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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dul>ar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

mit der biblischen Erzählung, wodurch ein Abhängigkeitsverhältnis beider von
einander bewiesen wird, erkennen wir dennoch aus dem allgemeinen Charakter
der Darstellung sofort, welche der beiden Erzählungen die Urgestalt der Sage
am wenigsten umgemodelt wiedergiebt und von dem geschichtlichen Ereignis, der
mit einer Überflutung des Euphratlcmdes durch das Persische Meer verbundenen
vulkanischen Erdbewegung um 2000 v. Chr., noch am unmittelbarsten beeinflußt
wird. Die Übertreibung wächst stets mit der zeitlichen Entfernung von den
geschichtlichen Thatsachen. So anch hier, wo wir obendrein von vornherein
annehmen konnten, daß sowohl der sogenannte "Jahvist," der zur Zeit des
Jescnas lebte, als auch der "Elvhist," der nachweislich während der babylonischen
Verbannung schrieb, wie alle andern im Pentateuch enthaltenen Geschichten, so
auch die Flutgeschichte mit demi Pinsel ausschließlich judciistischer Tendenz
färbte, welche alle Weltentwicklung und Weltgeschichte als allein auf die einzig
bevorzugte Stellung des jüdischen Volkes bezüglich in Anspruch nahm.

Unter dem in der Volkscrinnerung fortlebenden Eindrucke des gewaltigen
Naturereignisses steht allerdings auch die babylonische Sage; wird doch die
maßlose Vernichtung alles Seins bei weitem nicht so scharf betont wie im
biblischen Bericht, nach welchem die Flut ausdrücklich als eine allgemeine, die
höchsten Berge überschreitende, länger als ein Mondjahr, ein volles Sonnenjahr
dauernde dargestellt wird, während das Ereignis vom Beginn der Flut bis zur
völligen Abtrocknung dem Keilschrifttext gemäß nur etwa vierzig Tage währt.
Beweist aber eine derartige Übertreibung, daß die Sage zur Zeit ihrer bibli¬
schen Feststellung schon um ein gut Teil von der ihr zu Grunde liegenden ge¬
schichtlichen Thatsache weiter abgezeichnet ist, als im Keilschrifttext, so kommt
hinzu, daß Nebenumstände wie die genaue Angabe der geretteten Personen,
außer Noah nämlich die Stammväter der den Juden erst später bekannt ge¬
wordenen drei Rassen, sowie namentlich die Unterscheidung zwischen den reinen
und unreinen Tieren ohne Frage erst zu einer Zeit in die Sage verflochten
worden sind, als Israel sich als das vornehmste Volk unter den Nachkommen
Seins fühlte, im Gegensatze zu den kanaanitischen Chamiten und den Mittelmeer-
Ariern, und als es sich den Gegensatz von rein und unrein durch ein aus¬
führliches Zeremonialgcsetz klar gemacht hatte, d. h. erst nachdem die aus
Mesopotamien ausgewanderten Abrahamiten sich in Palästina als das theokra-
tische Volk Israel eingesetzt hatten. Zweifellos hat es sich, wie die Ähnlichkeiten
zwischen den beiden Sagen beweisen, den altbabylonischen Sintflntmythus ans
seine Wanderung mitgenommen, hat dann ^aber die allgemein semitische Sage
fernerhin in die Brühe einer rein judaistischen Tendenz getaucht und sie in
dieser Verfassung durch seinen Jahvisten aufzeichnen lassen. Denselben Stoff
hat später der Elohist in der Verbannung unter babylonischem Einflüsse neu
bearbeitet, und ans der Redaktion beider Quellen ist dann wenige Jahrhunderte
vor Christo der uns vorliegende biblische Flutbericht hervorgegangen.


Die Dul>ar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

mit der biblischen Erzählung, wodurch ein Abhängigkeitsverhältnis beider von
einander bewiesen wird, erkennen wir dennoch aus dem allgemeinen Charakter
der Darstellung sofort, welche der beiden Erzählungen die Urgestalt der Sage
am wenigsten umgemodelt wiedergiebt und von dem geschichtlichen Ereignis, der
mit einer Überflutung des Euphratlcmdes durch das Persische Meer verbundenen
vulkanischen Erdbewegung um 2000 v. Chr., noch am unmittelbarsten beeinflußt
wird. Die Übertreibung wächst stets mit der zeitlichen Entfernung von den
geschichtlichen Thatsachen. So anch hier, wo wir obendrein von vornherein
annehmen konnten, daß sowohl der sogenannte „Jahvist," der zur Zeit des
Jescnas lebte, als auch der „Elvhist," der nachweislich während der babylonischen
Verbannung schrieb, wie alle andern im Pentateuch enthaltenen Geschichten, so
auch die Flutgeschichte mit demi Pinsel ausschließlich judciistischer Tendenz
färbte, welche alle Weltentwicklung und Weltgeschichte als allein auf die einzig
bevorzugte Stellung des jüdischen Volkes bezüglich in Anspruch nahm.

Unter dem in der Volkscrinnerung fortlebenden Eindrucke des gewaltigen
Naturereignisses steht allerdings auch die babylonische Sage; wird doch die
maßlose Vernichtung alles Seins bei weitem nicht so scharf betont wie im
biblischen Bericht, nach welchem die Flut ausdrücklich als eine allgemeine, die
höchsten Berge überschreitende, länger als ein Mondjahr, ein volles Sonnenjahr
dauernde dargestellt wird, während das Ereignis vom Beginn der Flut bis zur
völligen Abtrocknung dem Keilschrifttext gemäß nur etwa vierzig Tage währt.
Beweist aber eine derartige Übertreibung, daß die Sage zur Zeit ihrer bibli¬
schen Feststellung schon um ein gut Teil von der ihr zu Grunde liegenden ge¬
schichtlichen Thatsache weiter abgezeichnet ist, als im Keilschrifttext, so kommt
hinzu, daß Nebenumstände wie die genaue Angabe der geretteten Personen,
außer Noah nämlich die Stammväter der den Juden erst später bekannt ge¬
wordenen drei Rassen, sowie namentlich die Unterscheidung zwischen den reinen
und unreinen Tieren ohne Frage erst zu einer Zeit in die Sage verflochten
worden sind, als Israel sich als das vornehmste Volk unter den Nachkommen
Seins fühlte, im Gegensatze zu den kanaanitischen Chamiten und den Mittelmeer-
Ariern, und als es sich den Gegensatz von rein und unrein durch ein aus¬
führliches Zeremonialgcsetz klar gemacht hatte, d. h. erst nachdem die aus
Mesopotamien ausgewanderten Abrahamiten sich in Palästina als das theokra-
tische Volk Israel eingesetzt hatten. Zweifellos hat es sich, wie die Ähnlichkeiten
zwischen den beiden Sagen beweisen, den altbabylonischen Sintflntmythus ans
seine Wanderung mitgenommen, hat dann ^aber die allgemein semitische Sage
fernerhin in die Brühe einer rein judaistischen Tendenz getaucht und sie in
dieser Verfassung durch seinen Jahvisten aufzeichnen lassen. Denselben Stoff
hat später der Elohist in der Verbannung unter babylonischem Einflüsse neu
bearbeitet, und ans der Redaktion beider Quellen ist dann wenige Jahrhunderte
vor Christo der uns vorliegende biblische Flutbericht hervorgegangen.


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[0450] Die Dul>ar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. mit der biblischen Erzählung, wodurch ein Abhängigkeitsverhältnis beider von einander bewiesen wird, erkennen wir dennoch aus dem allgemeinen Charakter der Darstellung sofort, welche der beiden Erzählungen die Urgestalt der Sage am wenigsten umgemodelt wiedergiebt und von dem geschichtlichen Ereignis, der mit einer Überflutung des Euphratlcmdes durch das Persische Meer verbundenen vulkanischen Erdbewegung um 2000 v. Chr., noch am unmittelbarsten beeinflußt wird. Die Übertreibung wächst stets mit der zeitlichen Entfernung von den geschichtlichen Thatsachen. So anch hier, wo wir obendrein von vornherein annehmen konnten, daß sowohl der sogenannte „Jahvist," der zur Zeit des Jescnas lebte, als auch der „Elvhist," der nachweislich während der babylonischen Verbannung schrieb, wie alle andern im Pentateuch enthaltenen Geschichten, so auch die Flutgeschichte mit demi Pinsel ausschließlich judciistischer Tendenz färbte, welche alle Weltentwicklung und Weltgeschichte als allein auf die einzig bevorzugte Stellung des jüdischen Volkes bezüglich in Anspruch nahm. Unter dem in der Volkscrinnerung fortlebenden Eindrucke des gewaltigen Naturereignisses steht allerdings auch die babylonische Sage; wird doch die maßlose Vernichtung alles Seins bei weitem nicht so scharf betont wie im biblischen Bericht, nach welchem die Flut ausdrücklich als eine allgemeine, die höchsten Berge überschreitende, länger als ein Mondjahr, ein volles Sonnenjahr dauernde dargestellt wird, während das Ereignis vom Beginn der Flut bis zur völligen Abtrocknung dem Keilschrifttext gemäß nur etwa vierzig Tage währt. Beweist aber eine derartige Übertreibung, daß die Sage zur Zeit ihrer bibli¬ schen Feststellung schon um ein gut Teil von der ihr zu Grunde liegenden ge¬ schichtlichen Thatsache weiter abgezeichnet ist, als im Keilschrifttext, so kommt hinzu, daß Nebenumstände wie die genaue Angabe der geretteten Personen, außer Noah nämlich die Stammväter der den Juden erst später bekannt ge¬ wordenen drei Rassen, sowie namentlich die Unterscheidung zwischen den reinen und unreinen Tieren ohne Frage erst zu einer Zeit in die Sage verflochten worden sind, als Israel sich als das vornehmste Volk unter den Nachkommen Seins fühlte, im Gegensatze zu den kanaanitischen Chamiten und den Mittelmeer- Ariern, und als es sich den Gegensatz von rein und unrein durch ein aus¬ führliches Zeremonialgcsetz klar gemacht hatte, d. h. erst nachdem die aus Mesopotamien ausgewanderten Abrahamiten sich in Palästina als das theokra- tische Volk Israel eingesetzt hatten. Zweifellos hat es sich, wie die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Sagen beweisen, den altbabylonischen Sintflntmythus ans seine Wanderung mitgenommen, hat dann ^aber die allgemein semitische Sage fernerhin in die Brühe einer rein judaistischen Tendenz getaucht und sie in dieser Verfassung durch seinen Jahvisten aufzeichnen lassen. Denselben Stoff hat später der Elohist in der Verbannung unter babylonischem Einflüsse neu bearbeitet, und ans der Redaktion beider Quellen ist dann wenige Jahrhunderte vor Christo der uns vorliegende biblische Flutbericht hervorgegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/450>, abgerufen am 27.09.2024.