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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dnbar-Sage und der koilschriftliche Sintflutbericht.

der Nacht; als Morgenstern zur Zeit der schädlichen Wirkung der Sonne geht
der Planet siegreich ihrem Lichte vorauf, wird nunmehr aber auch, noch immer
als Prinzip der Nacht, der Tageszeit vorgezogen.

Die Höllenfahrt findet demnach im babylonischen Dubarmythus ihre volle
natürliche Erklärung. Die griechische Sage, die diesen Vorgang wiederum nicht
uaturmhthisch erklären konnte, macht aus der Höllenfahrt ganz etwas andres;
sie läßt den Helden selbst in die Unterwelt reisen und verschiebt diesen ganzen
Vorgang ans Ende der Geschichte, weil sie, wie wir sehen werden, alle die
letzten Episoden des orientalischen Mythus nicht verstand noch verstehen konnte.
Indessen bringt auch der Grieche die Krankheit des Herakles in Zusammen¬
hang mit seinem Besuche in der Unterwelt. Aber während sich dieser Zu¬
sammenhang in der Dubarsage aus der zeitliche" Aufeinanderfolge der
Unsichtbarkeit des Planeten und des Eintritts der verderblichen Sonnenglut er¬
giebt, erfindet der griechische Mythus eine Fabel, nach welcher der Zusammen¬
hang rein äußerlich hergestellt wird. Meleager bittet in der Unterwelt den
Herakles, er möge seine Schwester Dejanira heiraten. Herakles thut dies. Bei
der Überfahrt über den Euenosfluß will der Fährmann, der Centaur Ressus,
der Dejanira Gewalt anthun, Herakles erschießt ihn mit seinem vergifteten
Pfeile, und dieser giebt der Dejanira jenes verhängnisvolle Mischehen vergif¬
teten Blutes. Während wir die epische Entwicklung des Mythus daher bei den
Babyloniern genau aus ihrer Anschauung der Gestirne verfolgen können, be¬
wundern wir bei den Griechen die mit ethischen Momenten dramatisch durch¬
arbeitete Gestalt der Sage. Die Tragik in dem Schicksale des Herakles liegt
in dem Umstände, daß er seine Untreue später mit dem Tode durch sein eignes
Gift bezahlen muß; und dieses tragische Schicksal ist wieder die Übersetzung eines
Naturvorganges, den auch der Heitere verstand.

Die Hochsommerglut mit ihren Folgen war dem Griechen nicht viel weniger
empfindlich als dem Orientalen; der segnende Apoll wurde ihm zum todbringenden;
Herakles wird ihm so gut wie Dubar, dem Bewohner des Euphratlaudes, zum
Träger der epidemischen Krankheiten, der Pest, des Aussatzes :c. Dubar-
Herakles wird selbst mit dieser Krankheit, in der er sich selbst verzehrt, be¬
haftet gedacht. Während aber der griechische Mythus andeutet, daß die Schuld
an diesem krankhaften Zustande neben Dejanira, Heras Werkzeug, der Held selbst
trägt, wird das Leiden im Dubarmythus lediglich als Jstars Rachewerk hin¬
gestellt, das sie mit Hilfe der Unterwelt und ihrer Mutter, der Mondgöttin,
also auch eines nächtlichen Prinzips, vollbringt. Das heißt: zur Zeit der
größten Hitzeentfaltung bewirken die nächtlichen Ausdünstungen des Erdbodens
die epidemischen Krankheitserscheinungen.

Zugleich sterben Eabani sowohl wie Chiron-Jolaos, die Vertreter des sich
durch üppigen Pflanzenwuchs kundgebenden Lebens in der Natur. Bei den
Griechen erschießt Herakles selbst seinen Freund; die Sonnenglut läßt alles


Die Dnbar-Sage und der koilschriftliche Sintflutbericht.

der Nacht; als Morgenstern zur Zeit der schädlichen Wirkung der Sonne geht
der Planet siegreich ihrem Lichte vorauf, wird nunmehr aber auch, noch immer
als Prinzip der Nacht, der Tageszeit vorgezogen.

Die Höllenfahrt findet demnach im babylonischen Dubarmythus ihre volle
natürliche Erklärung. Die griechische Sage, die diesen Vorgang wiederum nicht
uaturmhthisch erklären konnte, macht aus der Höllenfahrt ganz etwas andres;
sie läßt den Helden selbst in die Unterwelt reisen und verschiebt diesen ganzen
Vorgang ans Ende der Geschichte, weil sie, wie wir sehen werden, alle die
letzten Episoden des orientalischen Mythus nicht verstand noch verstehen konnte.
Indessen bringt auch der Grieche die Krankheit des Herakles in Zusammen¬
hang mit seinem Besuche in der Unterwelt. Aber während sich dieser Zu¬
sammenhang in der Dubarsage aus der zeitliche« Aufeinanderfolge der
Unsichtbarkeit des Planeten und des Eintritts der verderblichen Sonnenglut er¬
giebt, erfindet der griechische Mythus eine Fabel, nach welcher der Zusammen¬
hang rein äußerlich hergestellt wird. Meleager bittet in der Unterwelt den
Herakles, er möge seine Schwester Dejanira heiraten. Herakles thut dies. Bei
der Überfahrt über den Euenosfluß will der Fährmann, der Centaur Ressus,
der Dejanira Gewalt anthun, Herakles erschießt ihn mit seinem vergifteten
Pfeile, und dieser giebt der Dejanira jenes verhängnisvolle Mischehen vergif¬
teten Blutes. Während wir die epische Entwicklung des Mythus daher bei den
Babyloniern genau aus ihrer Anschauung der Gestirne verfolgen können, be¬
wundern wir bei den Griechen die mit ethischen Momenten dramatisch durch¬
arbeitete Gestalt der Sage. Die Tragik in dem Schicksale des Herakles liegt
in dem Umstände, daß er seine Untreue später mit dem Tode durch sein eignes
Gift bezahlen muß; und dieses tragische Schicksal ist wieder die Übersetzung eines
Naturvorganges, den auch der Heitere verstand.

Die Hochsommerglut mit ihren Folgen war dem Griechen nicht viel weniger
empfindlich als dem Orientalen; der segnende Apoll wurde ihm zum todbringenden;
Herakles wird ihm so gut wie Dubar, dem Bewohner des Euphratlaudes, zum
Träger der epidemischen Krankheiten, der Pest, des Aussatzes :c. Dubar-
Herakles wird selbst mit dieser Krankheit, in der er sich selbst verzehrt, be¬
haftet gedacht. Während aber der griechische Mythus andeutet, daß die Schuld
an diesem krankhaften Zustande neben Dejanira, Heras Werkzeug, der Held selbst
trägt, wird das Leiden im Dubarmythus lediglich als Jstars Rachewerk hin¬
gestellt, das sie mit Hilfe der Unterwelt und ihrer Mutter, der Mondgöttin,
also auch eines nächtlichen Prinzips, vollbringt. Das heißt: zur Zeit der
größten Hitzeentfaltung bewirken die nächtlichen Ausdünstungen des Erdbodens
die epidemischen Krankheitserscheinungen.

Zugleich sterben Eabani sowohl wie Chiron-Jolaos, die Vertreter des sich
durch üppigen Pflanzenwuchs kundgebenden Lebens in der Natur. Bei den
Griechen erschießt Herakles selbst seinen Freund; die Sonnenglut läßt alles


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[0446] Die Dnbar-Sage und der koilschriftliche Sintflutbericht. der Nacht; als Morgenstern zur Zeit der schädlichen Wirkung der Sonne geht der Planet siegreich ihrem Lichte vorauf, wird nunmehr aber auch, noch immer als Prinzip der Nacht, der Tageszeit vorgezogen. Die Höllenfahrt findet demnach im babylonischen Dubarmythus ihre volle natürliche Erklärung. Die griechische Sage, die diesen Vorgang wiederum nicht uaturmhthisch erklären konnte, macht aus der Höllenfahrt ganz etwas andres; sie läßt den Helden selbst in die Unterwelt reisen und verschiebt diesen ganzen Vorgang ans Ende der Geschichte, weil sie, wie wir sehen werden, alle die letzten Episoden des orientalischen Mythus nicht verstand noch verstehen konnte. Indessen bringt auch der Grieche die Krankheit des Herakles in Zusammen¬ hang mit seinem Besuche in der Unterwelt. Aber während sich dieser Zu¬ sammenhang in der Dubarsage aus der zeitliche« Aufeinanderfolge der Unsichtbarkeit des Planeten und des Eintritts der verderblichen Sonnenglut er¬ giebt, erfindet der griechische Mythus eine Fabel, nach welcher der Zusammen¬ hang rein äußerlich hergestellt wird. Meleager bittet in der Unterwelt den Herakles, er möge seine Schwester Dejanira heiraten. Herakles thut dies. Bei der Überfahrt über den Euenosfluß will der Fährmann, der Centaur Ressus, der Dejanira Gewalt anthun, Herakles erschießt ihn mit seinem vergifteten Pfeile, und dieser giebt der Dejanira jenes verhängnisvolle Mischehen vergif¬ teten Blutes. Während wir die epische Entwicklung des Mythus daher bei den Babyloniern genau aus ihrer Anschauung der Gestirne verfolgen können, be¬ wundern wir bei den Griechen die mit ethischen Momenten dramatisch durch¬ arbeitete Gestalt der Sage. Die Tragik in dem Schicksale des Herakles liegt in dem Umstände, daß er seine Untreue später mit dem Tode durch sein eignes Gift bezahlen muß; und dieses tragische Schicksal ist wieder die Übersetzung eines Naturvorganges, den auch der Heitere verstand. Die Hochsommerglut mit ihren Folgen war dem Griechen nicht viel weniger empfindlich als dem Orientalen; der segnende Apoll wurde ihm zum todbringenden; Herakles wird ihm so gut wie Dubar, dem Bewohner des Euphratlaudes, zum Träger der epidemischen Krankheiten, der Pest, des Aussatzes :c. Dubar- Herakles wird selbst mit dieser Krankheit, in der er sich selbst verzehrt, be¬ haftet gedacht. Während aber der griechische Mythus andeutet, daß die Schuld an diesem krankhaften Zustande neben Dejanira, Heras Werkzeug, der Held selbst trägt, wird das Leiden im Dubarmythus lediglich als Jstars Rachewerk hin¬ gestellt, das sie mit Hilfe der Unterwelt und ihrer Mutter, der Mondgöttin, also auch eines nächtlichen Prinzips, vollbringt. Das heißt: zur Zeit der größten Hitzeentfaltung bewirken die nächtlichen Ausdünstungen des Erdbodens die epidemischen Krankheitserscheinungen. Zugleich sterben Eabani sowohl wie Chiron-Jolaos, die Vertreter des sich durch üppigen Pflanzenwuchs kundgebenden Lebens in der Natur. Bei den Griechen erschießt Herakles selbst seinen Freund; die Sonnenglut läßt alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/446>, abgerufen am 26.09.2024.