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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dudar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Welche über eine Überschwemmung des eignen Landes berichteten. Nun hat man
allerdings in dem Grabe Minephtahs des Ersten (1347 bis 1313) eine In¬
schrift entdeckt, welche, zuerst von dem französischen Ägyptologen Naville unter
dem Titel: 1,3. äöLtruotioii ass liommss xsr los äisux übersetzt, von Lauts und
nach ihm von Brugsch auf die Sintflut gedeutet worden ist. Wenn diese Deu¬
tung richtig ist, so ist es wiederum höchst vielsagend, daß diese einzige ägyptische
Spur einer Flutgeschichte der Zeit entstammt, in welcher ein Minephtah der
Erste Kanaan erobert, Israel besiegt und eine Anzahl hebräischer Stämme
nach Ägypten verbannt hatte. Auch hier ist es klar, daß die Semiten die sonst
im Nillande gänzlich fehlende Flutgeschichte verbreitet haben.

Die Ähnlichkeit der griechischen Sage von der Deukalionischen Flut mit
der semitischen ist jedermann bekannt; dieselbe Rettungsgeschichte hier wie überall.
Wichtiger dürfte es sein, einen Fall kennen zu lernen, in welchem die Sage
augenfällig nicht unvermittelt von den Semiten, sondern durch Vermittelung
andrer Völker von ihnen entnommen ist. Nach einer litauischen Sage sitzt
Gott Pramzimas auf seinem himmlischen Throne und verzehrt Nüsse. Dabei
macht er die Beobachtung, daß die Menschheit höchst hurtig ist. Wiederholt
läßt er sie durch die Niesen Weju und Wcindu warnen. Schließlich läßt er die
Sintflut kommen, und während Menschen und Tiere vergehen, labt sich Pramzi¬
mas wieder an seinen Himmelsnüssen. Da sieht er ein letztes Menschenpaar
mit den Fluten ringen; mitleidig wirst er ihnen eine Nußschale zu, in der sie
sich retten. Die Erschaffung eines neuen Geschlechts bewirken die beiden auf
göttliches Geheiß dadurch, daß sie über Steine springen und sie durch diesen
Akt zu Menschen machen. Diese Sage trägt ein eignes selbständiges Gepräge;
gleichwohl wird sie durch ihren Schluß in unverkennbaren Zusammenhang mit
der Deukalionischen Flut gesetzt, nach welcher die beiden überlebenden Gatten
das neue Geschlecht dadurch ins Leben rufen, daß sie zwar nicht über Steine
springen, wohl aber solche rücklings über ihre Häupter werfen. Über das Wie
der Fortpflanzung solcher Sagen, deren Abhängigkeit von einander oft nur
kleine Züge beweisen, zu forschen, ist freilich oft ebenso schwierig wie fruchtlos.

Wir sind nach allem Gesagten der Überzeugung, daß die Flutsage Eigentum
der Semiten ist, und zwar des Ursemitentums vor seiner Teilung in die nach
verschiednen Richtungen auswandernden Stämme. Sie ist im Euphratlande ent¬
standen und hat als wirksamste mythenerzeugende Thatsache jene infolge vul¬
kanischer Erderregung entstandene Überflutung der Niederung durch das Persische
Meer zum Inhalt.

Die Erzählung dieser ursemitischen Geschichte finden wir nun am Schluß
der Dubarsage eingeschaltet, und zwar äußerlich im Zusammenhange ganz er¬
klärlich. Wir erkannten aber bis zu dieser Episode im Dubarmythus eine Ver¬
sinnbildlichung des jährlichen Sonnenlaufs durch alle Stufen und Wirkungen
vom Frühling und dem Erwachen des neuen Lebens in der Natur durch die


Die Dudar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Welche über eine Überschwemmung des eignen Landes berichteten. Nun hat man
allerdings in dem Grabe Minephtahs des Ersten (1347 bis 1313) eine In¬
schrift entdeckt, welche, zuerst von dem französischen Ägyptologen Naville unter
dem Titel: 1,3. äöLtruotioii ass liommss xsr los äisux übersetzt, von Lauts und
nach ihm von Brugsch auf die Sintflut gedeutet worden ist. Wenn diese Deu¬
tung richtig ist, so ist es wiederum höchst vielsagend, daß diese einzige ägyptische
Spur einer Flutgeschichte der Zeit entstammt, in welcher ein Minephtah der
Erste Kanaan erobert, Israel besiegt und eine Anzahl hebräischer Stämme
nach Ägypten verbannt hatte. Auch hier ist es klar, daß die Semiten die sonst
im Nillande gänzlich fehlende Flutgeschichte verbreitet haben.

Die Ähnlichkeit der griechischen Sage von der Deukalionischen Flut mit
der semitischen ist jedermann bekannt; dieselbe Rettungsgeschichte hier wie überall.
Wichtiger dürfte es sein, einen Fall kennen zu lernen, in welchem die Sage
augenfällig nicht unvermittelt von den Semiten, sondern durch Vermittelung
andrer Völker von ihnen entnommen ist. Nach einer litauischen Sage sitzt
Gott Pramzimas auf seinem himmlischen Throne und verzehrt Nüsse. Dabei
macht er die Beobachtung, daß die Menschheit höchst hurtig ist. Wiederholt
läßt er sie durch die Niesen Weju und Wcindu warnen. Schließlich läßt er die
Sintflut kommen, und während Menschen und Tiere vergehen, labt sich Pramzi¬
mas wieder an seinen Himmelsnüssen. Da sieht er ein letztes Menschenpaar
mit den Fluten ringen; mitleidig wirst er ihnen eine Nußschale zu, in der sie
sich retten. Die Erschaffung eines neuen Geschlechts bewirken die beiden auf
göttliches Geheiß dadurch, daß sie über Steine springen und sie durch diesen
Akt zu Menschen machen. Diese Sage trägt ein eignes selbständiges Gepräge;
gleichwohl wird sie durch ihren Schluß in unverkennbaren Zusammenhang mit
der Deukalionischen Flut gesetzt, nach welcher die beiden überlebenden Gatten
das neue Geschlecht dadurch ins Leben rufen, daß sie zwar nicht über Steine
springen, wohl aber solche rücklings über ihre Häupter werfen. Über das Wie
der Fortpflanzung solcher Sagen, deren Abhängigkeit von einander oft nur
kleine Züge beweisen, zu forschen, ist freilich oft ebenso schwierig wie fruchtlos.

Wir sind nach allem Gesagten der Überzeugung, daß die Flutsage Eigentum
der Semiten ist, und zwar des Ursemitentums vor seiner Teilung in die nach
verschiednen Richtungen auswandernden Stämme. Sie ist im Euphratlande ent¬
standen und hat als wirksamste mythenerzeugende Thatsache jene infolge vul¬
kanischer Erderregung entstandene Überflutung der Niederung durch das Persische
Meer zum Inhalt.

Die Erzählung dieser ursemitischen Geschichte finden wir nun am Schluß
der Dubarsage eingeschaltet, und zwar äußerlich im Zusammenhange ganz er¬
klärlich. Wir erkannten aber bis zu dieser Episode im Dubarmythus eine Ver¬
sinnbildlichung des jährlichen Sonnenlaufs durch alle Stufen und Wirkungen
vom Frühling und dem Erwachen des neuen Lebens in der Natur durch die


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[0453] Die Dudar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. Welche über eine Überschwemmung des eignen Landes berichteten. Nun hat man allerdings in dem Grabe Minephtahs des Ersten (1347 bis 1313) eine In¬ schrift entdeckt, welche, zuerst von dem französischen Ägyptologen Naville unter dem Titel: 1,3. äöLtruotioii ass liommss xsr los äisux übersetzt, von Lauts und nach ihm von Brugsch auf die Sintflut gedeutet worden ist. Wenn diese Deu¬ tung richtig ist, so ist es wiederum höchst vielsagend, daß diese einzige ägyptische Spur einer Flutgeschichte der Zeit entstammt, in welcher ein Minephtah der Erste Kanaan erobert, Israel besiegt und eine Anzahl hebräischer Stämme nach Ägypten verbannt hatte. Auch hier ist es klar, daß die Semiten die sonst im Nillande gänzlich fehlende Flutgeschichte verbreitet haben. Die Ähnlichkeit der griechischen Sage von der Deukalionischen Flut mit der semitischen ist jedermann bekannt; dieselbe Rettungsgeschichte hier wie überall. Wichtiger dürfte es sein, einen Fall kennen zu lernen, in welchem die Sage augenfällig nicht unvermittelt von den Semiten, sondern durch Vermittelung andrer Völker von ihnen entnommen ist. Nach einer litauischen Sage sitzt Gott Pramzimas auf seinem himmlischen Throne und verzehrt Nüsse. Dabei macht er die Beobachtung, daß die Menschheit höchst hurtig ist. Wiederholt läßt er sie durch die Niesen Weju und Wcindu warnen. Schließlich läßt er die Sintflut kommen, und während Menschen und Tiere vergehen, labt sich Pramzi¬ mas wieder an seinen Himmelsnüssen. Da sieht er ein letztes Menschenpaar mit den Fluten ringen; mitleidig wirst er ihnen eine Nußschale zu, in der sie sich retten. Die Erschaffung eines neuen Geschlechts bewirken die beiden auf göttliches Geheiß dadurch, daß sie über Steine springen und sie durch diesen Akt zu Menschen machen. Diese Sage trägt ein eignes selbständiges Gepräge; gleichwohl wird sie durch ihren Schluß in unverkennbaren Zusammenhang mit der Deukalionischen Flut gesetzt, nach welcher die beiden überlebenden Gatten das neue Geschlecht dadurch ins Leben rufen, daß sie zwar nicht über Steine springen, wohl aber solche rücklings über ihre Häupter werfen. Über das Wie der Fortpflanzung solcher Sagen, deren Abhängigkeit von einander oft nur kleine Züge beweisen, zu forschen, ist freilich oft ebenso schwierig wie fruchtlos. Wir sind nach allem Gesagten der Überzeugung, daß die Flutsage Eigentum der Semiten ist, und zwar des Ursemitentums vor seiner Teilung in die nach verschiednen Richtungen auswandernden Stämme. Sie ist im Euphratlande ent¬ standen und hat als wirksamste mythenerzeugende Thatsache jene infolge vul¬ kanischer Erderregung entstandene Überflutung der Niederung durch das Persische Meer zum Inhalt. Die Erzählung dieser ursemitischen Geschichte finden wir nun am Schluß der Dubarsage eingeschaltet, und zwar äußerlich im Zusammenhange ganz er¬ klärlich. Wir erkannten aber bis zu dieser Episode im Dubarmythus eine Ver¬ sinnbildlichung des jährlichen Sonnenlaufs durch alle Stufen und Wirkungen vom Frühling und dem Erwachen des neuen Lebens in der Natur durch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/453>, abgerufen am 27.06.2024.