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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dnbar-selge und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Daß dem wirklich so war, dafür scheint zunächst zu sprechen, daß der
Eintritt der Flut sowohl in der Bibel als bei den Babyloniern mit dem Ein¬
treten der jährlichen Regenzeit zusammenfällt. Die Babylonier hatten zur Zeit
der Verbannung jene geschichtliche Springflut längst als eine Folge vulkanischer
Erdbewegung erkannt; ihre Astronomen und Astrologen hatten ihre Wiederkehr
für den Fall prophezeit, daß Sonne, Mond und Planeten im Sternbild des
Steinbocks zusammentrafen -- nebenbei gesagt eine Lehre, in der wir eine
merkwürdige Vorahnung von der heutigen Falbschen Erdbebentheorie erkennen.
Der Eintritt der Sonne aber in das Sternbild des Steinbocks zur Zeit des
Wintersolstitiums fällt mit dem Höhepunkte der Regenperiode zusammen.

Dasselbe ergiebt sich im biblischen Bericht aus der Datcncmgabe des Elv-
histen, der zur Zeit des Exils in Babhlon schrieb. Er verlegt den Höhepunkt
der Sintflut vierzig Tage nach ihrem Beginn auf den siebzehnten des andern
Monats. Das nach seinem ersten Monat benannte Tisrijahr der Juden zur
Zeit des Exils aber begann mit dem Herbstäquinoktium; die Summe von einem
Monat und 17 und 40 Tagen aber führt wieder auf das Wintersolstitium,
den Höhepunkt der Regenzeit. Sollten diese Thatsachen nicht schon für eine
ursprüngliche Deutung der Regenzeit durch eine Flutsage sprechen, in welche die
geschichtliche Springflut nur verarbeitet ist?

Aber wir gehen weiter. Derselbe unter babylonischem Einfluß schreibende
Elohist giebt als Gesamtdauer der Flut die Zeit vom 17./2. des einen Jahres
bis zum 27./2. des folgenden an, also ein Jahr und elf Tage. Nun war das
jüdische Mondjahr, wie es der Elohist kannte, ein freies Mondjahr von 334 Tagen,
354 und 11 macht aber 365 Tage, also genau ein Sonnenjahr, wie es die
Babylonier bereits kannten. Wenn aber ein Jsraelit, der nach Mondjahren
zu rechnen gewöhnt ist, eine für ihn doch immerhin fremdartige, im Laufe der
Natur aber scharf abgegrenzte Zeitangabe macht, sollte sich da nicht die Ver¬
mutung rechtfertigen, daß seinem Bericht ein den Lauf des ihm bisher unbe-
kannten Sonnenjahres allegorisirender Mythenrest zu Grunde gelegen habe?

Und nun die übrigen Daten! Der Beginn der Sintflut sowohl wie ihr
Höhepunkt fällt mit dem Anfange der Regenzeit und ihrer größten Stärke zu¬
sammen, wozu noch die Thatsache kommt, daß im Althebräischen der Monat,
in welchem sie anhob, Lüi hieß, während das verwandte Wort N^ooiil "große
Flut" selbst bedeutet. Am 12. des siebenten Monats läßt sich die Arche auf
dem Ararat nieder. Dieser Monat, im Althebräischen Al? oder "Glanzmonat"
genannt, ist aber wieder der Erntemonat. Desgleichen ist der zehnte Monat,
mit dem Sommersolstitium anhebend, der Monat des Beginns der Hochsommer¬
glut und endlich der erste Monat des zweiten Jahres wieder die Zeit der
Weinreife. Sämtliche Daten der biblischen Flutsage bezeichnen demnach natür¬
liche Stufen des Sonnenlaufs, wie wir sie bereits in der Dubarsage allegorisirt
fanden.


Die Dnbar-selge und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Daß dem wirklich so war, dafür scheint zunächst zu sprechen, daß der
Eintritt der Flut sowohl in der Bibel als bei den Babyloniern mit dem Ein¬
treten der jährlichen Regenzeit zusammenfällt. Die Babylonier hatten zur Zeit
der Verbannung jene geschichtliche Springflut längst als eine Folge vulkanischer
Erdbewegung erkannt; ihre Astronomen und Astrologen hatten ihre Wiederkehr
für den Fall prophezeit, daß Sonne, Mond und Planeten im Sternbild des
Steinbocks zusammentrafen — nebenbei gesagt eine Lehre, in der wir eine
merkwürdige Vorahnung von der heutigen Falbschen Erdbebentheorie erkennen.
Der Eintritt der Sonne aber in das Sternbild des Steinbocks zur Zeit des
Wintersolstitiums fällt mit dem Höhepunkte der Regenperiode zusammen.

Dasselbe ergiebt sich im biblischen Bericht aus der Datcncmgabe des Elv-
histen, der zur Zeit des Exils in Babhlon schrieb. Er verlegt den Höhepunkt
der Sintflut vierzig Tage nach ihrem Beginn auf den siebzehnten des andern
Monats. Das nach seinem ersten Monat benannte Tisrijahr der Juden zur
Zeit des Exils aber begann mit dem Herbstäquinoktium; die Summe von einem
Monat und 17 und 40 Tagen aber führt wieder auf das Wintersolstitium,
den Höhepunkt der Regenzeit. Sollten diese Thatsachen nicht schon für eine
ursprüngliche Deutung der Regenzeit durch eine Flutsage sprechen, in welche die
geschichtliche Springflut nur verarbeitet ist?

Aber wir gehen weiter. Derselbe unter babylonischem Einfluß schreibende
Elohist giebt als Gesamtdauer der Flut die Zeit vom 17./2. des einen Jahres
bis zum 27./2. des folgenden an, also ein Jahr und elf Tage. Nun war das
jüdische Mondjahr, wie es der Elohist kannte, ein freies Mondjahr von 334 Tagen,
354 und 11 macht aber 365 Tage, also genau ein Sonnenjahr, wie es die
Babylonier bereits kannten. Wenn aber ein Jsraelit, der nach Mondjahren
zu rechnen gewöhnt ist, eine für ihn doch immerhin fremdartige, im Laufe der
Natur aber scharf abgegrenzte Zeitangabe macht, sollte sich da nicht die Ver¬
mutung rechtfertigen, daß seinem Bericht ein den Lauf des ihm bisher unbe-
kannten Sonnenjahres allegorisirender Mythenrest zu Grunde gelegen habe?

Und nun die übrigen Daten! Der Beginn der Sintflut sowohl wie ihr
Höhepunkt fällt mit dem Anfange der Regenzeit und ihrer größten Stärke zu¬
sammen, wozu noch die Thatsache kommt, daß im Althebräischen der Monat,
in welchem sie anhob, Lüi hieß, während das verwandte Wort N^ooiil „große
Flut" selbst bedeutet. Am 12. des siebenten Monats läßt sich die Arche auf
dem Ararat nieder. Dieser Monat, im Althebräischen Al? oder „Glanzmonat"
genannt, ist aber wieder der Erntemonat. Desgleichen ist der zehnte Monat,
mit dem Sommersolstitium anhebend, der Monat des Beginns der Hochsommer¬
glut und endlich der erste Monat des zweiten Jahres wieder die Zeit der
Weinreife. Sämtliche Daten der biblischen Flutsage bezeichnen demnach natür¬
liche Stufen des Sonnenlaufs, wie wir sie bereits in der Dubarsage allegorisirt
fanden.


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[0455] Die Dnbar-selge und der keilschriftliche Sintflutbericht. Daß dem wirklich so war, dafür scheint zunächst zu sprechen, daß der Eintritt der Flut sowohl in der Bibel als bei den Babyloniern mit dem Ein¬ treten der jährlichen Regenzeit zusammenfällt. Die Babylonier hatten zur Zeit der Verbannung jene geschichtliche Springflut längst als eine Folge vulkanischer Erdbewegung erkannt; ihre Astronomen und Astrologen hatten ihre Wiederkehr für den Fall prophezeit, daß Sonne, Mond und Planeten im Sternbild des Steinbocks zusammentrafen — nebenbei gesagt eine Lehre, in der wir eine merkwürdige Vorahnung von der heutigen Falbschen Erdbebentheorie erkennen. Der Eintritt der Sonne aber in das Sternbild des Steinbocks zur Zeit des Wintersolstitiums fällt mit dem Höhepunkte der Regenperiode zusammen. Dasselbe ergiebt sich im biblischen Bericht aus der Datcncmgabe des Elv- histen, der zur Zeit des Exils in Babhlon schrieb. Er verlegt den Höhepunkt der Sintflut vierzig Tage nach ihrem Beginn auf den siebzehnten des andern Monats. Das nach seinem ersten Monat benannte Tisrijahr der Juden zur Zeit des Exils aber begann mit dem Herbstäquinoktium; die Summe von einem Monat und 17 und 40 Tagen aber führt wieder auf das Wintersolstitium, den Höhepunkt der Regenzeit. Sollten diese Thatsachen nicht schon für eine ursprüngliche Deutung der Regenzeit durch eine Flutsage sprechen, in welche die geschichtliche Springflut nur verarbeitet ist? Aber wir gehen weiter. Derselbe unter babylonischem Einfluß schreibende Elohist giebt als Gesamtdauer der Flut die Zeit vom 17./2. des einen Jahres bis zum 27./2. des folgenden an, also ein Jahr und elf Tage. Nun war das jüdische Mondjahr, wie es der Elohist kannte, ein freies Mondjahr von 334 Tagen, 354 und 11 macht aber 365 Tage, also genau ein Sonnenjahr, wie es die Babylonier bereits kannten. Wenn aber ein Jsraelit, der nach Mondjahren zu rechnen gewöhnt ist, eine für ihn doch immerhin fremdartige, im Laufe der Natur aber scharf abgegrenzte Zeitangabe macht, sollte sich da nicht die Ver¬ mutung rechtfertigen, daß seinem Bericht ein den Lauf des ihm bisher unbe- kannten Sonnenjahres allegorisirender Mythenrest zu Grunde gelegen habe? Und nun die übrigen Daten! Der Beginn der Sintflut sowohl wie ihr Höhepunkt fällt mit dem Anfange der Regenzeit und ihrer größten Stärke zu¬ sammen, wozu noch die Thatsache kommt, daß im Althebräischen der Monat, in welchem sie anhob, Lüi hieß, während das verwandte Wort N^ooiil „große Flut" selbst bedeutet. Am 12. des siebenten Monats läßt sich die Arche auf dem Ararat nieder. Dieser Monat, im Althebräischen Al? oder „Glanzmonat" genannt, ist aber wieder der Erntemonat. Desgleichen ist der zehnte Monat, mit dem Sommersolstitium anhebend, der Monat des Beginns der Hochsommer¬ glut und endlich der erste Monat des zweiten Jahres wieder die Zeit der Weinreife. Sämtliche Daten der biblischen Flutsage bezeichnen demnach natür¬ liche Stufen des Sonnenlaufs, wie wir sie bereits in der Dubarsage allegorisirt fanden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/455>, abgerufen am 27.09.2024.