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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Zeit die in alle" Himmelsstrichen der Erde verstreuten Tiere erlangen? Ferner:
woher sollten die Wassermengen stammen, die sich nach dem biblischen Bericht
während eines Zeitraumes von siebzig Tagen über die höchsten Bergesgipfel
erhoben, also eine Wasserbütte von 17 000 Fuß Höhe um den Erdball bilden
mußten, während nach statistischen Berechnungen die Regenmenge auf der Erd¬
oberfläche im Jahr durchschnittlich fleus Zoll beträgt? Und wenn sie vorhanden
waren, wo blieben die Gravitationsgesetze in unserm Planetensystem, da eine
solche Wasserbütte an Gewicht dasjenige unsers Erdballes weit übertreffen würde?
Und wie hätten sich die Tiere der heißen Zone siebzig Tage lang in den eisigen
Regionen von 17 000 Fuß Höhe am Leben erhalten können?

Diese Ungereimtheiten werden genügen, um den biblischen Flutbericht vom
Gesichtspunkte der Vernunft aus in das Bereich der Sage zu verbannen, deren
geschichtlicher Hintergrund jene sicher geschichtliche Springflut zu Anfang des
vorchristlichen zweiten Jahrtausends ist, welche Anlaß wurde zu der allgemeinen
semitischen Völkerwanderung nach Westen. Gerade der Umstand, daß diese Wan¬
derung die unmittelbare Folge der örtlichen Überschwemmung im Euphratlande
war, macht auch den Einwand hinfällig, daß die allgemeine Verbreitung der
Flntsage unter den zivilisirtcn Völkern des Altertums für eine allgemeine ge¬
schichtliche Sintflut spreche. Denn was ist natürlicher, als daß, wo irgend die
vielgewanderten Semiten mit andern Völkern in Berührung kamen, wie z. B. in
ausgedehntem Maße durch den Handel der Phöniker, sie auch die Flutgeschichte
mitteilte", ein außerordentliches Ereignis, unter dessen noch frischem Eindruck
sie standen? und daß sie auf diese Weise den Völkern einen willkommenen Stoff
zur Mythenbilduug gaben?

In der That weist der Grundcharakter aller uns bekannten Flutsagen der
alten Völker auf ihre Abstammung von der semitischen Urgestalt. Die Ver¬
wandtschaft tritt umso augenfälliger hervor, je näher ein Volk dem Ursemitentnm
stand. So haben wir in der indischen Flutgeschichte in den Namen des ge¬
retteten Menus oder Nuh mit seinen drei Söhnen scherna, Chauna und Japeti
schon den unmittelbaren Beweis ihres Zusammenhanges mit der biblischen Sage,
der sie auch in ihrem ganzen Verlaufe gleich ist. Auf phrygischen Münzen von
Apamea, deren eine Seite das Bildnis eines Severus oder Philippus Arabs
aufweist, finden wir auf der andern einen schwimmenden Kasten mit der In¬
schrift ^ (Noah). In dem Kasten stehen ein Mann und ein Weib, außer¬
halb desselben ein gleiches Paar. Auf dem Dache der Arche sitzt ein Vogel,
ein andrer, den Ölzweig in den Klauen, schwebt über dem zweiten Menschen¬
paare. Das ganze Bildnis ist wie nach dem biblischen Bericht gefertigt.

Eine ausgeprägte, verbreitete Flutgeschichte müßten wir bei der Annahme
einer allgemeinen Sintflut bei den Ägyptern finden. Dem ist aber nicht so.
Schon Platon berichtet, daß die Ägypter wohl von mehreren Fluten wußten,
die andre Völker betroffen haben sollten, daß es aber keine Nachrichten gebe,


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Zeit die in alle» Himmelsstrichen der Erde verstreuten Tiere erlangen? Ferner:
woher sollten die Wassermengen stammen, die sich nach dem biblischen Bericht
während eines Zeitraumes von siebzig Tagen über die höchsten Bergesgipfel
erhoben, also eine Wasserbütte von 17 000 Fuß Höhe um den Erdball bilden
mußten, während nach statistischen Berechnungen die Regenmenge auf der Erd¬
oberfläche im Jahr durchschnittlich fleus Zoll beträgt? Und wenn sie vorhanden
waren, wo blieben die Gravitationsgesetze in unserm Planetensystem, da eine
solche Wasserbütte an Gewicht dasjenige unsers Erdballes weit übertreffen würde?
Und wie hätten sich die Tiere der heißen Zone siebzig Tage lang in den eisigen
Regionen von 17 000 Fuß Höhe am Leben erhalten können?

Diese Ungereimtheiten werden genügen, um den biblischen Flutbericht vom
Gesichtspunkte der Vernunft aus in das Bereich der Sage zu verbannen, deren
geschichtlicher Hintergrund jene sicher geschichtliche Springflut zu Anfang des
vorchristlichen zweiten Jahrtausends ist, welche Anlaß wurde zu der allgemeinen
semitischen Völkerwanderung nach Westen. Gerade der Umstand, daß diese Wan¬
derung die unmittelbare Folge der örtlichen Überschwemmung im Euphratlande
war, macht auch den Einwand hinfällig, daß die allgemeine Verbreitung der
Flntsage unter den zivilisirtcn Völkern des Altertums für eine allgemeine ge¬
schichtliche Sintflut spreche. Denn was ist natürlicher, als daß, wo irgend die
vielgewanderten Semiten mit andern Völkern in Berührung kamen, wie z. B. in
ausgedehntem Maße durch den Handel der Phöniker, sie auch die Flutgeschichte
mitteilte», ein außerordentliches Ereignis, unter dessen noch frischem Eindruck
sie standen? und daß sie auf diese Weise den Völkern einen willkommenen Stoff
zur Mythenbilduug gaben?

In der That weist der Grundcharakter aller uns bekannten Flutsagen der
alten Völker auf ihre Abstammung von der semitischen Urgestalt. Die Ver¬
wandtschaft tritt umso augenfälliger hervor, je näher ein Volk dem Ursemitentnm
stand. So haben wir in der indischen Flutgeschichte in den Namen des ge¬
retteten Menus oder Nuh mit seinen drei Söhnen scherna, Chauna und Japeti
schon den unmittelbaren Beweis ihres Zusammenhanges mit der biblischen Sage,
der sie auch in ihrem ganzen Verlaufe gleich ist. Auf phrygischen Münzen von
Apamea, deren eine Seite das Bildnis eines Severus oder Philippus Arabs
aufweist, finden wir auf der andern einen schwimmenden Kasten mit der In¬
schrift ^ (Noah). In dem Kasten stehen ein Mann und ein Weib, außer¬
halb desselben ein gleiches Paar. Auf dem Dache der Arche sitzt ein Vogel,
ein andrer, den Ölzweig in den Klauen, schwebt über dem zweiten Menschen¬
paare. Das ganze Bildnis ist wie nach dem biblischen Bericht gefertigt.

Eine ausgeprägte, verbreitete Flutgeschichte müßten wir bei der Annahme
einer allgemeinen Sintflut bei den Ägyptern finden. Dem ist aber nicht so.
Schon Platon berichtet, daß die Ägypter wohl von mehreren Fluten wußten,
die andre Völker betroffen haben sollten, daß es aber keine Nachrichten gebe,


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[0452] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. Zeit die in alle» Himmelsstrichen der Erde verstreuten Tiere erlangen? Ferner: woher sollten die Wassermengen stammen, die sich nach dem biblischen Bericht während eines Zeitraumes von siebzig Tagen über die höchsten Bergesgipfel erhoben, also eine Wasserbütte von 17 000 Fuß Höhe um den Erdball bilden mußten, während nach statistischen Berechnungen die Regenmenge auf der Erd¬ oberfläche im Jahr durchschnittlich fleus Zoll beträgt? Und wenn sie vorhanden waren, wo blieben die Gravitationsgesetze in unserm Planetensystem, da eine solche Wasserbütte an Gewicht dasjenige unsers Erdballes weit übertreffen würde? Und wie hätten sich die Tiere der heißen Zone siebzig Tage lang in den eisigen Regionen von 17 000 Fuß Höhe am Leben erhalten können? Diese Ungereimtheiten werden genügen, um den biblischen Flutbericht vom Gesichtspunkte der Vernunft aus in das Bereich der Sage zu verbannen, deren geschichtlicher Hintergrund jene sicher geschichtliche Springflut zu Anfang des vorchristlichen zweiten Jahrtausends ist, welche Anlaß wurde zu der allgemeinen semitischen Völkerwanderung nach Westen. Gerade der Umstand, daß diese Wan¬ derung die unmittelbare Folge der örtlichen Überschwemmung im Euphratlande war, macht auch den Einwand hinfällig, daß die allgemeine Verbreitung der Flntsage unter den zivilisirtcn Völkern des Altertums für eine allgemeine ge¬ schichtliche Sintflut spreche. Denn was ist natürlicher, als daß, wo irgend die vielgewanderten Semiten mit andern Völkern in Berührung kamen, wie z. B. in ausgedehntem Maße durch den Handel der Phöniker, sie auch die Flutgeschichte mitteilte», ein außerordentliches Ereignis, unter dessen noch frischem Eindruck sie standen? und daß sie auf diese Weise den Völkern einen willkommenen Stoff zur Mythenbilduug gaben? In der That weist der Grundcharakter aller uns bekannten Flutsagen der alten Völker auf ihre Abstammung von der semitischen Urgestalt. Die Ver¬ wandtschaft tritt umso augenfälliger hervor, je näher ein Volk dem Ursemitentnm stand. So haben wir in der indischen Flutgeschichte in den Namen des ge¬ retteten Menus oder Nuh mit seinen drei Söhnen scherna, Chauna und Japeti schon den unmittelbaren Beweis ihres Zusammenhanges mit der biblischen Sage, der sie auch in ihrem ganzen Verlaufe gleich ist. Auf phrygischen Münzen von Apamea, deren eine Seite das Bildnis eines Severus oder Philippus Arabs aufweist, finden wir auf der andern einen schwimmenden Kasten mit der In¬ schrift ^ (Noah). In dem Kasten stehen ein Mann und ein Weib, außer¬ halb desselben ein gleiches Paar. Auf dem Dache der Arche sitzt ein Vogel, ein andrer, den Ölzweig in den Klauen, schwebt über dem zweiten Menschen¬ paare. Das ganze Bildnis ist wie nach dem biblischen Bericht gefertigt. Eine ausgeprägte, verbreitete Flutgeschichte müßten wir bei der Annahme einer allgemeinen Sintflut bei den Ägyptern finden. Dem ist aber nicht so. Schon Platon berichtet, daß die Ägypter wohl von mehreren Fluten wußten, die andre Völker betroffen haben sollten, daß es aber keine Nachrichten gebe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/452>, abgerufen am 27.09.2024.