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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bamberger.

sie in keinerlei Zusammenhang stehen. Ja mit einer Art Galgenhumor hebt
Herr Bamberger selbst hervor, daß die Fabrikanten in Manchester die nach
dieser Stadt benannte Lehre sofort über Bord geworfen haben, als sie dabei
ihren Vorteil nicht mehr fanden. Er rechnet wohl darauf, daß die Verblendeten
sich schon wieder bekehren werden -- und das halten auch wir für möglich,
denn es kann ja eine Zeit kommen, wo ihnen der Freihandel wieder in den
Kram paßt.

Aber seinen Glauben wechselt ein Bamberger nicht nach den Umständen.
Und da er nun als treuer Bekenner wieder in die Opposition gedrängt worden
ist, übt er auch weiter keine Schonung gegen die "Reaktion" aus, jenes im
Finstern schleichende Ungeheuer, das so leise auftritt, daß die arglosen Deutschen
es gar nicht gewahren würden, wenn nicht Herr Bamberger und Genossen als
die treuen Eckarde ihre warnenden Stimmen erhöben. Es ist ja geradezu ent¬
setzlich, wie es in Deutschland zugeht! Es kann sich ereignen, daß ein naseweiser
Bursche wegen eiues Zeitungsartikels eingesteckt wird, nicht nur die wilden,
sondern auch die "guten" Dhnamitbolde werden in der Ausführung ihres Be¬
rufes gestört, und vor allem: die Bamberger sind in der Minderheit -- lauter
Beschränkungen der Freiheit, die zum Himmel schreien. Und nun wird gar eine
Verlängerung der Legislaturperioden beantragt, beantragt von Männern, welche
sich nicht nur Liberale nennen, sondern auch so frei gewesen sind, in einer
langen öffentlichen Laufbahn ihren Liberalismus zu bethätigen! Angesichts
solcher Zustände hat Herr Bamberger, wie er gestand, schon Anwandlungen
gehabt wie der "alte Hanns," als er die Mannhaftigkeit vom Erdboden ver¬
schwinden sah; er möchte das unverbesserliche Deutschland in den Abgrund
rennen lassen. Doch das Pflichtgefühl zwingt ihn zum Ausharren im poli¬
tischen Kampfe. So versichert er. Wir hatten bisher den Eindruck, daß dieser
Kampf ihm persönliches Bedürfnis und daß sein Glaube durch nichts zu er¬
schüttern sei.

Am wenigsten durch Thatsachen, die zur Theorie nicht stimmen. Es ist
merkwürdig, daß gerade zwei Parteien, deren Anhänger bei dem Wort Orthodoxie
eine Gänsehaut überläuft, selbst so eingefleischte Orthodoxe und darauf anch
noch stolz sind: die Freisinnigen und die Sozialdemokraten. Beide glauben,
allen übrigen Parteien weit voraus zu sein, und merken gar nicht, daß die Be¬
wegung eine ganz andre Richtung genommen hat. Sie merken gar nicht, daß
endlich auch in der Wissenschaft vom Staate die aprioristische Methode abge¬
kommen ist, nachdem man auf andern Erfahrungsgebieten längst mit ihr auf¬
geräumt hatte. Sie stehen noch auf dem Standpunkte jener Philosophen, für
welche alle Erscheinungen in der belebten und unbelebten Natur lediglich dazu
dawaren, in die Fächer eines vorher fertig gezimmerten Systems eingeschachtelt
oder eingezwängt zu werden, jener Ästhetiker, welche sich um die Bedingungen,
unter welchen ein Kunstwerk ins Leben tritt, gar nicht kümmerten u. s. w. Der


Die Bamberger.

sie in keinerlei Zusammenhang stehen. Ja mit einer Art Galgenhumor hebt
Herr Bamberger selbst hervor, daß die Fabrikanten in Manchester die nach
dieser Stadt benannte Lehre sofort über Bord geworfen haben, als sie dabei
ihren Vorteil nicht mehr fanden. Er rechnet wohl darauf, daß die Verblendeten
sich schon wieder bekehren werden — und das halten auch wir für möglich,
denn es kann ja eine Zeit kommen, wo ihnen der Freihandel wieder in den
Kram paßt.

Aber seinen Glauben wechselt ein Bamberger nicht nach den Umständen.
Und da er nun als treuer Bekenner wieder in die Opposition gedrängt worden
ist, übt er auch weiter keine Schonung gegen die „Reaktion" aus, jenes im
Finstern schleichende Ungeheuer, das so leise auftritt, daß die arglosen Deutschen
es gar nicht gewahren würden, wenn nicht Herr Bamberger und Genossen als
die treuen Eckarde ihre warnenden Stimmen erhöben. Es ist ja geradezu ent¬
setzlich, wie es in Deutschland zugeht! Es kann sich ereignen, daß ein naseweiser
Bursche wegen eiues Zeitungsartikels eingesteckt wird, nicht nur die wilden,
sondern auch die „guten" Dhnamitbolde werden in der Ausführung ihres Be¬
rufes gestört, und vor allem: die Bamberger sind in der Minderheit — lauter
Beschränkungen der Freiheit, die zum Himmel schreien. Und nun wird gar eine
Verlängerung der Legislaturperioden beantragt, beantragt von Männern, welche
sich nicht nur Liberale nennen, sondern auch so frei gewesen sind, in einer
langen öffentlichen Laufbahn ihren Liberalismus zu bethätigen! Angesichts
solcher Zustände hat Herr Bamberger, wie er gestand, schon Anwandlungen
gehabt wie der „alte Hanns," als er die Mannhaftigkeit vom Erdboden ver¬
schwinden sah; er möchte das unverbesserliche Deutschland in den Abgrund
rennen lassen. Doch das Pflichtgefühl zwingt ihn zum Ausharren im poli¬
tischen Kampfe. So versichert er. Wir hatten bisher den Eindruck, daß dieser
Kampf ihm persönliches Bedürfnis und daß sein Glaube durch nichts zu er¬
schüttern sei.

Am wenigsten durch Thatsachen, die zur Theorie nicht stimmen. Es ist
merkwürdig, daß gerade zwei Parteien, deren Anhänger bei dem Wort Orthodoxie
eine Gänsehaut überläuft, selbst so eingefleischte Orthodoxe und darauf anch
noch stolz sind: die Freisinnigen und die Sozialdemokraten. Beide glauben,
allen übrigen Parteien weit voraus zu sein, und merken gar nicht, daß die Be¬
wegung eine ganz andre Richtung genommen hat. Sie merken gar nicht, daß
endlich auch in der Wissenschaft vom Staate die aprioristische Methode abge¬
kommen ist, nachdem man auf andern Erfahrungsgebieten längst mit ihr auf¬
geräumt hatte. Sie stehen noch auf dem Standpunkte jener Philosophen, für
welche alle Erscheinungen in der belebten und unbelebten Natur lediglich dazu
dawaren, in die Fächer eines vorher fertig gezimmerten Systems eingeschachtelt
oder eingezwängt zu werden, jener Ästhetiker, welche sich um die Bedingungen,
unter welchen ein Kunstwerk ins Leben tritt, gar nicht kümmerten u. s. w. Der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/436>, abgerufen am 21.06.2024.