbeiten, welche dieses Gebiet
überhaupt auszuweisen hat. Es ist eben ein Dichter, der es verfaßte; und so
wenig damit auch gesagt sein soll, daß ein solcher fiir die Lösung der Aufgabe
befähigter sein müsse als ein berufsmäßiger Historiker, so fühlt sich doch selbst


Grenzboten I. 1888. 68
Joseph Freiherr von Gichendorff.

geißel zu schwingen, sein Bild vervollständigen helfen. Seine eingeborne Nei¬
gung richtete sich auf andres, auf Anmutiges wie auf Erhabenes, auf fröhlich
Heiteres wie auf Ernstgcsammeltes, auf den Zauber in der Natur wie auf den
Spender so vieler holder Gaben. Forderte aber die gebieterische Zeit einmal
scharfe Hiebe, so hielt er seine Klinge auch nicht ängstlich in der Scheide, wie
wenig Freude er. seiner ganzen Natur nach, daran haben mochte. Darum heißt
es in einem seiner Sprüchlein:


Der Sturm geht lärmend um das Haus,
Ich bin kein Narr und geh' hinaus,
Aber bin ich eben draußen,
Will ich mich wacker mit ihm zausen.

Zu seinem und zu unserm Glück ist es ihm erspart geblieben, die Periode
der Zentrumsmißwirtschaft zu erleben, wenn die letztere auch freilich ohne die
ihr voraufgegangene sogenannte katholische Abteilung nicht wohl denkbar ge¬
wesen wäre. Man hat gefragt: wäre er in seinem Eifer für die alleinselig¬
machende Kirche so weit gegangen, sich einem Führer wie dem Haupte der
Zentrumspartei zuzugefellen? Eher möchte man noch die Möglichkeit zugeben, daß
die ritterlichere Kampfweise eines Schorlemer-Alse seinem Wesen entsprochen
hätte. Aber wohl uns. daß diese Fragen keine Antwort heischen und daß kein
erkältender ultramontaner Schatten auf das lebenswarme und volkstümlich deutsche
Bild, welches der Name Eichendorff uns vor die Seele zaubert, zu fallen braucht.

Mit Unrecht sind daher, außer seinem unvergleichlichen „Taugenichts," die
Prosaschriften Eichcndorffs, aus denen seine Vielseitigkeit und seine universale
Bildung am meisten hervorleuchtet, bei dem lebenden Geschlechte fast ganz in
Vergessenheit geraten. Sein bereits 1811 in Wien entstandener Roman „Ahnung
und Gegenwart" ist sicher nur wenigen Leserinnen des heutigen Geschlechts zu
Gesichte gekommen, ebenso die farbenreichen Novellen „Schloß Durcmde" und
die „Entführung," die Trauerspiele „Ezelin von Romano" und der „Letzte Held
von Marienburg." das Lustspiel „Die Freier," welche Bühncnarbeiten allerdings
mehr romantisch eigenartig als bühnengerecht sind. Die erzählenden Dichtungen
„Julian" (1854). „Robert und Guiseard" (1855) und „Lucius" (aus Eichcndorffs
Todesjahr 1857) seien hier wenigstens genannt, wenn auch nur als Zeichen
für die lange Dauer seiner Schaffensfreudigkeit.

Will man sich vollständig mit seinem Wesen vertraut machen, so muß man
auch vor einem ernsten Eindringen in seine Litteraturgeschichte nicht zurückscheucn.
Obschon die Mehrzahl der dort gefällten Urteile, weil durchweg auf katholischen
Voraussetzungen beruhend, mit Fug und Recht starke Anfechtungen erfahren
hat, bleibt das Buch doch eine der geistvollsten Arbeiten, welche dieses Gebiet
überhaupt auszuweisen hat. Es ist eben ein Dichter, der es verfaßte; und so
wenig damit auch gesagt sein soll, daß ein solcher fiir die Lösung der Aufgabe
befähigter sein müsse als ein berufsmäßiger Historiker, so fühlt sich doch selbst


Grenzboten I. 1888. 68
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[0465] Joseph Freiherr von Gichendorff. geißel zu schwingen, sein Bild vervollständigen helfen. Seine eingeborne Nei¬ gung richtete sich auf andres, auf Anmutiges wie auf Erhabenes, auf fröhlich Heiteres wie auf Ernstgcsammeltes, auf den Zauber in der Natur wie auf den Spender so vieler holder Gaben. Forderte aber die gebieterische Zeit einmal scharfe Hiebe, so hielt er seine Klinge auch nicht ängstlich in der Scheide, wie wenig Freude er. seiner ganzen Natur nach, daran haben mochte. Darum heißt es in einem seiner Sprüchlein: Der Sturm geht lärmend um das Haus, Ich bin kein Narr und geh' hinaus, Aber bin ich eben draußen, Will ich mich wacker mit ihm zausen. Zu seinem und zu unserm Glück ist es ihm erspart geblieben, die Periode der Zentrumsmißwirtschaft zu erleben, wenn die letztere auch freilich ohne die ihr voraufgegangene sogenannte katholische Abteilung nicht wohl denkbar ge¬ wesen wäre. Man hat gefragt: wäre er in seinem Eifer für die alleinselig¬ machende Kirche so weit gegangen, sich einem Führer wie dem Haupte der Zentrumspartei zuzugefellen? Eher möchte man noch die Möglichkeit zugeben, daß die ritterlichere Kampfweise eines Schorlemer-Alse seinem Wesen entsprochen hätte. Aber wohl uns. daß diese Fragen keine Antwort heischen und daß kein erkältender ultramontaner Schatten auf das lebenswarme und volkstümlich deutsche Bild, welches der Name Eichendorff uns vor die Seele zaubert, zu fallen braucht. Mit Unrecht sind daher, außer seinem unvergleichlichen „Taugenichts," die Prosaschriften Eichcndorffs, aus denen seine Vielseitigkeit und seine universale Bildung am meisten hervorleuchtet, bei dem lebenden Geschlechte fast ganz in Vergessenheit geraten. Sein bereits 1811 in Wien entstandener Roman „Ahnung und Gegenwart" ist sicher nur wenigen Leserinnen des heutigen Geschlechts zu Gesichte gekommen, ebenso die farbenreichen Novellen „Schloß Durcmde" und die „Entführung," die Trauerspiele „Ezelin von Romano" und der „Letzte Held von Marienburg." das Lustspiel „Die Freier," welche Bühncnarbeiten allerdings mehr romantisch eigenartig als bühnengerecht sind. Die erzählenden Dichtungen „Julian" (1854). „Robert und Guiseard" (1855) und „Lucius" (aus Eichcndorffs Todesjahr 1857) seien hier wenigstens genannt, wenn auch nur als Zeichen für die lange Dauer seiner Schaffensfreudigkeit. Will man sich vollständig mit seinem Wesen vertraut machen, so muß man auch vor einem ernsten Eindringen in seine Litteraturgeschichte nicht zurückscheucn. Obschon die Mehrzahl der dort gefällten Urteile, weil durchweg auf katholischen Voraussetzungen beruhend, mit Fug und Recht starke Anfechtungen erfahren hat, bleibt das Buch doch eine der geistvollsten Arbeiten, welche dieses Gebiet überhaupt auszuweisen hat. Es ist eben ein Dichter, der es verfaßte; und so wenig damit auch gesagt sein soll, daß ein solcher fiir die Lösung der Aufgabe befähigter sein müsse als ein berufsmäßiger Historiker, so fühlt sich doch selbst Grenzboten I. 1888. 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/465>, abgerufen am 27.06.2024.